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Fungipedia - Die erstaunliche Welt der Pilze von Lawrence Millman - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Fungipedia - Die erstaunliche Welt der Pilze 


von Lawrence Millman 



Wenn es ums Essen geht, sind manche Pilze extrem wählerisch: so verspeist Herpomyces stylopygae ausschließlich die Haare von Kakerlaken fühlern, während Cepha- losporium lamellaecola an den Spitzen von Stalaktiten in Höhlen knabbert. Trichomyceten leben im Darm von wasserbewohnenden Gliederfüßern wie Mückenlarven, und die unlängst entdeckte Art Alciphila vulgaris besiedelt Laubstreu, das mit Elchurin getränkt ist. Solche Substrate klingen tatsächlich eher angenehm im Vergleich zu denen im Umfeld der Überreste des Kernkraftwerks von Tschernobyl in der Ukraine, wo sich diverse Pilzarten an der noch immer erhöhten Strahlung laben.


Wer etwas über Pilze wissen möchte, der liegt mit diesem Buch völlig richtig. Informativ und tiefgehend, über die Biologie hinaus, bleiben wenige Fragen offen. Verständlich und teils recht witzig geschrieben, macht die Lektüre Spaß. Und trotzdem hadere ich mit dem Sachbuch. Weil es eine Enzyklopädie, ist von A-Z aufgebaut. Mir persönlich macht es keinen Spaß, mich von A-Z durchzulesen. Es geht aber nicht anders, da das Buch sehr viele Informationen hat, eben interessant und witzig ist, es sich lohnt, durchzuhalten, weil ich eben nie auf diese Stichwörter gekommen wäre. 


Wissenswertes, Kurioses, Humorvolles


Beim Bullerschen Tropfen handelt es sich um ein extrem wichtiges Tröpfchen, das von fast allen Lamellenpilzen hervorgebracht wird und nach seinem Erstbeschreiber, dem englisch-kanadischen Mykologen Arthur Henry Reginald Buller (1874–1944) benannt wurde. Mithilfe dieses Tröpfchens geben die entsprechenden Pilze ihre Sporen ab.

Der Pilz ist keine Pflanze und auch kein Tier; er ist ein Pilz; das wissen wir aus dem Biologieunterricht. Das Reich der Pilze ist bis heute voller Geheimnisse, vieles ist noch nicht genau erforscht: Sind Pilze wirklich enger mit uns Menschen verwandt als mit Pflanzen? Gibt es tatsächlich Insekten, die Pilze züchten? Und warum ernähren sich bestimmte Pilze gerne von Strahlungsresten, Kakerlakenfühlern und Dung? Der Mykologe Lawrence Millman kombiniert ökologisches, ethnografisches, historisches und zeitgenössisches Wissen und lässt uns in mehr als 180 Kurztexten in die Welt der Pilze eintauchen. Wir erfahren von den Bullerschen Tropfen und der daraus entstehenden sterilen Knolle, ein Sklerotium, das Chaga genannt wird und «das Pilzheilmittel der Stunde» ist. Wir lesen, dass der tschechische Komponist Václav Hálek (1937–2014) etwa 1.500 von Pilzen beeinflusste Werke schrieb. Bei einem Waldspaziergang hörte er zufällig den Kerbrandigen Napfbecherling (Tarzetta cupularis) singen. Seitdem hört er Pilze singen und sieht sie tanzen. So viel zur Kommunikation der Pilze, die ja bekanntlich die «Telefonleitungen» zwischen den Bäumen sind. Da frage ich mich, welchen Pilz der Musiker geraucht hat. 


Leider unübersichtlich


Curtis Gates Lloyd (1859–1926) war ein Mykologe, der sich sein Wissen über Pilze selbst angeeignet hatte. … dokumentierte er, Orchideen gehören zu den Pflanzen, die Mykorrhiza betreiben, aber auf etwas andere Weise als die übrigen Töchter Floras. Erstens erfolgt die Kontaktaufnahme mit den Pilzpartnern nicht nur über die Wurzeln, sondern auch und vor allem über ihre Samen oder ihre Keimlinge. Eine Orchidee bezieht einen großen Teil ihrer Nährstoffe (zum Beispiel grob ein Drittel des Kohlenstoffs) von ihrem Pilzpartner, aber darüber, was der Pilz davon hat, ist man sich noch nicht ganz im Klaren. Möglicherweise trickst die Orchidee den Pilz aus, indem sie ihm das Blaue vom Himmel verspricht, dann aber nicht liefert.

Die Spanne reicht von Alice im Wunderland bis zu Heilpilzen und Feenringen, von Kombucha über den Fluch der Pharaonen bis hin zu Zombie-Ameisen. Färbemittel werden aus Pilzen hergestellt; der Fliegenpilz verfügt über den größten Kulturstatus, der Fliegentöter schleudert schleimige Substanzen von sich, und auf Fliegen, die die etwas abbekommen, bildet sich ein Myzel, was sie dazu zwingt, sich mit dem Saugrüssel an erhöhter Stelle festzukleben, die Flügel zu spreizen. Jetzt wird es eklig. Damit werden männliche Fliegen dazu gebracht, die tote Fliege zu begatten, «wobei sie sich infizieren und selbst zu Überträgern werden.» Viele Infos, die wir garantiert vorher nicht kannten. Kleine Illustratorin von Amy Jean Porter in Schwarz-Weiß sind eingestreut. Aufgebaut wie eine Enzyklopädie – aber ist sie denn vollständig? Ich habe nach Eichhasen, Laubholz-Harzporling, Klapperschwamm gesucht, die Porlinge, die auf der Roten Liste stehen, werden nicht benannt, so kann ich fortfahren. Demnach ist das Buch zwar vollgestopft mit Pilzwissen, aber KEINE Pilz-Enzyklopädie. Eben das macht mich ratlos. Ein Sachbuch mit Pilz-Wissen, klasse geschrieben in kleinen Portionen. Ist man bei den Zombie-Ameisen angelangt, hofft man auf ein Schlagwortregister am Ende. Auch das gibt es nicht. Ich hätte mir eher Themen-Kapitel gewünscht. Für mich ist dieses Buch völlig unübersichtlich, deshalb einen dicken Punktabzug! Bei mir kam erschwerend hinzu – ich hatte eine PDF-Version, mit einen E-Book hat man das gleiche Problem: Suche den Buchstaben K: Scroll, scroll, scroll – man scrollt sich den Wolf, wenn man versucht, enzyklopädisch zu suchen. Die Papierversion ist anzuraten! Fazit: Prima Inhalt, gut geschrieben; die Darstellung ist mangelhaft, das Buch einzuordnen fällt schwer. Interessantes Sachbuch mit Unterhaltungswert.


Lawrence Millman (* 1946 in Kansas City, Missouri) ist ein US-amerikanischer Mykologe und Reiseschriftsteller aus Cambridge, Massachusetts. Er hat zahlreiche Preise gewonnen und über 40 Reisen in die Arktis und Subarktis unternommen. In Borneo hat er einen bisher unbekannten See entdeckt und im Osten Grönlands, bei Tasiilaq, ist ein Berg nach ihm benannt.





Lawrence Millman 
Fungipedia - Die erstaunliche Welt der Pilze 
Originaltitel: Fungipedia 
Aus dem amerikanischen Englischen von Roberta Schneider
Illustratorinen von Amy Jean Porter
Sachbuch, Pilze, erzählendes Sachbuch, amerikanische Literatur
Hardcover, ‎200 Seiten, ‎13.2 x 20.3 cm
mairisch Verlag, 2024 




Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
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