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James von Percival Everett - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





James 


von Percival Everett


‹Was heißt das, Miss Watson will dich den Fluss runter verkaufen?›
‹Ich bin’n Sklave, Huck. Sie kann mich verkaufm, wenn sie will. Un scheints will sie. Un eh sie das macht, musstich weglaufm.›
‹Aber du hast ne Familie.›
‹Heißt gar nix, wenn du n Sklave bist.›

In «James» erfindet Percival Everett den Klassiker der amerikanischen Literatur «Huckleberry Finn» neu: Jim spielt lediglich den Dummen. Es wäre gefährlich für ihn, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, sieht er seine Chance gekommen, er flieht zusammen mit Huck gen Norden in die Freiheit, der sich so seinem gewalttätigen Vater entzieht. Auf dem Mississippi jagt ein Abenteuer das nächste: Stürme, Überschwemmungen, Begegnungen mit Betrügern und Blackface-Sängern. Immer wieder muss Jim mit seiner schwarzen Identität jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten.


Interessant ist die Sprache vom Jim


‹Jim, warst du in Richter Thatchers Bibliothekszimmer?›
‹In seim was?›
‹Seiner Bibliothek.›
‹Nein, Ma’am. Gesehen habbich die Bücher, aber im Zimmer drin warch nich, was sollchn mim Buch?›

Entlang des Romans «Die Abenteuer des Huckleberry Finn» erleben wir die Geschichte neu aus der Sicht von Jim. Interessant ist die Sprache vom Jim, der sich später James nennt, der sich dem unterwürfigen Slang der Sklaven bedient, sobald er mit Weißen redet, bzw. mit Fremden  – ein Übersetzungskunststück. Jim kann lesen und schreiben, debattiert in Gedanken mit Voltaire, spricht eine gebildete Sprache, die seine Freunde zunächst irritieren: So spricht kein Sklave. Da dies ein eigener Slang ist, musste der Übersetzer Nikolaus Stingl einen deutschen Slang erfinden, der dieser Sprache entspricht. Hut ab, es ist sehr gut gelungen. Im Hörbuch kommt dieses sehr fein zum Tragen. Bücher sind Jims Leidenschaft. Er liest heimlich, was ihm zwischen die Finger kommt. Eine Road Novel, ein Abenteuerroman, ein Schelmenroman, ein Blick in die rassistische Geschichte der Südstaaten. Jim will im Norden Geld verdienen, damit er seine Familie freikaufen kann. Doch der Weg dorthin ist weit und er muss viel tricksen, um nicht aufzufliegen. Jim und Huck werden von Sklavenfängern verfolgt, die ihnen dicht auf den Fersen sind. Bereits seiner Tochter Lizzie hatte Jim beigebracht, unterwürfig und dumm daherzukommen, sich der Sklavensprache zu bedienen, um nicht aufzufallen. «Je besser sie sich fühlen, desto sicherer sind wir.» Ein schlichter Selbstschutz, je überlegener die «Herren» sich fühlen, um besser für die Sklaven.

‹Stellen wir uns vor, es ist ein Fettbrand. Mrs. Holiday hat Bacon unbeaufsichtigt auf dem Herd stehen lassen. Sie ist im Begriff, Wasser darauf zu schütten. Was sagt ihr? Rachel?› 
Rachel hielt kurz inne. ‹Ma’am, das Wasser machts bloß schlimmer!› 
‹Das stimmt natürlich, aber was ist das Problem dabei?› 
Virgil sagte: ‹Man sagt ihr, dass sie das Falsche tut.› 
Ich nickte. ‹Was solltet ihr also stattdessen sagen?› 
Lizzie schaute zur Decke und sprach, während sie es zu Ende dachte. ‹Möchten Sie, dass ich eine Schaufel Sand hole?› 
‹Richtiger Ansatz, aber du hast es nicht übersetzt.› 
Sie nickte. ‹Herrmhimmel, Ma’am, so’ich vlleich ne Schaufel Sand ranschaffm?›

Angesiedelt zwischen schwarzem Humor und Tragik


Die Wege von Jim und Huck trennen sich irgendwann, ein fieses Gaunerpaar sieht in den beiden eine gute Hilfe und sie erpressen die Flüchtenden. Sehr amüsant ist die Episode, in der Jim von dem einen Gauner, der sich als sein Besitzer aufspielt, an eine Gruppe von Minstrel-Sängern verkauft wird, weil er hervorragend singen kann. Bei den Auftritten schminken sich die Weißen als Schwarze, machen sich über sie lustig. Jim wird als Schwarzer geschminkt und verkleidet – mit seiner Art, sich gebildet zu verbalisieren, geht er locker als angemalter Weißer durch. In der Gruppe befindet sich ein hellhäutiger Schwarzer, der ebenfalls bei den «Virginia Minstrels» lebt, der als Weißer durchgehen kann. Die beiden freunden sich an, brennen gemeinsam durch, nach Süden, denn niemand vermutet, dass Sklaven sich Richtung Süden begeben. Sie brauchen Geld, um ihre Familien freizukaufen, und darum beginnen sie ein gefährliches Spiel: Der Freund soll Jim als Sklaven verkaufen und Jim brennt durch; was sie so lange zu tun gedenken, bis sie genug Geld zusammen haben, ihre Familien herauszukaufen. Es läuft nicht nach Plan …  Ein Bravourstück, ein Abenteuerroman, Schelmenroman, der durch die Sklaverei der Südstaaten führt, Roman, der zwischen schwarzem Humor und Tragik im Wechsel getragen wird. Rassismus an und unmenschliches Handeln begleiten Jim auf seinem Weg, der Bürgerkrieg setzt ein … Empfehlung! 
 
‹Was ist das Ganze hier eigentlich?›, fragte ich. 
‹Das Gesinge?› Er blickte sich um. ‹Die neueste Mode ist, dass Weiße sich schminken und sich zu ihrer Unterhaltung über uns lustig machen.
‹Sie singen unsere Songs?›

Percival Everett, geboren 1956 in Fort Gordon, Georgia (USA), ist Schriftsteller und Professor für Englisch an der University of Southern California. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den PEN USA 2006 Literary Award und den Academy Award for Literature of the American Academy of Arts and Letters.



Percival Everett 
James
Gesprochen von: Benito Bause
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 8 Std. und 7 Min.
Aus dem Englischen übersetzt von Nikolaus Stingl
Zeitgenössische Literatur, Huckleberry Finn, Road Novel, Abenteuerroman, Schelmenroman, Rassismus, Südstaaten, USA, Sklaverei, Amerikanische Literatur
Der Audio Verlag, Audible, 2024
Carl Hanser Verlag, 2024, Hardcover, 336 Seiten



Die Bäume von Percival Everett

Ein beeindruckender Roman über Rassismus, Noir vom Feinsten, ein Genremix. Das Ganze mit jeder Menge bissigem Humor überzogen. Ich habe selten bei einem Krimi so viel gelacht. Manchmal blieb auch das Lachen im Halse stecken. Eine Serie von Lynchmorden erschüttert die Südstaaten und es geht um «die Leiche eines Schwarzen, die verschwunden ist. Oder vielmehr ständig verschwindet und wiederauftaucht.». Den Mitgliedern des KKK geht der A auf Grundeis – irgendetwas Schreckliches geht hier vor … Ein wuchtiger Noir-Ritt, ein Stoff für Tarantino. Gnadenlos komischer Country-Noir, eine Gesellschaftssatire, Hardboiled! Eine grandiose Mischung! Unbedingt lesen!  

Weiter zur Rezension:   Die Bäume von Percival Everett


Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

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