Rezension
von Sabine Ibing
Der gelbe Elefant
von Heinz Strunk
Ich bin ein Strunk-Fan seit seinem ersten Buch: «Fleisch ist mein Gemüse» 2004, bis heute eins meiner Lieblingsbücher. Er ist seinem Stil treu geblieben: bissiger Humor, zeitgenössische Themen, Typen aus dem Leben gegriffen, oft solche, die man nicht kennenlernen möchte. Alkohol spiel meist eine Rolle und Männer, die Frau eher mit der Kneifzange anfassen würde. Zwischendurch gab es einen historischen Roman, eine Biografie, Abschnitte aus dem Leben des Hamburger Serienmörders Fritz Honka (Der goldene Handschuh) – wobei er ganz tief in die seelischen Abgründe gegriffen hat. Abgründe – das Thema von Heinz Strunk. Früher mit jungem Gemüse mit mehr Humor, heute Themen zum alternden Mann, noch scharfzüngiger, noch abgründiger. Und nun legt er einen Band mit Kurzgeschichten vor.
Und dann sind auch noch die Kroketten aus!
Der Vorrat an Worten ist bald aufgebraucht, schneller als gedacht, der Abend droht jetzt schon stecken zu bleiben, die angespannten, gereizten Pausen häufen sich. Olli wird bewusst, wie krampfhaft er die Hände ballt. Die kleine Schürfwunde, die er sich, ohne es zu merken, an seinem Schienbein zugezogen hat, brennt.
Die erste Geschichte der Kroketten erinnert mich ein wenig an Loriots «Der Kosakenzipfel», die Campingfreundschaft zweier Paare, die sich beim Restaurantbesuch entzweien, und die mit dem letzten Schrei «Winselstute!» endet. Hier geht es um zwei Paare, die sich im Griechenlandurlaub angefreundet haben und sich natürlich beim Griechen treffen. Das Lieblingsrestaurant der einen, bei dem heute nichts klappt. Man muss auf die Bedienung warten und dann sind auch noch die Kroketten aus! Für Andi ein Drama; jetzt nur noch schlecht gelaunt. Und dann passiert es:
Kurzgeschichten aus dem Leben gegriffen
Die bittere Erkenntnis: Eine Urlaubsbekanntschaften ist eine Urlaubsbekanntschaft ist eine Urlaubsbekanntschaft und hat mit dem richtigen Leben nichts zu tun. Hätte man wissen können, wissen müssen. Soeben scheitert der neunmillionste Versuch, sie in eine Freundschaft fürs Leben zu überführen. Das wird ein kurzer Abend.
Dieser Abend zwischen «Björnischmörni und Swantjischwantji und Claudi und Andi» endet ohne Geschrei, aber mit hohem Frustpotential. Kurzgeschichten, die das Leben schreibt. Alternde Herren, die sich etwas beweisen müssen, auf ihren Fahrrädern zu Hochleistung auffahren, die sportelnden Rentner, die «Dörrobstopis». Eine Thai-Massage am Strand – hätte er sich bloß vorher informiert, was das bedeutet … Eine Geschichte in diesem Buch erzählt von einer Seniorenorganisation namens «Freiwillig über die Klippe». – Ein Experte erlebt in der Talk-Show von Markus Lanz «einen dickfelligen Ministerpräsidenten» der die anderen «wegwatschelt, niederwalzt, plattmacht». Gleich springt aus der Erinnerung einer, der gemeint sein könnte. – Vielleicht eine wahre Geschichte: Nachrichten von Carola, von der ein Autor namens Heinz eine Nachricht von der anderen aufs Handy erhält … Sie hat ihn lieb; sitzt oft in einer Kneipe in seiner Nähe. Er soll mal rüberkommen, alle sind so lustig drauf, «lachi lachi saufi saufi spaßi spaßi» … – Ein Obdachloser beschimpft täglich von seiner Bank aus Passanten. Einer spricht den Mann freundlich an; und siehe da, er bekommt eine freundliche Antwort.
