Rezension
von Sabine Ibing
Aquitania
von Eva Garcia Sáenz
Das Blut der Könige
Dies ist die Geschichte meiner zwei Familien, der furchterregenden Herzöge von Aquitanien und der niederträchtigen Kapetinger, der Herrscher Frankreichs. Sie erzählt davon, wie wir uns hassten und unsere Lebenswege sich ein ums andere Mal kreuzten, bis wir uns gegenseitig zerstörten in jenem turbulenten zwölften Jahrhundert, in dem der Okzident sich für immer veränderte. Zwei Heranwachsende – Louis, König von Frankreich, und ich, Herzogin von Aquitanien – zogen mit rasenden Federstrichen, unter Verrat und Belagerungen, Blut und Samen die Grenzen dessen, was später Europa sein würde. Ich war eine frühreife Mörderin, mit acht Jahren genügten mir zwei Buchstaben: oc – «ja», in meiner geliebten okzitanischen Sprache –, um dem Leben meiner Peiniger ein Ende zu setzen. Überdies, das sollte ich hinzufügen, bin ich eine Tochter des Inzests und habe mich schuldig gemacht, meinen Onkel väterlicherseits, Raimund von Poitiers, in sündiger Weise geliebt und meinen Vetter Louis geheiratet zu haben. Die Macht war unser, unser waren die Kastelle und die Vasallen, unser der gesamte Reichtum dessen, was später Europa heißen würde. Unser waren die Île-de-France und Aquitanien, die Gascogne und Poitiers. Ich bin Eleonore von Aquitanien und dreizehn Jahre alt.
Wir schreiben das Jahr 1137: Der erste Troubadour, der Herzog von Aquitanien und der Gascogne, der umkämpftesten Region Frankreichs, wird in Santiago de Compostela tot aufgefunden. Er befand sich auf dem Jakobsweg. Seine Leiche ist durch den ‹Blutadler› entstellt, eine alte normannische Foltermethode, und er ursprünglich wurde vergiftet. Seine Tochter Eleonore hält den Dicken König, Louis VI. von Frankreich, für den Mörder. Die Dreizehnjährige soll den Thron übernehmen, weiß aber genau, dass sie als unverheiratete junge Frau einen schweren Stand haben wird und ihre Position auf wackligen Beinen steht, ihr Onkel, Raimund von Poitiers, eingesetzt werden könnte. Raimund ist ihr Liebhaber und er entschließt sich, zu ihrem Schutz das Land zu verlassen, nach Antiochien zu reisen, um Konstanze, die Tochter der Witwe Bohemunds II. zu heiraten. Gleichzeitig macht Eleonore Louis VI. das Angebot, Louis VII. zu ehelichen, um sich zu festigen. Dabei bestimmt sie die Bedingungen: Sie bleibt Herzogin von Aquitanien – auch, sollte es zu einer Scheidung kommen – die Feierlichkeiten finden in Bordeaux statt; auch hiermit setzt sie ein Zeichen. Eleonore will sich Paris einverleiben, es soll nicht umgekehrt geschehen. Denn sie hält Louis VII. für einen klerikalen Schwächling. Der musste nämlich kurzfristig nach dem Tod seines kampferprobten Bruders als Thronfolger nachrücken, das Klosterleben verlassen.
Eine Heirat mit Tücken
Aufgewühlt richtete ich meine Kleidung, verbarg das Blut, das mir an den Beinen hinablief. Nicht einmal er durfte es wissen. ‹Oc›, erwiderte ich in unserer Muttersprache. ‹Ja.› Ein Wort, zwei Buchstaben. Zwei Männer, zwei Hiebe für jeden. Einen Schnitt durch die Kehle, der ihr Schweigen auf ewig be-siegelte. Ein weiterer trennte ihre Männlichkeit ab, Rache für das, was sie mir und meiner ersten Liebe genommen hatten.
