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Der Würger von der Cater Street von Anne Perry - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Würger von der Cater Street 


von Anne Perry


Der Anfang: 

Charlotte Ellison stand in der Mitte des Salons; in der Hand hielt sie eine Zeitung. Ihr Vater war sehr nachlässig gewesen, sie auf dem Beistelltisch liegen zu lassen. Er missbilligte es, wenn sie solche Sachen las, und zog es vor, ihr über die Ereignisse von allgemeinem Interesse, die er für junge Damen geeignet hielt, selbst zu berichten.


Dies ist der erste Band von Anne Perrys Bestseller-Krimiserie (32 Bände) von 1979, ein historischer Krimi, der 1881 im viktorianischen England spielt. Gleich vorweg, vom Krimi habe ich nicht viel verspürt, das liegt in der Anlage der Perspektive. Die sitzt im Haus der Ellisons in der Cater Street. Zunächst erfahren wir einiges über die drei Schwestern einer hochgestellten Familie in London. Doch dann wird das behütete Leben von Sarah, Charlotte und Emily durch eine Serie von Frauenmorden in der Cater Street erschüttert. Inspector Thomas Pitt und sein Kollege kommen ins Haus der Ellisons, um die Bewohner zu befragen, als eins der Dienstmädchen dem Würger zum Opfer fällt. Selbst der Butler und der Vater stehen im Bereich der möglichen Verdächtigen. Inspector Pitt samt seiner Polizeiarbeit ist eine Nebenfigur. Die Hauptprotagonistin ist Charlotte, die nach anfänglichen Zusammenstößen den Inspector interessant findet und sich für seine Arbeit interessiert. Und wie der Untertitel schon hinweist, «Thomas & Charlotte Pitt-Krimis»: sie werden heiraten.


Letztendlich geht es in diesem Roman weniger um den Kriminalfall, Motive, Ermittlung, sondern um die Darstellung der viktorianischen Zeit, um Standesdünkel. Charlotte Ellison ist ein Freigeist mit losem Mundwerk, bemüht, die Einschränkungen der viktorianischen Manieren zu erfüllen. Das Ende des historischen Krimis ist überraschend und ergibt sich eben nicht aus Logik der Recherchearbeit der Polizei. Die Schwestern sind sehr verschieden, Sarah, 26 ist bereits verheiratet, die Vernünftige, Charlotte, 23, ist unkonventionell, verwegen. Emily, 19, naiv, verliebt in einen adretten Adligen, den sie heiraten möchte, schon wegen des Adelstitels, wird von den Schwestern gewarnt, die Finger von dem Mann zu lassen: ein verarmter Spieler, Trinker, der hinter allen Röcken her ist, einer, der nur scharf auf ihr Erbe sei. Die Mutter des Trios stammt ursprünglich nicht aus der gehobenen Gesellschaft und hat deshalb – so die Großmutter – die Töchter nicht standesgemäß genug erzogen. Die Oma ist durch und durch Lady, versucht, dies den Enkelinnen anzutrainieren.


‹Es ist alles schrecklich›, bekräftigte er erzürnt, ‹Armut, Verbrechen, Einsamkeit, Schmutz, chronische Krankheiten, Trunksucht, Prostitution, Bettelei! Sie stehlen, fälschen Geld und Dokumente, lebenn von Betrug und Prostitution. Nur vor Mord schrecken sie zurück, es sei denn, es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Und sie verlassen normalerweise ihre eigene Welt nur, wenn es u ihrem Vorteil ist. Aber es bringt keine Vorteile, drei hilflose Mädchen in der Cater Street zu erwürgen und sie dann nicht einmal zu berauben.›

 

Der Vater ist empört, als Pitt unangemeldet sein Haus betritt, weigert sich, ihn vorsprechen zu lassen. Ein unerhörtes Verhalten seitens eines Mannes der Unterschicht, einem Gentleman zu nahe zu treten. Wenn er Lust habe, mit ihm zu sprechen, wird er sich melden – oder nicht. Und überhaupt, ein Gentleman kann niemals ein Mörder sein! Pitt habe in kriminellen Kreisen nach dem Täter zu suchen. Doch Pitt lässt sich nicht abschütteln, erklärt dem Gentleman, dass die Polizei rede, mit wem sie will und wann sie will ... Charlotte ist beeindruckt. Und sie lässt sich von ihm erklären, dass Kriminelle stehlen, rauben, um ihren Unterhalt zu bestreiten; er erklärt das System, wie bereits kleine Kinder dazu ausgebildet werden. Ein Frauenmörder, der die Opfer nicht einmal ausraubt, gibt für diese Kreise keinen Sinn. Es muss sich um eine Person handeln, die psychisch gestört ist – und die kann in allen Gesellschaftsschichten zu finden sein. Die Geschichte um die Schwestern ist letztendlich eher dem Gesellschaftsroman zuzuordnen, als einem Krimi. Die Geschehnisse dümpeln dahin, der Krimileser wird gähnend irgendwann das Buch beiseitelegen. Wer sich für die historische Zeit interessiert, Storys wie «Downton Abbey» liebt, dem wird der Roman gefallen. Ich steige nach dem ersten Band aus.


Anne Perry wurde 1938 als Juliet Marion Hulme in London geboren. Ihre frühesten Kindheitserinnerungen stehen in Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, der ständig drohenden Gefahr und den lauten Geräuschen. Den Großteil ihrer Jugend verbrachte Perry dagegen in Neuseeland und auf den Bahamas, da sie mit sechs Jahren an Tuberkulose erkrankte und das warme Klima ihr zu besserer Gesundheit verhalf. Als Jugendliche musste sie für mehrere Jahre wegen Mordes ins Gefängnis - Perrys Geschichte wurde 1994 sogar von Peter Jackson verfilmt. Nach ihrer Entlassung 1959 kehrte Perry nach England zurück. Dort schlug sie sich mit verschiedenen Jobs durch, während sie nebenbei mit dem Schreiben begann. Nach vielen Absagen veröffentlichte sie 1979 ihren ersten Roman, „Der Würger von der Cater Street“. Ihre Kriminalgeschichten, für die sie bereits mit dem Edgar Allan Poe Award und dem Agatha Award ausgezeichnet wurde, spielen zumeist im viktorianischen England. Anne Perry lebt und arbeitet heute in einem kleinen Dorf in Schottland.



Anne Perry
Der Würger von der Cater Street
Originaltitel: The Cater Street Hangman, 1989
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Tondorf
Reihe: Thomas & Charlotte Pitt-Krimis, Teil 1
Krim, Kriminalroman, Viktorianisches Zeitalter, historischer Krimi, Gesellschaftsroman, Englische Literatur
Taschenbuch, 304 Seiten
Adrian, Wimmelbuchverlag, 2022




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