Rezension
von Sabine Ibing
Die Wahnsinnige
von Alexa Hennig von Lange
Doch was ich damals nicht verstand, was ich einfach nicht verstand in dieser verblendeten Glückseligkeit, war, dass es aus dem Traum auch immer ein Erwachen gibt, dass es zur Zweisamkeit auch die Einsamkeit gibt, dass das Gegenteil von Macht die Unterdrückung ist. Und dass dieses regennasse Flandern und mein mir zugewiesener Mann nicht meine Befreiung, sondern meine Zerstörung sein würden. Juan Rodriguez, die Welt ist von einer schlimmen Epidemie erfasst, die Menschen anderen Menschen aus Selbstsucht und Freude am Triumph furchtbare Dinge antun lässt. Und mein Mann ist einer von ihnen und dafür wird er büßen.
Ich hatte eher etwas Biografisches erwartet, mehr Historisches. Alexa Henninig hat einen netten Roman geschrieben, mit historischen Hintergrund, so würde ich es bewerten. Sie versetzt sich in Johanna von Kastilien, die Tochter und die Thronfolgerin von Isabella von Kastilien, und König Ferdinand II von Aragon, eine Thronfolgerin, die nie Regentin werden sollte, dies auch nie wollte. 1503: Der Roman beginnt zirka ein Jahr vor dem Tod von Isabella, der Katholischen, die zu diesem Zeitpunkt schon sehr krank ist. Sie hält ihre Tochter auf der Festung La Mota in Medina del Campo gefangen, damit sie in Spanien bleibt – sie befürchtet einen Anschlag auf Johanna oder Intrigen auf das spanische Königshaus, hält Johanna für indoktrinierbar. Auch will sie die Tochter zum Beten und Beichten zwingen, wie es sich für eine Katholische gehört, als Thronfolgerin. Historisch verbrieft, zeigte sie einen deutlichen Mangel an Glauben, verweigerte die Beichte, teilweise selbst den Besuch der Messe. Ihre Mutter Isabella vertrieb zu dieser Zeit mit der Inquisition alle Juden und Mauren aus dem Land, die Ungläubigen. Cisneros, der Beichtvater von Mutter und Tochter, war gleichzeitig der Primas von Spanien, der Großinquisitor, der sich ein solches gottloses Verhalten nicht gefallen lassen konnte. Eine spanische Königin ohne verfestigten Glauben – nicht denkbar.
Wer darf im Namen von «La Loca» regieren? Vater oder Ehemann?
Du wirst sehr bald erkennen, wie gefährlich die Welt für eine Thronfolgerin werden kann.
Doch Johanna möchte nach Flandern zurückkehren, zu ihrem Mann, König Philipp (der Schöne) und zu ihren Kindern. Die Mutter lässt sie ziehen. Zurück in Brüssel, ignoriert sie ihr Mann, der bekannt dafür ist, einen Haufen Mätressen um sich zu scharren. Sie macht ihm eine öffentliche Eifersuchtsszene, wobei sie ein Messer in der Hand hielt – historisch verbrieft – ein weiteres Dokument für «La Loca». Plötzlich überschüttet Philipp sie mit Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Isabella ist wieder schwanger. Als die Nachricht vom Tod ihrer Mutter eintrifft, erfährt sie auch, dass diese verfügt hat, solange Johanna sich nicht in Spanien aufhält, wird das Land von König Ferdinand II regiert, und ebenso verfügt sie, dass Johanna nur den Thron besteigen darf, «wenn sie zu regieren vermag». Fast ein Freibrief, «La Loca» als völlig verrückt darzustellen. Philipp wähnt sich bereits als König von Kastilien, bald von ganz Spanien. Für die Männer geht es um die Frage, wer darf im Namen von «La Loca» regieren? Vater oder Ehemann … Philipp und Johanna reisen im September 1506 nach Kastilien, zum Casa del Cordón in Burgos. In dem Vertrag, den Philipp und Ferdinand II. schließen, gibt es bereits einen kleinen, fast unmerklichen Passus, der bezeichnet, dass Johanna in ein Klosterexil geschickt werden soll. Doch kurz bevor die Frage um die Regentschaft geklärt ist, verstirbt Philipp plötzlich an hohem Fieber. Es gibt Gerüchte. An dieser Stelle endet der Roman. Schade.