Eleonore ist durch eine harte Ausbildung gegangen, man hatte sie zur Herrscherin erzogen. Auch mit den legendären «Aquitanischen Katzen» ist sie vertraut, ein gut organisierter Spionagering der Aquitanier, der zum großen Teil aus weitläufigen Verwandten und Bastardkinder besteht – der Blutsbande verpflichtet. Als Leonore acht Jahre alt ist, wurde sie vergewaltigt. Der Onkel und die Aquitanischen Katzen kamen ein paar Minuten zu spät, konnten aber die Männer noch stellen. Sie erhielten vor Ort ihre gerechte Strafe und niemand wird je erfahren, was geschehen ist. Auch die Hintergründe dieser Gewalttat werden im Roman später aufgelöst. Während der Hochzeitsfeierlichkeiten kommt der französische König, Louis VI., unter den gleichen Umständen ums Leben wie Eleonores Vater. Hat jemand ein Interesse daran, das unerfahrene Paar auf dem Thron zu sehen? Die Aufklärung der Morde zieht sich durch die Handlung des Romans. In Paris angekommen, ist Eleonore entsetzt über die Ärmlichkeit des Palasts: Kälte, Hundekot in den Gängen, Kleidung, Geschirr, Kunst – alles zeigt, wie leer die französische Kasse ist. Eleonore bringt Geld mit. Viel Geld. Ihr Ehemann, so stellt sich heraus, ist ein sympathischer Kerl, und er ist gar nicht so dumm und verklärt, wie Eleonore dachte. Sie wird kaltgestellt; der König und die Königinwitwe haben das Sagen. Die Schwiegermutter ist ihr nicht gutgesinnt, und sie muss in einem Hof überleben, der nicht der ihre ist, in dem sie von Verrat und Lügen umgeben ist. Eine ihrer Aquitanischen Katzen, die ihr unerkannt die Dinge zustecken, die im Hof passieren, ist ihre ehemalige Amme – ihre Tante, die in der Küche arbeitet. Sie wird bestialisch ermordet. Eleonore ist auf der Hut. Mächtige Gegner sind hier am Werk - nur, wer steckt dahinter?
Île-de-France und Aquitanien
Der historische Roman ist tief recherchiert und basiert auf reale Ereignisse mit realen Charakteren. Die Perspektive ist auktorial angelegt, als wechselnde Ichs: Eleonore, Raimond de Poitiers, Ludwig VII., und einige Kapitel werden von einem allwissenden Erzähler geschildert. Parallel gibt es einen Strang um einen Jungen, der sich Stück für Stück in die Geschichte eingliedert. Das ist gelungen. Frankreich als Staat war seit der Begründung im 10. Jahrhundert zwar vereinigt, bestand jedoch aus vielen Lehenswesen (fiefs mouvant de la couronne) die dem Adel und den königlichen Verwandten zustanden. Das Wachsen der Krondomäne, der Domaine royal, des herrschaftlichen Königsbereichs, bis zu der Zeit, in der fast das gesamte Königreich dazu gehörte, ging auf die politische Einigung des Landes zur Durchsetzung des Absolutismus und des Zentralismus im 17. Jahrhundert zurück Erst mit der Thronbesteigung Loui XIII 1589 unterstand erstmals das ganze Königreich Frankreich. Der dicke König in Paris hatte zwar 1137 die Krone auf dem Kopf, aber in seinen Herzogtümern nicht viel zu sagen. Aquitanien war mächtig, ein reiches, großes Land, somit für Louis VI. ein fetter Happen, den er sich durch die Hochzeit seines Sohnes mit der Erbin einverleiben wollte. Auch der Abt Suger von Saint-Denis ist Teil der Geschichte, der beste Freund von Louis VII., selbst eine schillernde Gestalt der Historie. Der Roman beginnt in Bordeaux im Jahr 1137 und endet in Paris im Jahr 1149. Mit Bernhard von Clairvaux (Zisterzienser) und dem Zweiten Kreuzzug, an dem das Königspaar teilnahm, endet dann auch die Ehe von Eleonore und Louis. Und ich hoffe, da dieses Buch ja einen Untertitel hat, dass wir noch mehr über diese energische Frau erfahren werden.
