Direkt zum Hauptbereich

Aluta von Adwoa Badoe - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Aluta 

von Adwoa Badoe


Der erste Satz: Es gibt Dinge, die passieren nur im Kino, dachte ich, als ich in einem fensterlosen Raum mit nur einer Tür auf einem Holzstuhl saß.


Für Charlotte Adom beginnt eine neue Lebensphase, als sie 1981 ins Studium der Sozialwissenschaften an der University of Science und Technology in Kumasi, Ghana, startet. Studentenwohnheim, nette Freundinnen Partys, so alles ohne den Zugriff der strengen Eltern, Charlotte ist glücklich. Die Vorlesungen machen ihr Spaß, sie belegt Politikwissenschaft, Geschichte und Englisch. Für Politik interessiert sie sich eigentlich nicht, aber es soll einfacher als Jura oder Wirtschaftswissenschaften sein. Zunächst stehen im Lebensmittelpunkt neben den Seminaren Partys, Klamotten, Schminke, der Mädchenclan der achten Etage ist ein verschworener Haufen. Im Politikseminar wird Dr. Ampem auf sie aufmerksam. Der charismatische Professor kann ihr Interesse an politischer Auseinandersetzung wecken und lädt die wortgewandte junge Frau in eine geheime Gruppe ein.

Für welchen Mann wird sie sich entscheiden?

Mit Mary aus einem höheren Semester teilt Charlotte das Zimmer und lernt durch sie den jungen Geschäftsmann Asare kennen, der Charlotte in teure Clubs ausführt und beschenkt. Seine Verliebtheit ist ihr zunächst ein wenig unheimlich, er ist reich, ist im Petroleum- und Ölgeschäft tätig, reist um die Welt. Was findet er an ihr, fragt sie sich. Je näher Charlotte ihn kennenlernt, umso sympathischer wird er, denn er meint es wirklich ernst mit ihr, macht Charlotte einen Heiratsantrag. Allerdings interessiert sich auch Banahene für sie, der Cousin von Mary, ein sympathischer Mitstudent. Er ist kritisch gegenüber der Politgruppe von Dr. Ampem. Als der kommunistische Professor erklärt, wenn das Volk nicht verstehen wolle, könne man es auch zwingen zu verstehen, um irgendwann später zur Demokratie überzugehen. An dieser Stelle wird Charlotte hellhörig gegenüber den sozialistischen Modellen und wendet sich von der Gruppe ab.

Wenn einer von uns eine Stimme gewann, so unsere Hoffnung, war sie auch den anderen sicher. Einer unserer Slogans lautete: In der Einheit liegt die Stärke! Als Einheit konnten wir das Unileben zum Besseren wenden und auch das Land verändern.

Ein Traum platzt

Asare lädt Charlotte ein, mit ihr nach London zu fliegen. Ein Traum! Doch wie das mit Träumen so ist ... ein politischer Putsch lässt die Seifenblase an Sylvester zerplatzen. Der demokratische Präsident wird durch Rebellen abgesetzt. Asare bleibt im Ausland, unter dieser Regierung wäre es für ihn gefährlich, zurückzukommen. Eine neue Regierung hat sich formiert, Panzer fahren durch die Straßen. Die Uni ist geschlossen, Studenten werden zum Arbeitsdienst gezwungen. Dr. Ampem ist Kulturminister, Charlottes ehemalige Freundin Sylvia steht ihr feindselig gegenüber, gehört nun, wie die meisten aus der geheimen Gruppe, den Regierungstreuen an. Charlotte und Banahene können es nicht fassen. Aber sie bleiben nicht untätig. Sie bewerben sich für den Studentenrat, kämpfen für die Demokratie, was nicht ungefährlich ist. Nach der Entführung und dem Mord von drei Richtern organisieren sie eine Aluta. Und sie glauben, dass sie an den politischen Zuständen etwas ändern können.