Titularkönigin
Juana I de Castilla, genannt «Juana la Loca», die Wahnsinnige, 1479 geboren, verstorbenen 1555. Infantin von Aragón, Kastilien und León, von 1504 bis 1506 Königin, von 1506 bis 1555 Titularkönigin von Kastilien und León, von 1516 bis 1555 Titularkönigin von Aragón, womit sich die spanischen Königreiche in ihrem Erbe als Personalunion vereinigten zum Königreich von Spanien. Nach dem Tod ihr Mutter tritt sie mit ihrem Mann als gleichberechtigte Regenten den kastilischen Thron an, was Ferdinand II. verärgert. Er «beerbt den Schwiegersohn» als Regent, heiratet bald erneut, um einen Thronfolger zu zeugen, der, männlich, vor Johanna in der Thronfolge von Aragón stehen würde. Ein Sohn wird geboren – der aber Tage später verstirbt. Nach dem Tod von Ferdinand II. wird Johanna Königin über die Reiche beider Eltern, allerdings nur als Titularkönigin. Ihr Sohn Carlos I., wird mit ihrer Zustimmung 1516 König von Kastilien, León und Aragón und gilt als der erste König von Spanien.
Der Vater stellte Anspruch auf den Thron
Johanna hatte als drittes Kind wenig Aussichten auf die Krone ihrer Eltern. Schon als Kind schockierte sie mit extremen Wutanfällen und Exzentrik. Die politische Heirat mit dem Hause Habsburg, mit Philipp (dem Schönen) von Flandern verlief zunächst harmonisch, die Liebe funkte auf beiden Seiten. Leider gestaltete sich Johanna als schwierig, da sie hin und wieder von heftigen Wutanfällen, bzw. Melancholie geplagt war. Philipp, wie damals üblich, war von Mätressen umgeben, was Johanna nicht zu akzeptieren vermochte. Diverse Todesfälle in der Erbfolge ihrer Eltern sorgten dafür, dass Johanna 1500 die alleinige Erbin von Kastilien, Aragon, Leon und Granada wurde. Es wurden ihr Waschzwang nachgesagt und eine zeitweise starke Melancholie, die mit Nahrungsverweigerung einherging, so wie unbegreifliche Wutausbrüche. Ihre Großmutter war definitiv im Alter psychotisch. Johanna erhielt den Beinamen «die Wahnsinnige» schon sehr früh. Ob sie allerdings nicht in der Lage gewesen wäre, ihr Amt auszuführen, ist fraglich – nicht mehr nachzuvollziehen. Garantiert gab es eine Menge an mächtigen Menschen, die dies verhindern wollten. Kirchlicherseits galt sie als unerwünscht, ihr fehlte der katholische Zug. Vater, Ehemann und Sohn wollten lieber selbst regieren. Der Vater stellte Anspruch auf den Thron, hatte Cisneros im Schlepptau. Johanna stellte sich dem entgegen und regierte eine Weile allein. Als ihr Vater vom Kriegszug aus Neapel zurückkam bat sie im um Hilfe, da sie sich überfordert fühlte, übergab ihm die Regierungsgeschäfte. Erwähnt wird in diesem Buch leider auch nicht, dass Johanna völlig aufgelöst nach dem Tod ihres Mannes in extreme Trauer versank, der immer noch nicht beerdigt war, und nun ein Jahr später, monatelang mit dem Sarg ihres Mannes, durch Kastilien zog, um Philipp in Granada zu begraben, was sein Wunsch war, aber von Ferdinand II. blockiert wurde. Auf Geheiß ihres Vaters wurde Johanna dann 1509 im Kloster von Tordesillas eingesperrt, angeblich geisteskrank, und dort verblieb bis zu ihrem Tode. Nach dem Tod ihres Vaters wurde sie auch offiziell Königin von Aragon und Leon, immer noch eingesperrt, die Regierungsgeschäfte übernahm ihr damals 16-jähriger Sohn, Erzherzog Karl von Österreich (Carlos I), der keinen Finger rührte, sie herauszuholen. Als rechtmäßige Königin war sie 46 Jahre lang eingesperrt im Kloster von Tordesillas. Im Alter von 75 Jahren starb sie an den Folgen einer Verbrühung
Eine moderne Sicht
