Direkt zum Hauptbereich

Sibylla von Max Baitinger - Rezension

 

Rezension

von Sabine Ibing



Sibylla 


von Max Baitinger


Vor 400 Jahren wurde Sibylla Schwarz (1621 - 1638) in Greifswald geboren, mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Mit 17 Jahren starb sie an der Ruhr. In ihrem kurzen Leben verfasste Sibylla Schwarz über 100 Gedichte von großer poetischer Kraft, die ebenso von einem hohen Selbstbewusstsein als Bürgerin, Dichterin und Frau zeugen. Ihr Gedicht «Ein Gesang wider den Neid» wurde von der Literaturwissenschaftlerin Erika Greber als das «wohl erste kompromisslos feministische Gedicht der Weltliteratur» angesehen. Als Barockdichterin genoss Sibylla über 200 Jahre lang großes Ansehen – bis sie in Vergessenheit geriet. Max Baitinger hat eine Hommage auf die Dichterin in Form einer Graphic Novel verfasst. Dieser Comic ist als Biografie gestaltet – ist aber viel mehr. 





«Ein Gesang wider den Neid (gekürzt)


Gefellt dir nicht mein schlechtes Schreiben

Und meiner Feder edles Safft

So laß nur balt das Läsen bleiben

Eh dan es dir mehr unruh schafft;

Das  was von anfang ich geschrieben

Wird kein verfalschter Freund belieben.


Weistu mich gleich viel für zuschwetzen

Von meiner Leyer ab zustehen;

So soll mich doch allzeit ergetzen

Das Arbeitsahme müssig gehen;

Laß aber du dein Leumbden bleiben

Damit du mich meinst auff zureiben.


(…)


Vermeynstu 

daß nicht recht getroffen 

Daß auch dem weiblichen Geschlecht

Der Pindus allzeit frey steht offen 

So bleibt es dennoch gleichwohl recht

Daß die 

so nur mit Demuht kommen 

Von Phoebus werden angenommen.


Ich darf nun auch nicht weitergehen

Und bringe starcke Zeugen ein;

Du kanst es gnug an disem sehen

Daß selbst die Musen Mägde sein:

Was lebet soll Ja Tugendt lieben

Und niemandt ist davon vertrieben.


Gantz Holland weiß dir für zusagen

Von seiner Bluhmen Tag und Nacht;

Herrn Catzen magstu weiter fragen

Durch den sie mir bekant gemacht:

Cleobulina wird wol bleiben

Von der viel kluge Federn schreiben.


Was Sappho für ein Weib gewesen

Von vielen 

die ich dir nicht nenn

Kanstu bey andern weiter lesen

Von den ich acht und fünffzig kenn

Die nimmer werden untergehen

Und bey den Liechten Sternen stehen.


Sollt ich die Nadel hoch erheben

Und über meine Poesey

So muß ein kluger mir nachgeben

Daß alles endlich reisst entzwey;

Wer kann so künstlich Garn auch drehen

Das es nicht sollt in stücken gehen?»



Sibylla war die jüngste Tochter des Greifswalder Bürgermeisters Christian Schwarz und sie lebte ein beschauliches, behütetes Leben in ihrer Patrizierfamilie, erhielt eine gute Bildung. Mit 10 Jahren begann sie, Gedichte zu schreiben. Der Dreißigjährige Krieg und die Pest erreichten Greifswald 1627, als Wallenstein die Stadt besetzte. 1630 verstarb Sibyllas Mutter an der Pest. Der Vater war mit der Familie aufs Landgut Frätow im Distrikt Karrendorf geflüchtet. Der Krieg wurde erneut in Greifswald angeheizt, als die Schweden hier ihr Lager aufschlugen und das Herrengut konfiszierten – und es bei ihrem Abzug in Flammen aufgehen ließen. Das Erlebte hinterließ Spuren in den Gedichten von Sibylla, die sich mit den Themen Freundschaft, Liebe, Krieg und Tod auseinandersetzten. Im Alter von 17 Jahren verstarb sie an der Ruhr. Die frühreife Jugendliche zeigte ein hohes Können für ihr Alter und so veröffentlichte ihr Lehrer Samuel Gerlach nach ihrem Tod ihre Gedichte und Sonetten unter dem Titel «Deutsche Poëtische Gedichte». Die Barocklyrikerin Sibylla Schwarz wurde so posthum sehr bekannt, galt als «die pommersche Sappho».