Strukige Geschichten, strunkige Worterfindungen, bitterböser Humor
Männer ohne Eigenschaften. Tragen Käppis, um den allgemeinen Mangel an Substanz zu betonen. Selbst Marks Eltern tun sich schwer damit zu sagen, was für ein Typ ihr Sohn eigentlich ist.
Heinz Strunk ist ein Meister im Worterfinden und in prägnanten Beschreibungen seiner Charaktere. «Breitbeinig, dickschenklig und rotnackig, gedrungen und breit. Karsten, Bauer durch und durch, ist die Vierschrötigkeit in Person». Viel mehr braucht es nicht und wir sehen Karsten direkt vor Augen. Für mich haben Strunks Schilderungen stets etwas Fühlbares, Lebendiges, auch wenn es einen manchmal schüttelt: eine Hand «weich wie Toastbrot, spuckfeucht und lauwarm». Früher die beschrieb er eher junge Menschen und heute sind es die in die Jahre gekommenen und die Senioren. Männer waren immer das Thema. Armselige Gestalten, profunde männliche Vereinsamung, Charaktere, bei denen man zwischen Ekel und Mitleid schwankt. Alkohol und Frauen, «Luder steht in der Jägersprache für ein totes Tier, das als Lockmittel für Raubtiere benutzt wird», Beziehungskrisen, Alte, denen der Lebenssinn abhandengekommen ist. So banal, wie manches klingt in diesen verknappten Kurzgeschichten, so traurig und tiefsinnig ist die Message. Strunkige Geschichten, strunkige Worterfindungen, bitterböser Humor. Ich freue mich auf jedes neue Buch!
Kein Husten, kein Rasseln, kein Rascheln, kein Nichts. So leise wie das Kratzen eines Ameisenfußes, das Raspeln von Schmetterlingszähnen, das Rieseln von Staub. Die Alten haben wirklich einen entscheidenden Vorteil: Sie machen keinen Lärm mehr.
Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman «Fleisch ist mein Gemüse» hat er elf weitere Bücher veröffentlicht. «Der goldene Handschuh» stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Der gelbe Elefant
Zeitgenössische Literatur, Kurzgeschichten
Hardcover mit Schutzumschlag, 208 Seiten
Rowohlt Verlag, 2023
Ein Sommer in Niendorf von Heinz Strunk
Ein bürgerlicher Antiheld, ein Jurist namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf an die Ostsee, um ein Buch zu schreiben. In der Lübecker Bucht will er in der Abgeschiedenheit einen wichtigen Roman auf Papier bringen: eine Abrechnung mit seiner Familie. Eine bitterböse Gesellschaftssatire, eine Spezialität von Heinz Strunk, der es immer wieder schafft, die ekligsten Typen und Situationen in Szene zu setzen: gescheiterte Existenzen, Lebenslügen, Abstürze und peinliche Männer. Ein alternder Intellektueller in der Midlifecrisis, geschieden, missratene Tochter, beruflich abgearbeitet, eine bourgeoise Type – noch hoch auf seinem Ross. Der Absturz ist vorprogrammiert. Empfehlung – aber nichts für schwache Nerven.
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Eine katastrophale Liebesgeschichte, böse ... eine Satire wie man sie von Heinz Strunk kennt. Ein ehemaliger Musiker, Mitte vierzig, der nun Hörbücher in seinem Studio produziert, ist ja eigentlich gar nicht so unzufrieden mit seinem Leben. Freundin Julia geht ihm neuerdings auf die Nerven. Da lernt er Vanessa kennen, Schauspielerin, jung, strahlend schön, blond, kornblumenblaue Augen, magersüchtig, «ein echter Hingucker». Er fühlt sich ziemlich gebauchpinselt, als sie sich für ihn interessiert. Auf der Stelle verliebt hat er nun endlich einen Grund, mit seiner langjährigen Beziehung zu brechen. Nur, hat er jetzt eine Beziehung mit Vanessa? Eine herrliche Gesellschaftssatire zum Thema Midlifecrises.
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