Der Lebensabschnitt einer schillernden Persönlichkeit
Denn noch im selben Jahr nach der Trennung heiratete Eleonore, an die Aquitanien zurückfiel, den Grafen Heinrich von Anjou, der damit die Herrschaft über die Normandie, Aquitanien, das Poitou und Anjou, wie auch das Maine und die Touraine erlangte. 1154 wurde ihm schließlich die englische Königskrone aufgesetzt, womit sich sein Arm nun bis nach Schottland erstreckte. Auch diese Ehe ging nicht gut. Eleonore verbündete sich gegen ihn mit ihren Söhnen: Richard Löwenherz, und Johann Ohneland, der Richard nach seinem Tod auf den Thron folgte. Louis VII. half Eleonore gegen ihren zweiten Mann zu taktieren. Die Rebellion scheiterte und sie wurde von ihrem Ehemann 15 Jahre auf einer Burg festgehalten, bis der verstarb und der gemeinsame Sohn Richard Löwenherz folgte. Während sich Richard jahrelang auf Kreuzzügen befand, regierte Eleonore über England. Mit 80 Jahren ritt sie persönlich nach Kastilien, um aus ihren Enkelinnen eine auszuwählen, die sich mit einem Enkel von Louis VII. vermählen sollte. Eleonore wurde 82 Jahre alt, hatte zwei Töchter mit dem französischen König und acht Kinder mit dem englischen. Sie konnte auf ein bewegtes Leben zurückblicken, von dem wir hoffentlich noch mehr zu lesen bekommen. Die Autorin hat sich eng an die historischen Fakten gehalten, sich aber ein paar Freiheiten genommen, die sie im Nachwort erklärt, um Tempo im Handlungsablauf zu schaffen. Das ist Geschmack. Ich denke, ob nun ein König am Tag einer Hochzeit verstirbt, oder real, ein paar Tage später, das reißt es nicht heraus – ich hätte lieber Fakten. Ein spannender Roman insgesamt, aber bitte nicht zu verwechseln mit den Thrillern von Eva García Sáenz. Hier zeigt sie eine andere Seite, und auch die ist sehr lesenswert. Der Roman wurde mit dem Premio Planeta 2020 ausgezeichnet - und wurde zum Jahresbestseller in Spanien. Empfehlung!
Eva García Sáenz stammt aus Vitoria im Baskenland, wo auch ihre Bücher spielen. Ihre Krimi-Serie um den Ermittler Ayala alias »Kraken« machte sie mit einem Schlag berühmt und gelangte auch in Deutschland direkt nach ganz oben auf die Bestsellerliste. Die drei Bände haben sich bis heute über eine Million Mal in Spanien verkauft, die Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. Der erste Band, »Die Stille des Todes«, wurde verfilmt und läuft u.a. auf Netflix.
Aquitania – Das Blut der Könige
Übersetzt aus dem Spanischen von Alice Jakubeit
Historischer Roman, Aquitanien, Suger von Saint-Denis, Louis VII., Louis VI, Eleonore von Aquitanien, Frankreich, spanische Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, 416 Seiten
Scherz Verlag, 2022
Historische Romane und Sachbücher
Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter. Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz. Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.Historische Romane
Das Ritual des Wassers von Eva Garcia Saenz
Für Inspector Unai de Ayala, genannt Kraken befindet sich in der Rehaphase. Bei seinem letzten Fall war er durch einen Kopfschuss schwer verletzt worden, und er ist noch nicht in der Lage zu sprechen – kommuniziert über ein Tablett. Als seine erste Liebe aus dem Zeltlager, die Comic-Zeichnerin Annabel Lee alias Ana Belén Liaño, ermordet aufgefunden wird, möchte er wieder in den Dienst zurückkehren. Denn sie wurde nach einem keltischen Ritual in einem historischen Wasserkessel ertränkt. Der Profiler sieht eine dunkle Wolke aufziehen ... nicht schon wieder! Wendungsreicher, spannender Kriminalroman; spanische Literatur aus Vitoria im Baskenland; Whodunnit, gute Unterhaltung!
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Die Stille des Todes von Eva Garcís Sáenz
In der Kathedrale von Vitoria-Gasteiz, im Herzen des Baskenlandes, liegt während der Feierlichkeiten zum Dia del Blusa ein nacktes totes Paar in einem offenen Grab, die Hände an die Wange des anderen gelegt. Der Fall erinnert an eine Serie von Morden, die zwanzig Jahre zuvor die baskische Stadt in Atem hielt. Unai López de Ayala, genannt Kraken, Profilingexperte und Fallanalytiker und Inspectora Estíbaliz Ruiz de Gauna, genannt Esti, stehen vor einem Rätsel, denn der Täter von damals sitzt in Haft. Ein Pageturner, ein komplexer atmosphärischer Krimi aus Spanien, ein Thriller, der bereits verfilmt wurde. Empfehlung!
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