Direkt zum Hauptbereich

Die dunkle Stunde des Jägers von Davide Morosinotto - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Die dunkle Stunde des Jägers 


von Davide Morosinotto


Nordamerika 12.000 vor Christus: Roqi und seine Freunde sind die Jüngsten – einige von ihren haben ihre Gabe noch nicht gefunden und dürfen deshalb nicht auf die große Jagd, die anderen fiebern auf das Ereignis zu. Kinder und Jugendliche aus der Steinzeit sind als Gruppe unterwegs, als aus der Richtung ihres Lagers ein Waldbrand auf sie zukommt. Sie rennen mit den Tieren um ihr Leben und können sich in einen Teich flüchten. Der Großflächenbrand legt sich – doch sie haben alles verloren, was ihnen lieb und teuer war: ihren Stamm, ihre Familien, ihre Behausung. Allein streifen sie durch die Wildnis, auf der Suche nach Nahrung und Schutz vor Raubtieren. Sie müssen einen neuen Stamm finden, nur so können sie überleben. Da stoßen sie auf das Lager von Stammesoberhaupt Hiti. Ob es richtige Idee war, sich hier eingliedern zu wollen?


Schutzlos ausgeliefert


Die Jugendlichen hoffen, dass noch jemand überlebt hat. Doch das Lager und alle Menschen, die hier wohnten, sind tot. Dinge, die noch brauchbar sind, sammelt das Grüppchen heraus, und sie ziehen fort in Richtung zum kälteren Land (aus dem sie ursprünglich stammen), bauen sich einen Unterschlupf, fangen Fische, flechten Seile und erlegen das ein oder andere Tier. Doch sie wissen, ihnen fehlt es an Erfahrung und die kleine Gruppe hat allein keine Überlebenschance. Schon bald entwickeln sich unter den fünf unterschiedlichen Charakteren Rivalitäten und Neid bis hin zum Verrat. Roqi  ist Hauptperson ein Eigenbrötler, aus dessen Sicht die Geschichte in der Ich-Perspektive geschildert wird. Roqi hat bewiesen, dass er die Gabe des Jägers besitzt. Nur jemand, dem die Gabe offenbart ist, darf an der Jagd teilnehmen. Allerdings wird die Gabe erst nach Ritualen beim Stammestreff anerkannt. Den Stamm gibt es ja nicht mehr, und so besteht Roqi darauf, an der Jagd teilzunehmen. Der Meinung ist nicht jeder in der Gruppe. 




Das Setting ist atmosphärisch beschrieben. Frühzeitliche Flora und Fauna wird bildhaft ausgemalt. Die Sprache übernimmt nicht einfach unser Vokabular, sondern erfindet kreativ neue Begriffe für Tiere und Pfanzen, z.B. Elefanten heißt hier Gigant, genannt, der Sturzgreifer ist Falke und Todesflügel ein vorzeitlicher Vogel; das Riesenfaultier heißt Blattfresser, Nashorn Panzertier. Besonders haben mir Ästeschädel für den Hirsch und Wollrücken für eine Art Bison gefallen. Der Überlebenskampf ist hart, Gefahren laueren überall. Den Jungen Menschen fehlt es an handwerklichem Wissen und Jagderfahrung. Der Tod kommt aus dem Nichts, viele tierische Feinde sind den Kindern überlegen. 


Es hätte ein gutes Buch werden können ...

Ein Abenteuerroman, der im Prinzip hätte gut werden können. Davide Morosinotto berichtet im Nachwort, dass er planlos geschrieben habe. Und genauso ist die Struktur. Trotz aller Abenteuer und spannender Momente kommt keine Stimmung auf und keine Spannung – die Charaktere entwickeln sich nicht, bleiben farblos, sogar der Hauptcharakter. Kann man lesen -aber die Seiten glühen leider nicht, so wie man das bei einem Abenteuerroman erwarten könnte. Das Ende ist entweder als depressiv zu deuten oder als Cliffhanger, bei dem die Lösung im nächsten Teil liegt. Auch das ist für einen Jugendroman nicht unbedingt gelungen. Auch im Ende spiegelt sich die Planlosigkeit wieder. Ein Jugendbuch, bei dem der Spannungsbogen wie eine Wäscheleine gespannt ist. Die Szenen hängen obendrauf und irgendwann hängt die Leine in der Mitte durch. Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur hat den Jugendroman als Umwelt-Buch des Monats Dezember 2022 gewählt. «Selten wurde so packend über die Steinzeit erzählt, denn neben der abenteuerlichen Handlung geht es auch um klimatische und evolutionäre Veränderung sowie die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ein Roman voller Überraschungen, der den Lesenden in eine andere Zeit entführt und nachdenklich zurücklässt!» Dem kann ich leider insgesamt nicht folgen. Die Klimaveränderung wird hier angedeutet – aber ob ein Kind das zwischen den Zeilen herausliest? 

Kein schlechtes Buch, keineswegs. Doch leider ein strukturloses Abenteuerbuch ohne Tiefe und fiebernder Spannung. Fabio Visintin hat dies Buch illustriert. Auf Doppelseiten hat er in Schwarzweiß stimmungsvoll die Steinzeit eingefangen. Der Thienemann Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 12 Jahre. Das passt für mich.



Davide Morosinotto wurde 1980 in Norditalien geboren. Bereits mit 17 Jahren schrieb er seine erste Kurzgeschichte. Seitdem hat er über 30 Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Sein Kinderbuch «Die Mississippi-Bande» wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Für sein Jugendbuch «Shi Yu» wurde er mit dem «Premio Strega», dem wichtigsten Literaturpreis Italiens ausgezeichnet. Davide Morosinotto lebt als Autor, Journalist und Übersetzer in Bologna. 

Fabio Visintin, geboren 1957 in Italien, machte sich als Comiczeichner einen Namen, bevor er sich dem Illustrieren von Kinder- und Jugendbüchern widmete. Er lebt als Autor und Illustrator in Venedig.




Davide Morosinotto
Die dunkle Stunde des Jägers
Originaltitel: L’ultimo cacciatore, 2021
Aus dem Italienischen übersetzt von Cornelia Panzacchi
Mit Grafiken von Fabio Visintin
Jugendroman, Abenteuerroman, Steinzeit, italienische Literatur, Kinder- und Jugendliteratur 
Hardcover, 288 Seiten
Thienemann Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 12 Jahre








Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Die Lotsin von Mathijs Deen

  Was geschah auf dem Forschungsschiff? Kaum hat vor Helgoland eine Übung des niederländischen, deutschen und dänischen Grenzschutzes begonnen, geht bei der Küstenwache ein Notruf ein. Eine Klimaforscherin , die mit einem US-Forschungsschiff auf dem Weg von Grönland nach Kiel war, wird vermisst. Xander Rimbach , Ermittler der Bundespolizei See , geht an Bord. Zunächst weist alles auf einen Suizid hin. Rimbach drückt aber das Bauchgefühl, dass hier ordentlich gemauert wird. Irgendetwas stimmt nicht auf diesem Schiff. Ein literarischer Krimi, Kriminalliteratur vom Feinsten. Weiter zur Rezension:    Die Lotsin von Mathijs Deen