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Kalte Seelen von Christine Brand - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Kalte Seelen 

von Christine Brand


TV-Journalistin Milla Nova besucht eine Gerichtsverhandlung, bei der sie als Zeugin geladen ist. Der Angeklagte, Donovan Hardmann, ist ein mehrfacher Mörder, und Milla hatte zu seiner Verhaftung beigetragen. Am folgenden Prozesstag wird der Mann morgens aus dem Gefangenentransport befreit und bleibt verschwunden. Gibt es wirklich – wie er Tags vorher behauptete – eine Gruppe mächtiger Männer, die die Regierung stürzen werden? Ihr Freund Sandro Bandini, der als Ermittler arbeitet, macht sich Sorgen: Milla könnte als Hauptzeugin in Gefahr sein. 

Wie gut, dass sie sowieso für eine Reportage eine Woche lang ins Frauengefängnis Hindelbank im Emmental einfährt. Sie will den Gefängnisalltag beschreiben und Interviews mit den gefangenen Frauen machen. Eine von ihnen ist Flor, die wegen Mordes angeklagt ist, aber ihre Unschuld beteuert. Sie behauptet, dass einige männliche Immigranten, die als sogenannte Sans-Papiers in der Schweiz ein Schattenleben führten, spurlos verschwunden sind. Morgens gehen sie aus dem Haus, kehren nie zurück. Die Angehörigen melden das nicht der Polizei, denn dann würde ihr Illegalität auffliegen. Milla wird plötzlich zur Gefängnisleitung gebeten, dort abgeführt zum Verhör ins Dezernat für Leib und Leben. Donovan Hardmann ist wieder aufgetaucht – allerdings als Leiche. Er wurde in den Kellerräumen des Hauses gefunden, in dem Milla vor kurzem noch wohnte, und das Messer in seinem Leib stammt aus Millas Küche, das Millas Fingerabdrücke trägt. 


Es gibt Männer, die bringen uns um, weil sie uns nicht hier haben wollen. Und keiner hört uns zu.


Sandro Bandini ist entsetzt, dass seine Chefin ihn hintergangen hat, da er in Fall Hardmann ermittelt, hinter seinem Rücken Milla verhaftete. Eine Rechtsmedizinerin kann Milla recht bald entlasten, sie wird in diesem Krimi einen eigenen Strang erhalten. Nun wird aus dem Thunersee der Fuß eines Mannes geangelt. Wo mag der Rest des Toten sein? War dies ein Unfall oder ein Verbrechen? Milla beginnt zu recherchieren, was es mit den Vermissten auf sich hat. Was ist dran an dem Gerücht? Hat dies etwas mit Fremdenhass zu tun? Sandro Bandini kann seiner Chefin Lisa nicht mehr trauen – er entscheidet sich, eigene Wege zu gehen. Und Lisa ermittelt im Fall einer Leiche im Thuner See, die bei der Suche nach dem Torso ohne Fuß gefunden wurde. Vier Stränge, die eigenständig und parallel agieren und möglicherweise Verbindungen haben. 

Christine Brand hat einen spannenden Plot entwickelt, wendungsreich, voll Raffinesse. Verschiedene Baustellen, viel Personal, aber das alles mit Ruhe, so dass der Lesende der auktorialen Erzählweise gut folgen kann. Es ist allerdings eine völlige Neubearbeitung eines Krimis, der bereits 2013 im kleinen Landverlag erschienen ist. Leider ist bei der Überarbeitung zu viel «Tell» übriggeblieben, das man in «Show» hätte umschreiben können. So bleibt einiges starr im Erzählfluss und manche Situationen scheinen zu konstruiert, damit sie im Fluss bleiben. Am Ende geht es mir ein wenig zu schnell. Es hätte dem Plot vielleicht besser getan, nicht so viele Fäden auf einmal aufzunehmen, denn das wichtige Reportagethema fällt plötzlich in den Hintergrund, hätte mehr Raum gebraucht. Denn der Stoff ist immer noch aktuell. Als Sans Papiers (französisch: ohne Papiere) bezeichnet man in Frankreich und der Schweiz Menschen, die illegal eingewandert sind, bzw. denen der Asylantrag abgelehnt wurde, die ausgeschafft werden sollten. Der Begriff bezeichnet also Person, die in ihrer Illegalität kein Ausweisdokument und auch keine Krankenversicherung besitzen. Sie leben ein Schattendasein in Schwarzarbeit, ohne Sozialversicherung, mit illegalen Mietverträgen. Die Autorin holt diese Menschen in ihrem rechtlosen Status ans Licht. Ein guter Schweizer Krimi, trotz alles Schwachstellen, den ich empfehlen kann.


Christine Brand, geboren und aufgewachsen im Emmental, ist Autorin und freie Journalistin. Sie arbeitete bei der NZZ am Sonntag, beim Schweizer Fernsehen und bei der Berner Zeitung Der Bund, wo sie unter anderem Gerichtsreportagen verfasste und Einblick in die Welt der Justiz und der Kriminologie erhielt. Christine Brand hat sieben Kriminalromane, ein Buch mit wahren Kriminalgeschichten und einen Märchenband publiziert. Zudem erschienen zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien. Christine Brand lebt heute in Zürich, ist aber öfter auf Reisen als zu Hause: Mit 44 entschied sie, ihren Traumjob und die Wohnung zu kündigen und sich von nahezu allem Besitz zu trennen. Seitdem schreibt sie am liebsten in einem Strandcafé auf Sansibar mit Blick auf das Meer.


Christine Brand
Kalte Seelen
Krimi, Kriminalliteratur, Kriminalroman, Schweizer Literatur, Fremdenhass
Taschenbuch, 380 Seiten
atlantis Verlag, 2022




Blind von Christine Brand


Dies ist der Auftakt einer Schweizer Krimiserie um drei Hauptprotagonisten – Trio wäre zuviel gesagt: Ein Blinder, eine TV-Journalistin und der Leiter der Abteilung Leib und Leben in Bern. Ein ausgeklügelter Plot, spannend aufgebaut, doch mit Schwächen in der Figurenbildung. Daher ein Krimi, der letztendlich nicht aus der Masse hervorhebt. «Be My Eyes», eine App für Blinde, die es wirklich gibt, spielt hier eine wichtige Rolle.

Weiter zur Rezension:   Blind von Christine Brand




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

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