Direkt zum Hauptbereich

Echo der Gewalt von Yasmin Angoe - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Echo der Gewalt 


von Yasmin Angoe


Der erste Satz: 

Echo warf noch einen Blick in den Spiegel, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Schwimmkappe richtig sass und der wasserdichte Ohrhörer gut hinter ihren Diamantsteckern verborgen war.


Echo – das ist ihr Codename – ist Auftragskillerin. Sie heißt Nena; eigentlich Aninyeh Ama Asym, die in einem Dorf in Ghana geboren wurde, aber das war davor. Der Roman ist in «Danach» und «Davor» in abwechselnden Kapiteln geschrieben. Nena Knight lebt in Miami; sie ist die Tochter einer wohlhabenden Unternehmerfamilie, die in London lebt. Sie wurde von ihren afrikanischstämmigen Eltern adoptiert. Ihr Vater ist der Vorsitzende des African Tribal Council, genannt «The Tribe», ein Syndikat afrikanischer Geschäftsleute, das afrikanische Länder in Geschäftsbeziehungen unterstützt, um die Länder auf Augenhöhe mit den Westlichen zu bringen. Wer das unterwandern will, wird liquidiert; die Bösen ausmerzen, wie sie es formulieren. Nun soll Nena einen Bundesstaatsanwalt der USA ausknipsen, der einen Afrikaner wegen Korruption vor Gericht bringen will. Ihr ist nicht wohl bei der Sache. Der Angeklagte ist aber wichtig für «The Tribe», weil dessen Chef der Organisation beitreten möchte und beste Geschäftskontakte einbringt. 


Auftrag versiebt

In der Nacht vor ihrem Auftrag rettet Nena auf der Straße eine Jugendliche, Georgia, die von zwei Typen überfallen wird, die sie vergewaltigen und umbringen wollen. Nena tötet die Männer und fährt Georgia nach Hause, wo der Vater bereits auf der Straße seine Tochter in Empfang nimmt: der Bundesstaatsanwalt. Doch beim ersten Blickkontakt löst dieser Mann etwas in Nena aus: sie kann ihn nun nicht mehr ausschalten. Als sie am nächsten Tag auf dem Dach liegt, mit sich hadert in einem Loyalitätskonflikt, mit dem Gewehr den Staatsanwalt und die Gruppe ins Visier nimmt, erkennt sie in dem Angeklagten jemanden, der ihr und ihrer Familie viel Leid angetan hat. Und sie schießt. Der Angeklagte ist tot. Das wird Ärger geben … in den Kapiteln «Davor» erfahren wir die Geschichte von Aninyeh, wie ihre Familie und ihr Dorf, ausgelöscht wurden, welchen Leidensweg sie ging und wie es dazu kam, dass sie adoptiert wurde. In «Danach» geht die Story von Nena weiter.


Zwei Leben, drei Namen


Nena oder Echo, Echo oder Aninyeh. Sie hatte keine Ahnung, wer sie sein würde.


Interessant ist die Perspektive, die Yasmin Ango gewählt hat. Die Kapitel «Davor» sind in der Ichform von Aninyeh im Präsens erzählt, mit einer Erzählhaltung im Zoom – während «Danach» die aktuelle Handlung von Nena in der dritten Person im Präteritum in der Erzähldistanz distanziert und in der Erzählhaltung im Weitwinkel gestaltet ist. Die Distanz und Nähe beim Lesenden setzt sofort ein, man trennt die Personen völlig voneinander ab. Alles das, was die 14-jährige Aninyeh erlebt, ist für den Lesenden kaum zu ertragen: Die Auslöschung ihres Dorfs, die brutale Demütigung ihrer Familie, ihres Vaters, der sich als Clanführer verweigerte, einen Handelsweg zum Sklavenhandel durch sein Dorf zuzulassen, die viehische Liquidation aller Männer der Familie. Es folgt Gruppenvergewaltigung an den Frauen, und Aninyeh wird in die Sklaverei nach Europa verkauft, an einen reichen Psychopathen nach Paris. Wenn dem nicht genug wäre, geht Yasmin Angoe hier ziemlich tief ins Detail ihrer Schilderungen. Wilde Milizen in Afrika, Menschenhandel, alles wichtig, um angesprochen zu werden, ebenso die politische und wirtschaftliche Unterdrückung der Länder durch den Westen, Rassismus, Kolonialismus. Keine Frage. 


Gewalt ist häufig gerecht und löst alle Probleme?