Aluta ist ein Roman, angesiedelt in der Anfangszeit der PNDC-Regierung in Ghana, als Präsident Rawlings eine Saison lang den Sozialisten vortäuschte. In dieser Phase wurden viele Menschenrechtsverletzungen verübt gegen Zivilisten, Militärs und sogar Studentenführer.

Coming of Age in politisch instabilen Zeiten

Stände zu Beginn des Romans kein eindringlicher Prolog, so könnte man das Buch als Coming of Age einer ghanaischen Studentin anlesen, freudig plappernd, glücklich auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Doch letztendlich ist dies ein Zeitdokument aus der ghanaischen Geschichte. Im Abspann finden sich die historischen Eckdaten. Aluta bedeutet in der Übersetzung große Demonstration und diese haben in der Studentenschaft von Ghana eine lange Tradition. Charlotte, ein naives, behütetes Mädchen, entwickelt sich zu einer selbstbewussten, politisch handelnden Frau. Es ändert sich auch die Sprache von Charlotte, ein gekonnter Schachzug der Autorin.

Eine Zeit der Alutas und des Widerstandes

Ghana war das erste afrikanische Land, das 1957 die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien erlangt hat, jedoch immer wieder von Militärmachthabern regiert wurde. Jerry John Rawlings putscht sich Sylvester 1981 zum zweiten Mal in die Regierung Ghanas, gründet den »Provisional National Defence Council – PNDC«. Die Angst geht wieder um. Studenten werden zunächst zu Arbeitseinsätzen abkommandiert, die Universitäten bleiben  eine Weile geschlossen. Im Juli 1982 werden drei Richter entführt und umgebracht, was zu Großdemonstrationen von Studenten führt. Rawlings regierte bis Dezember 1992 als Diktator und wurde erstaunlicherweise danach zum demokratischen Präsidenten gewählt, war dann bis 2000 an der der Macht. Seit 2000 ist Ghana stabil und führt eine legale demokratische Regierung.


Adwoa Badoe lebt heute mit ihrer Familie in Kanada, arbeitet als Ärztin, Geschichtenerzählerin, Tanzlehrerin und Schriftstellerin. Rechnet man zurück – sie muss in dieser Zeit dieses Romans selbst in Ghana studiert haben. Die Geschichte klingt authentisch, sicher sind eigene Eindrücke
miteingeflossen. Man lernt auch eine Menge über die ghanaische Küche. Ein Jugendroman? Ich würde ihn unter die Kategorie Allage geben und das Lesealter auf 16 ++ einstufen.

Kommentare

  1. Wow, das klingt nach einer unfassbar spannenden Geschichte!
    Habe noch nie von dem Buch gehört, aber deine Bilder haben mich hier hin gebracht. Ich überlege tatsächlich, ob ich es mir kaufen soll, da ich gerne wissen möchte, wie es weitergeht!

    Spannend, danke für die Rezension!
    Michelle

    AntwortenLöschen
  2. Danke, Shelly. Ich finde, wir lesen viel zu wenig über Afrika. übrigens, ich habe in dem Roman viel über die afrikanische Küche gelernt, immer gegoogelt ... und siehe da, ein Gericht, was es nicht nur in Ghana gibt, sondern weit verbreitet in Afrika, viel gekocht, ist so was wie Paella, an der Küste mit Meeresfrüchten, im Inland mit Fleisch.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

  Aggie freut sich darauf, endlich in ihr eigenes Haus einzuziehen – bis sie feststellt, dass dort bereits ein Geist wohnt. Das Zusammenleben läuft mehr schlecht als recht; nirgendwo hat sie ihre Ruhe. Also stellt Aggie Regeln auf. Doch der Geist hält sich leider nicht gerne an Regeln, bricht sie alle. Aggie fordert ihn völlig entnervt zu einem Wettkampf in Tic-Tac-Toe heraus – wer gewinnt, bekommt das Haus. Ein herrliches Bilderbuch an 4 Jahren, das mit viel Humor geschrieben ist und eine Menge Diskussionen zum Zusammenleben bietet. Weiter zur Rezension:    Aggie und der Geist von Matthew Forsythe