Rezension
von Sabine Ibing
Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste
von Jakob Hein
‹Danke, alles bestens, Genosse Burg. Ich wollte nur fragen, ob ich mich schon mal einarbeiten kann. Vielleicht ein paar Unterlagen lesen, mich auf die anstehenden Aufgaben vorbereiten, so was›
Burg schaute ihn forschend an. ‹Es war klar, Tannberg, dass wir dieses Gespräch führen würden. Aber ich dachte, dass es nach einer Woche, und hoffte, dass es nach einem Monat passieren würde. Dass Sie hier nach einer Stunde stehen, spricht für Ihr Engagement und Ihre Einsatzfreude.›
Der neue Assistent der Ostberliner Plankommission, PlaKo, Grischa Tannberg, soll sich um die wirtschaftlichen Beziehungen zu Afghanistan kümmern, denn die hätten gern Maschinen, Fahrzeuge, Konsumgüter und Dünger in der DDR eingekauft. Genosse Burg, der Chef, erklärt das Problem: «Die Afghanen haben nichts.» Doch der junge Grischa, an der Hochschule für Wirtschaft als Jahrgangsbester abgeschlossen, ist kreativ, bricht in die Monotonie der alten Männer ein, vor Arbeitskraft strotzend, und er äußert eine verwegene Idee im sogenannten «Broschürenministerium». Ein genialer Plan, wie der marode «Laden» (DDR) an eine neue, überraschend gut sprudelnde Finanzquelle in Afghanistan gelangen könnte. Grischas Chef kommt aus dem Staunen nicht raus, ebenso die greisen Minister im Zentralkomitee: Wir lassen die Genossen in Afghanistan Medizinalhanf produzieren, den wir an die Bürger der BRD gegen kräftige Devisen verkaufen. Denn die West-Mark fehlt in der Kasse, weil man international für Ost-Mark nichts kaufen kann.
Als eifrig engagierte FDJlerin konnte sie Staatsnähe nachweisen. Der Staat sah sich als atheistisch, war aber auch nichts anderes als eine Religion. Der Sozialismus war so etwas wie Jesus - den Menschen nah und doch überirdisch. Der Kommunismus war der Gottesvater - unendlich gut, vollendet, ewiges Ziel aller Bemühungen und doch nie erreichbar. Sogar eine ganze Heiligengalerie gab es, die Kommunisten und Widerstandskämpfer vergangener Tage, von derer grundlegender Gutheit ihnen bereits in der Grundschule Geschichten erzählt wurden.
Eine herrliche Satire über die Probleme des Sozialismus, die Doppelmoral der Devisen. Der Mastfleischdeal mit Franz Josef Strauß oder die Herstellung von Konsumgütern für den Westen, die im Osten nicht zu erwerben waren werden nebenbei erwähnt. Cannabis als Medizinhanf, denn die medizinischen Vorteile sind wissenschaftlich erwiesen, so die Analyse. Alle rauchen, saufen Alkohol legal – und jeder weiß, dass diese Drogen krank machen. Warum also soll der Medizinhanf schädlicher sein? Logisch! Eine Biologin wird mit einem Gutachten beauftragt. Eigentlich beschäftigt man sich in der PlaKo mit Nichtstun. Nun rauchen plötzlich die Köpfe. Dienstreise nach Afghanistan mit Verkostung - man will ja testen, ob das Kraut nicht doch schädlich ist. Am meisten staunt allerdings kurz darauf der Polizeichef von Westberlin, als sich am Grenzübergang Invalidenstraße tumultartige Szenen abspielen, und zwar auf der «falschen» Seite. Schnell hat es sich in der Szene herumgesprochen, wo man hochwertige, unverschnittene Ware legal erwerben kann: Der Schwarze Afghane wird ein Riesenerfolg, Hunderte junge Leute wollen nach drüben, für einen Kurzbesuch, bezahlen ihre 25 DM Tagesgebühr. Was geht dort hinter der Grenze ab, wo ein kleiner Kiosk afghanische Keramik, Schals und Mützen verkauft? Ein neuer Trend? Als die Regierung in Bonn Wind davon bekommt, wird die Lage brenzlig. Doch da macht der Osten dem Westen ein Angebot, das er nicht ablehnen kann!
Wir könnten anführen, dass im Sozialismus die wissenschaftlich-rationale Sicht von größter Bedeutung ist, im Gegensatz zu den alten Zöpfen der bourgeois-dirigistischen Weltbetrachtung. Und die BRD müsste dann überlegen, wie sie mit dem Problem umgeht … Am Ende müssten die sogar Grenzkontrollen einführen. Und das an einer Staatsgrenze, die sie eigentlich nicht anerkennen wollen. Das wäre natürlich ein ungeheurer politischer Erfolg für die fortschrittlichen Kräfte.
Vielleicht erkennt die Westjugend den Vorteil des Sozialismus und lobt ihn mit höchsten Worten – die Kette der Pro-Argumente ist lang. Zu verlockend ist die Aussicht auf die rollenden Devisen, die benötigt werden, damit der Regierung nicht der «Laden um die Ohren fliegen würde». Beschlossen der Vertrieb; so wird das Zeug gleich hinter der Grenze unter die Leute gebracht, was die westliche Regierung nicht auf sich sitzen lassen kann. Nur, wie kommt man heraus aus der Nummer, fragen sich die West-Politiker? Und der Osten fragt sich: Was können wir verlangen, wenn wir den Verkauf einstellen? Ob Erich Mielke oder Rainer Barzel, hier wird jeder verkackeiert. Es wurde viel gerätselt, was Strauß beim legendären Gulaschessen 1983 zum Abschluss des Milliardenkredits der Bundesrepublik für die DDR bewog. Eine Finanzspritze für ein verhasstes System? Ein Schelmenroman, eine coole Persiflage, die satirisches Licht in diese Angelegenheit bringt, auf jeden Fall gute Unterhaltung. Empfehlung!
Jakob Hein wurde 1971 in Leipzig geboren. Er ist der Sohn des Schriftstellers Christoph Hein. Er lebt als praktizierender Arzt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Berlin.
Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste
Zeitgenössische Literatur, Schelmenroman, Satire, DDR
Hardcover, 256 Seiten
Galiani Verlag, Berlin 2025
Zeitgenössische Literatur

Zeitgenössische Roman
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