Die Frage stellt sich in Erzähldistanz und Erzählhaltung, die hier genauso angelegt ist, dass der Lesende tief mit Aninyeh leidet bis kurz vors Erbrechen. Ich kann gut mit der Darstellung von Gewalt umgehen, wenn sie reale Szenen darstellt, die auf dieser Welt geschehen. Das ist nicht die Kritik. Doch wie tief will ich in die Szene hineingehen? Vom Anfang, detailliert bis zum Ende, jede Handlung, jeden Schweiß- und Blutstropfen beschreibend? Bei manchen Büchern eröffnet sich an dieser Stelle für mich Effekthascherei mit dem Leid der Protagonisten für Voyeuristen geschrieben, zugunsten der Verkaufszahlen. Andererseits benötigt die Autorin Verständnis vom Lesenden, warum man eine gewissenlose Killerin für sympathisch halten soll. Erster Trick: «Rette die Katze» – in diesem Fall die Tochter vom Staatsanwalt. Wer Kinder vor dem Tode rettet, muss dem grunde nach gut sein. Und dann geht es im Rückblick gleich mit dem Überfall auf das Dorf in Ghana los. Aus Aninyeh wird Nena, wird Echo – sie wurde traumatisiert, manipuliert und zu einer Killerin trainiert; ein fast emotionsloses Wesen, der man die Seele ausgelöscht hatte. Da muss der Lesende Mitleid haben. Leider ist hier die Gewalt bis ins Detail geschildert, das für Kopfkino und Nachdenken beim Leser nichts mehr übrigbleibt. Lesen, schütteln, schlucken. Denken braucht man hier nicht. «The Tribe» sind die Guten, die lediglich die Bösen ausknipsen – so denkt Nena – bis zu dem Staatsanwalt. Denkt so eine gebildete, intelligente Frau? Sie sollte begreifen, dass auch «The Tribe» ein Kartell ist, eine Afrika-Mafia. Letztendlich nicht besser als die Leute, die ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht haben, nur eben gebildet, im Anzug. Natürlich muss Nena den neuen Eltern dankbar sein und etwas zurückgeben für die Rettung. Doch sagt eine völlig traumatisierte Jugendliche mit extremer Gewalterfahrung gleich zu, eine Killerin zu werden, weil sie sich innerlich leer fühlt? Das wage ich zu bezweifeln. Sie hatte die Wahl, nein zu sagen. Klischee über Klischee und jede Menge Zufälle. Extrem hübsche Frauen und Männer auf allen Ebenen – die Welt besteht hier nur aus Models … ganz realistisch. Geschwister, die mit 14 / 16 Jahren getrennt wurden, erkennen sich nach 15 Jahren nicht wieder, obwohl sie mehrfach eng zusammensitzen und reden? Hier gibt es viel zu bezweifeln. Sprachlich hat mich der Roman auch nicht vom Hocker reißen können, genauso simpel wie die Story. Gewalt ist häufig gerecht und löst alle Probleme. Na prima. Das Säuberungsteam hat hier viel zu tun. Fazit: Ein spannender Thriller, der mit übelster Gewalt brilliert, inhaltlich aber nicht viel hergibt. Band zwei und drei werde ich mir ersparen.



Yasmin Angoe
Echo der Gewalt
Original: Her Name Is Knight, 2021
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Karin Diemerling
Thriller, Amerikanische Literatur, Hardboild, Noir, Noirthriller
Taschenbuch, 422 Seiten
Suhrkamp Verlag, 2023





Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler 

Rezension - Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

  In dem Land, in dem Tobias lebt, sind endlich wieder bessere Zeiten eingekehrt, und alle Kinder sollen zur Erholung die Sommerferien auf dem Land verbringen. Doch statt zu zweit oder zu dritt auf einem idyllischen Bauernhof, landet der 11-jährige Tobias allein auf einer Insel weit draußen im Meer, wo er bei einer menschenscheuen Frau namens Lothe unterkommt. Lothe wollte kein Ferienkind haben, man hat ihr Tobias aufgedrückt – was die mürrische Frau ihn spüren lässt. Ein Geheimnis gilt es zu lüften, Menschen und Handeln zu verstehen; Freundschaft, Kriegstraumata, vom Dunkel ins Licht gehen … Allage, Jugendbuch ab 12 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste von Jakob Hein

  Der neue Assistent der Ostberliner Plankommission, Grischa, soll sich um die wirtschaftlichen Beziehungen zu Afghanistan kümmern. Genosse Burg, der Chef, erklärt das Problem: «Die Afghanen haben nichts.» Grischa ist kreativ, bricht in die Monotonie der alten Männer ein, vor Arbeitskraft strotzend, und er äußert eine verwegene Idee. Grischas Chef kommt aus dem Staunen nicht raus, ebenso die greisen Minister im Zentralkomitee: Wir lassen die Genossen in Afghanistan Medizinalhanf produzieren, den wir an die Bürger der BRD gegen kräftige Devisen verkaufen. Ein Schelmenroman, eine coole Persiflage, die satirisches Licht in diese Angelegenheit bringt, auf jeden Fall gute Unterhaltung. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste von Jakob Hein