Wer nun meint, hier würde von Max Baitinger eine langweilige Biografie aufgetischt, der liegt völlig daneben. Denn diese Graphic Novel ist ein absolutes Kunstwerk. Eine leidende Gesellschaft, gebeutelt von Krieg, Zerstörung, Plünderungen, Hunger und Krankheit, von Verzweiflung, wird hier gut ins Bild gesetzt. Der Comic beginnt mit der Entstehungsgeschichte, der Intension des Grafikers (anlässlich des 400. Geburtstags), seiner Zwiesprache mit Sibylla, von der er sich die Erlaubnis holt, dieses Buch zu zeichnen. Es ist ein eigener Zeichenstil – ein eigenwilliges Mädchen, eins mit Stolz und Charakter, das sich durchsetzen kann – ein eigenwilliger Zeichenstrich. Das passt. Emotional – fiktional – schwebt darüber die Stimmung im Land: rotschwarz für den Tod und das Brandschatzen. Im Ruhigen beginnend, zarttönig, beginnt das Wasser der Ostsee Wellen zu schlagen und irgendwann steht die Welt in Flammen. Der Grafiker hat nicht versucht, Sibylla ins Herz oder in den Kopf zu schauen, auch nicht versucht, ihr Werk zu interpretieren. Denn woher sollen wir wissen, was eine Jugendliche vor 400 Jahren dachte? Es ist eine Geschichte geprägt von Fakten und den Emotionen der Zeit, dem Schrecken von Zerstörung und Seuchen. Ein Bild sagt mehr als Worte. Und genau das gelingt Baitinger ziemlich gut. Für die Graphic Novel hat er den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung bekommen und er steht auf der Shortlist der Nominierten zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2022 unter der Rubrik Sonderpreis «Neue Talente Illustration». Ich setze den Comic auch unter die Rubrik Jugendliteratur, weil es hier auf der Bestenliste steht. Aber wenn ihr mich fragt, es ist ein Augenschmaus mit hohem Anspruch für jedes Alter.



Max Baitinger wurde 1982 in Penzberg, Oberbayern, geboren. Nach einer Schreinerausbildung begann er, Comics zu zeichnen und studierte Illustration an der Hochschule für Graphik- und Buchkunst in Leipzig. Sein Comic “Heimdall” (Rotopolpress) wurde auf dem Internationalen Comic-Salon 2014 bei der ICOM-Preisverleihung lobend erwähnt. Sein Folgewerk «Röhner» (auch Rotopolpress) war unter den Finalisten für den Comicbuchpreis der Leibinger Stiftung 2016. Max Baitinger ist Mitinitiator des jährlichen Comics & Graphics Fests The Millionaires Club in Leipzig.



Max Baitinger
Sibylla
Sibylla Schwarz, Dichterin, Graphic Novel, Comic, Biografie, Dreißigjähriger Krieg, Pest
Hardcover, 176 Seiten, farbig, 19 x 26 cm
Reprodukt Verlag, 2021





Graphic Novel, Comic, Grafisches  

Für die Fans von Comis / Graphic Novels und sonstigem Gezeichneten, wie Satire. Hier auf dieser Seite zusammengefasst.  Alle Altersgruppen. Graphic Novel, Comic, Grafisches





Die wichtigsten deutschsprachigen Buchpreise der Kinder- und Jugendliteratur und ihre Gewinner in Zusammenfassung




Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Dieses witzig-gruslige Jugendbuch, bzw., schlicht Comic, nimmt eine über 100 Jahre alten Geschichte von John Kendrick Bangs auf. Die Comic-Zeichnerin Barbara Yelini interpretiert die Story neu mit wundervollen Wasserbildern. Ein wundervoller Comic für Jugendliche, die nicht sehr lesebegeistert sind. Zur Rezension:    Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

  Ein herrlich spaßiger, spannender Kinderkrimi! Mit Papa und seiner neuen Flamme in die Berge zum Wandern oder zu Oma Lore. Keine Frage! Bei der fetzigen Lore ist es immer lustig. Jetzt sitzt Pia aber seit über einer Stunde auf dem Bahnhof, ohne dass Oma sie abgeholt hat. Sehr seltsam. Omas Haus ist nicht weit entfernt; und so macht sich Pia mit ihrem Rollkoffer auf den Weg. Niemand öffnet die Tür! Durch ein offenes Fenster gelangt sie hinein. Doch Oma bleibt verschwunden. Die Detektivarbeit beginnt … Ein Pageturner, ein Kinderroman, eine waschechte Heldenreise, ein rasanter Abenteuerroman und nervenkitzelnder Kinderkrimi ab 8-10 Jahren. Unbedingt lesen!  Weiter zur Rezension:   Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz