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Das Geheimnis der Glasmacherin von Tracy Chevalier - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Geheimnis der Glasmacherin 


von Tracy  Chevalier


Der Roman beginnt auf 1468 auf deer Insel Murano, Venedig, die Wiege der Glaskunst Europas. Der tragische Tod des Glasmachermeisters Lorenzo Rosso durch einen Arbeitsunfall, bringt die Familie in Schwierigkeiten. Lorenzo war ein großartiger Künstler, seine Söhne Giacomo und Marco sind noch nicht so weit, das Ruder zu übernehmen, sie haben noch nicht einmal die Meisterprüfung bestanden. Giacomo ist fleißig, macht, was man ihm sagt; im Gegensatz zu Marco, der zwar Talent besitzt, aber immer nur das macht, wozu er Lust hat. Die Familie muss jetzt zusammenhalten, um zu überleben. Auch Tochter Orsola will ihren Teil dazu beitragen, lernt, wie man Perlen herstellt. Zunächst arbeitet sie heimlich und später, als ihr Bruder herausbekommt, was sie macht, lacht er darüber, lässt sie gewähren. Das Geld aus dem Verkauf, das Orsoa beim Verkauf bekommt, hält sie Stillschweigen. Es wird Marco später aus der Bredouille helfen. Glasperlen sind in Mode gekommen, und Frauen dürfen nicht in der Werkstatt am Brennofen arbeiten. Doch für diese Arbeit ist lediglich eine Zinnlampe und Talg nötig, um aus Glasstangen Perlen zu ziehen.


Eine langlebige Familie


Wir springen in der Zeit vorwärts. Mit der Zeit alla Venezia ist das möglich. … mit einem Satz springt er achtzig Jahre vorwärts.

Metaphorisch lässt Tracy Chevalier einen Kieselstein über das Wasser springen und schubst sämtliche Protagonisten über die Jahrhunderte, nach 1574, 1631  – bis in die heutige Zeit mit Corona und Smartphone. Das kann man so machen als Schriftstellerin. Man kann einen Generationenroman schreiben, die Familie sich weiterentwickeln lassen, was bedeutet, neue Protagonist:innen aufzustellen. In diesem Fall altern unsere Figuren eben extrem langsam über 500 Jahre. Ich fand es gewöhnungsbedürftig, doch auf der anderen Seite interessant, da parallel die Geschichte Muranos, Venedigs und die der Glaskunst eingeflochten werden. Die Glaskunst entwickelt sich, das Interesse für dies oder das ändert sich mit Mode oder Bedarf. Aber jede Familie ist bedacht, ihre Rezepte und Herstellungsgeheimnisse zu hüten. Ein Glasmacher kann eigentlich nur einer von Murano sein – und wer erstmal die das Handwerk gelernt hat, ist verdammt, sein Leben lang auf der Insel zu bleiben. Wer geht, kann nur heimlich versuchen zu fliehen; und er wird gejagt werden von Assassini, egal, wohin er geht. Denn sein Wissen darf nicht hinaus in die Welt getragen werden. Nur wenige haben es geschafft, lebendig zu entkommen. Und die haben ihr Wissen nach Prag getragen.


Glaskunst durch die Jahrhunderte


Laura wies mit dem Kopf zur Werkstatt. "Per favore, bring deinen Mann zur Vernunft. Wir werden alle noch wahnsinnig." Sie sahen sich einen Moment an, dann nickte Monica. Sie nahm die Schürze ab, gab sie Orsola, strich ihr blaues Kleid glatt und ging in die Werkstatt, die sie nur selten betrat; genau wie sein Vater wollte Marco dort keine Frauen haben. Kurz darauf führte sie ihren Mann an der Hand zum Haus und nach oben in ihr Zimmer. Dort blieben sie für den Rest des Tages.

Was mir gefallen hat, dass die Autorin uns keine touristische Reise durch Venedig antun wollte, sondern eine Stadtentwicklung. Natürlich kommen berühmte Plätze darin vor, aber darum geht es nicht. Murano gehörte lange nicht als Stadtteil zu Venedig, wie heute. Und Venedig war ein freier Stadtstaat, zu dem Murano gehörte, bis Napoleon das änderte, den Stadtstaat Italien zuordnete. Die Pest zieht zweimal über Venedig, die nächste Pest ist Napoleon, gefolgt von den Österreichern, die den Venezianern das Leben schwer machen. Und das alles nimmt Einfluss auf die Geschäfte mit dem Glas. Witzig fand ich, wie Tracy Chevalier Giacomo Casanova mit einflicht, und der Schlawiner natürlich seine Rechnung nicht begleicht, der in den Knast muss und aus den Bleikammer-Zellen des Dogenpalastes fliehen konnte. Neben Gläsern, Kelchen, dem Üblichen, wird später auch auf die Herstellung von Lampenperlen und Saatperlen gesetzt. Letztere, auch Rocailles Perlen oder Seed Beads, genannt wurden zunächst für die Ureinwohner der USA hergestellt, eine feine Handarbeit, die von den Frauen übernommen wurde, später maschinell hergestellt als Bastelperlen. Der Roman ist authentisch, atmosphärisch und gute Unterhaltungsliteratur. Weit entfernt von Kitsch wird hier gut recherchiert die Glaskunst im Lauf der Jahrhunderte und die Entwicklung von Venedig nähergebracht. Wer Venedig und die Glaskunst mag, wird sich begeistern können. Der Sprung durch die Jahrhunderte durch das gleiche Personal hat mich immer wieder stöhnen lassen, etwas, woran ich mich persönlich bis zum Schluss nicht gewöhnen konnte. Wenn Orsola in der Coronazeit sich an die Pest erinnert und meint, damals war es viel schlimmer, eingesperrt zu sein, dann ging mir das quer. Guter historischer Roman, Empfehlung.


Tracy Chevalier, geboren 1962, ist Autorin von elf Romanen. Ihr internationaler Bestseller »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« wurde über fünf Millionen mal verkauft, in fünfundvierzig Sprachen übersetzt und als Film, Theaterstück und Oper adaptiert. Aufgewachsen in Washington DC, zog sie 1986 ins Vereinigte Königreich und lebt dort heute mit ihrem Ehemann in London.

Geheimnis der Glasmacherin
Tracy  Chevalier
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Feldmann
Historischer Roman, Glaskunst, Murano, Venedig, Italien
Hardcover mit Schutzumschlag, 448 Seiten
Atlantik Verlag, 2024






Historische Romane und Sachbücher

Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter.  Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz.  Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.
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