Rezension - Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Die spannenden Kurzgeschichten, gespickt mit ein wenig Seemannsgarn haben eins gemeinsam: Hier geht es um Segelschiffe, um Dreimaster. Wir tauchen ein in eine Zeit der rauen Seefahrt. Spannend und atmosphärisch, ein wenig Humor und Seemannsgarn – Kurzgeeschichten über Schiffe und Menschen, die zur See fahren. Meine Empfehlung für den Klassiker mit ausgewählten Erzählungen von Elinor Mordaunt! Weiter zur Rezension:    Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein

  Lauenstein und Gottschall laden wieder dazu ein, die Vielfalt und Hochwertigkeit der regionalen italienischen Küche zu entdecken. Eine Reise durch Italien mit Fotos von Landschaften und Menschen, von hervorragenden Rezepten. Die Frühjahrs-Sommerküche überzeugt durch die Qualität der Zutaten, denn das ist der Grundstock des Geschmacks. 70 Rezepte zu saisonalen Besonderheiten, Ursprüngen, Küchengeschichten, italienische Kultur und Feste – saisonale Schätze und Spezialitäten spielen zu bestimmten Anlässen eine große Rolle. Wieder ein sehr gutes Kochbuch, das Liebhaber der italienischen Küche im Regal stehen haben sollten. Weiter zur Rezension:    Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein 

Rezension - Die Familie von Sara Mesa

  In dieser Familie gibt es keine Geheimnisse, darauf bestehen Vater und Mutter, scheinbar eine ganz gewöhnliche Familie: Vater, Mutter, zwei Söhne, zwei Töchter. Aber alle spielen Theater, verstellen sich, verschweigen, erfinden kleine Lügen. Sara Mesas Erkundung des Mikrokosmos einer Familie ist unerbittlich, beklemmend genau. Letztendlich haben wir hier eine Ansammlung von Kurzgeschichten zu den verschiedenen Familienmitgliedern, die in der Gesamtheit diese Familie widerspiegeln. Ein perfides Spiel, das diese Eltern hier betreiben. Die Familie klebt an die, tief in deiner Seele – fein beobachtet, sarkastisch, satirisch, beste spanische Literatur. Weiter zur Rezension:    Die Familie von Sara Mesa

Rezension - Die Welt der Haie von Darcy Dobell und Becky Thorns

  Lerne die faszinierenden Lebewesen der Ozeane kennen  Haie zählen zu den ältesten Lebewesen dieser Erde. Sie schwammen bereits durch die Ur-Ozeane, lange bevor es Dinosaurier gab. Viele Legenden ranken sich um die Tiere mit den furchteinflößenden spitzen Zähnen. Doch wie gefährlich sind Haie wirklich? In diesem Buch erfahren wir nicht nur, weshalb Haie Überlebenskünstler sind und wie viele verschiedene Arten wir heute kennen, sondern auch einiges über ihre besonderen Gebisse, ihr eigentümliches Seitenlinienorgan und ihren ausgezeichneten Geruchssinn. Ein sehr feines Sachkinderbuch zum Thema Meerestiere – Haie, ab 5/6 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Welt der Haie von Darcy Dobell und Becky Thorns 

Rezension - Devil’s Kitchen von Candice Fox

  Die Feuerwehrleute von «Engine 99» gelten als die Besten in New York – mutig, unerschrocken, verehrt. Was niemand ahnt: Sie sind parallel eine beinharte Gang, denn sie legen Brände, um im Chaos Vorbereitungen zu treffen, um später Banken und Juweliere auszurauben. Das könnte immer so weiterlaufen, wenn Bens Lebenspartnerin Luna und ihr Sohn nicht verschollen wären und er seine Kumpel nicht im Verdacht hätte, sie getötet und verscharrt zu haben. Er will es wissen! Und dafür ist er bereit, die Bande auffliegen zu lassen, sich selbst ans Messer zu liefern. Er bietet dem FBI an, wenn sie «seine Familie» finden, herausfinden, was mit Frau und Kind passiert ist, wer verantwortlich ist, dann packt er aus. Und so wird die freiberufliche Ermittlerin Andrea Nearland auf die Truppe angesetzt. Blockbuster – Spannung, die niemals abfällt! Klasse Thriller! Weiter zur Rezension:    Devil’s Kitchen von Candice Fox