Alexa Hennig von Lange schreibt im Nachwort, für sie steht nicht die Frage, ob jemand wahnsinnig wird, sondern warum. Die Frage nach dem warum in Bezug auf psychische Störungen sind auch heute am Lebenden schwer zu klären. Oft ist eine genetische Anlage vorhanden, der Auslöser ist differenziert zu sehen. 500 Jahre zurückzuforschen, ist meiner Meinung nach nicht möglich. Wir greifen auf Quellen zurück, klar – nur wer hat sie damals geschrieben? Aus wessen Sicht, aus wessen Intension. Was ist unsere Sicht heute – was vermischt sich hier? Was eindeutig ist, Johanna war ein Spielball der Macht. Ihre möglichen emotionalen Ausbrüche haben vielleicht dafür herhalten müssen, sie als verrückt zu erklären. Wäre sie in der Lage gewesen, ein solch großes Reich zu regieren? Das können wir heute nicht mehr beurteilen. Alexa Hennig von Lange nimmt die Perspektive der historischen Figur ein, ebenso im Austausch die dritten Person, distanziert, ein Wechsel zwischen Figur und Erzählerin. Die Autorin nimmt eine heutige feministische Haltung für ihre Figur ein, «Frauen haben in der Ehe keine Eigenständigkeit», die Protagonistin fordert eine Neuordnung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Das halte ich für zweifelhaft, zumal ihre Mutter eine sehr starke Herrscherin war, die sich bereits in der Jugend den Thron gesichert hatte und ihren Ehemann selbst erwählte, (unziemlich) um seine Hand angehalten hatte, die für sie vorbestimmten Ehemänner ablehnte. Die Autorin beschreibt die Abneigung von Johanna, zur Beichte zu gehen, eine Frau, die nicht unbedingt an einen Gott glaubt; schildert ihre inneren Konflikte, Wutausbrüche, ihre Eifersucht. Nicht glaubhaft erscheint mir, dass sie ihrer Mutter vorwirft, Juden und Muslime aus dem Land zu treiben im Namen der Kirche, letztendlich um sich an den Ländereien zu bereichern – auch hier eine moderne Sicht. Am Anfang des Romans lehnt sie es ab, sich um ihren Sohn in La Motta zu kümmern, fühlt sich nicht als Mutter, berichtet vom Unglück ihrer Ehe. Aber warum will sie nun plötzlich zurück nach Flandern (ohne ihren Sohn)? Dort zeigt sie sich dann als liebevolle Mutter, leidet unter der Zurückweisung ihres Mannes, lässt sich dann doch wieder einlullen von «dem Schönen»; sie verbringen fast zwei Wochen im Bett. Für mich passt das psychologisch nicht alles zusammen. Die Autorin begibt sich in die Rolle einer historischen Figur, kann aber nicht Position in der Figur beziehen, mag sich nicht festlegen. Aber genau das braucht es, um sich ernsthaft auf den Charakter einzulassen, egal in welche Richtung. War sie verrückt oder nur eine hoch emotionale Persönlichkeit? In dieser Perspektive muss man sich entscheiden. Die Autorin schwimmt aber, hält sich nach allen Seiten offen. Sie beantwortet auch die Frage nicht, die sie beantworten wollte: Warum wird einer verrückt? Das Zeitfenster für diesen Roman ist kurz, es handelt sich um zwei bis drei Jahre, die des Machtspiels um die Krone und um eine kurze Rückschau. Um diese Frage zu beantworten, müsste man bis zur Geburt zurückgehen, die gesamte Persönlichkeit aufblättern. Und wie gestaltete sich ihr Leben im Kloster von Tordesillas wirklich?
Gut geschrieben - aber nicht istorisch
Ein Roman, der gut zu lesen ist, gut geschrieben, mit Emotion, Sex und Leidenschaft. Mit Juana I. de Castilla, genannt «Juana la Loca» hat dieses Buch nicht viel zu tun. Es ist die Innenansicht einer historischen Figur, leider beschrieben aus einer heutigen Sicht und für mich psychologisch nicht ausgeleuchtet. Netter Roman, mehr auch nicht.
Die Wahnsinnige
Roman, historischer Roman
Gebunden mit Lesebändchen, 208 Seiten
Dumont Verlag, 2020
Historische Romane und Sachbücher
Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter. Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz. Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.Historische Romane
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