Direkt zum Hauptbereich

Wütendes Feuer von Fang Fang - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Wütendes Feuer 


von Fang Fang 


Von dem roten Sparbuch in ihrer Hand ging wie in Wellen eine Hitze aus, die ihr tiefstes Inneres erreichte. ... Sie war die Einzige in der Familie, die ein Sparkonto auf der Bank besaß, und das nur wenige Tage, nachdem sie die Schule verlassen hatte.


In China wird die Gleichberechtigung zu Beginn der 1990er Jahre propagiert, die Freiheit der Frauen. Nur die Realität sieht ganz anders aus. Ein Roman über die Unfreiheit von Frauen im modernen China. Gleich zu Anfang erfahren wir, die Icherzählerin sitzt im Gefängnis und wartet auf ihre Hinrichtung. Sie erzählt ihrer Zellengenossin ihre Geschichte. Yingzhi, die im provinziellen China lebt, hat einen Traum: Sie will Sängerin werden, strebt nach finanzieller Unabhängigkeit. Sie hat es geschafft, als Karaoke-Sängerin in einer kleinen Band bekannt zu werden, die auf Hochzeiten und Festivitäten auftritt. 


Von der Familie bevormundet - dann von der des Mannes


‹Dort gehöre ich nicht zur Familie, und hier werde ich rausgeschmissen. Kurz gesagt, ich habe überhaupt keine Familie, nirgends. Das ist ungerecht.›

‹Ja, das ist ungerecht. Aber was willst du tun, so ergeht es uns Frauen seit ein paar tausend Jahren.›


Als beste Sängerin spart sich eine beachtliche Summe, denn sie will in die Stadt gehen, benötigt Startkapital. Nach einem Auftritt, bei dem sie gefeiert wurde, lässt sie sich im Glücksrausch von Guiqing verführen und wird prompt schwanger. Der Mann ist glücklich, denn er ist verliebt in Yingzhi. Sie liebt ihn nicht, traut dem Geschichtenerzähler und «trinkfreudigen Faulpelz» nicht so recht über den Weg. Doch ihre Familie zwingt sie zur Heirat. Ein uneheliches Kind ist eine Schande. So muss sie in sein Elternhaus einzuziehen, wie die Tradition es verlangt. Die Schwiegereltern verabscheuen Yingzhis lockeren Lebenswandel als Sängerin. Sie erklären sogleich, was sie erwarten: Abrackern im Haus und auf dem Feld – denn wozu sonst soll eine Schwiegertochter gut sein. Guiqing ist den ganzen Tag mit seinen Freunden unterwegs, Spaß haben, saufen, spielen – er kehrt erst spät am Abend zurück. Yingzhi beschwert sich, er sei ein Hallodri, solle arbeiten gehen. Doch die Schwiegereltern halten sein Verhalten für richtig. Ein junger Mann muss sich amüsieren, er wird anfangen, zu arbeiten, wenn die Alten nicht mehr dazu in der Lage sind, er wird sie dann versorgen.


Die moderne Welt kracht auf die Tradition

Als aber die Spielschulden von Guiqing zu hoch werden und Yingzhi Geld verdienen soll, sieht sie den Weg, der ihr ein klein wenig Freiheit schenkt: das Singen. Sie verdient wieder sehr gut, hält es im Haus der Schwiegereltern nicht aus. Das Grundstück ist groß genug, um ein zweites Haus zu bauen; eins für ihre Familie. So versteckt sie das Geld vor ihrem Mann und beginnt mit dem Hausbau – Stück für Stück. Yingzhi wird zwischen den alten Traditionen und der modernen Welt förmlich aufgefressen und ihr fauler Mann wird immer dreister und brutaler. Die moderne Welt kracht mit der Tradition in Form knallharter Gewalt aufeinander – die Musikgruppe wird parallel immer zügelloser. Yingzhis Zusammenleben mit der Familie ihres Mannes wird unerträglich.


Yingzhi ist kein navies Unschuldslamm


Den Übersetzer stellt die Verwendung der farben- und bildreichen Wendungen und Ausdrücke der bäuerlichen Lokalsprache in ihrer Heimatprovinz vor Herausforderungen. ... Vieles im Roman und im Verhalten seiner Personen mag den deutschen Lesern fremd und manchmal schwer verständlich erscheinen. (Michael Kahn-Ackermann, Übersetzer)


Eine junge Frau sucht ihr Glück, versucht den Ausbruch aus den starren gesellschaftlichen Konventionen in einer Zeit des sozialen Umbruchs. Man hört von den Städten im Süden, wo viele Leute Arbeit finden, gutes Geld verdienen. Ländliches China in den 90-ern, eine Zeit, die den Frauen viel verspricht, den Traditionellen Angst macht, Unverständnis auslöst. Yingzhi hat Wut im Bauch, auch sie packt der Jähzorn. Sie will für sich ein besseres Leben, ist sehr fixiert darauf, Geld zu scheffeln, um unabhängig zu sein; sei es drum, den faulen Gatten mitzuschleifen. Sie kann dabei recht durchsetzungsfähig sein – stößt dann aber immer wieder an ihre Grenzen, weil sich alle gegen sie stellen, inklusive ihre eigene Familie. Der Mann hat das Sagen – Ende. Ihr Kind hat für sie keinen Stellenwert; das gibt sie bei der Schwiegermutter ab. Yingzhi ist kein navies Unschuldslamm; etwas das mir an diesem Buch gefällt. 


Männer übernahmen wieder die Macht

Einerseits ist der Roman spannend, interessant, aber andererseits gibt es viele Wiederholungen, immer wieder die gleichen Situationen. Sprachlich eine andere Tonalität, als das, was wir gewohnt sind, naiver einfacher, man liest im Flug hindurch. Eine Geschichte, die erzählt wird, in der wenig Dialoge vorkommen, die in der Struktur natürlich zu der einfältigen Protagonistin passen. Der Übersetzer Michael Kahn-Ackermann erklärt im Nachwort, dass die Befreiung der Landbevölkerung (Anfang der 90-er circa 80 Prozent der Chinesen) zwar einerseits zu mehr Wohlstand geführt hat, andererseits die gesellschaftlichen Strukturen ins Althergebrachte zurückfielen. Die Volkskommunen, in denen jeder arbeiten musste, waren aufgelöst, und die Familien und Clans hatten wieder das Sagen: Schwiegertöchter mussten sich unterwerfen, Männer übernahmen wieder die Macht. Das erklärende Nachwort ist eine wichtige Zugabe. 


Fang Fang ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas. Sie wurde 1955 geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Wuhan. In den letzten 35 Jahren hat sie eine Vielzahl von Romanen, Novellen, Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht. Stets spielten die Armen und Entrechteten in ihren Werken eine große Rolle. 2016 veröffentlichte sie den von der Kritik gefeierten Roman Weiches Begräbnis, für den sie mit dem renommierten Lu-Yao-Preis ausgezeichnet wurde.



Fang Fang

Wütendes Feuer
Aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann 
Zeitgenössische Literatur, chinesische Literatur
Gebunden mit Schutzumschlag, 208 Seiten
Hoffmann und Campe Verlag, 2022




Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Die Lotsin von Mathijs Deen

  Was geschah auf dem Forschungsschiff? Kaum hat vor Helgoland eine Übung des niederländischen, deutschen und dänischen Grenzschutzes begonnen, geht bei der Küstenwache ein Notruf ein. Eine Klimaforscherin , die mit einem US-Forschungsschiff auf dem Weg von Grönland nach Kiel war, wird vermisst. Xander Rimbach , Ermittler der Bundespolizei See , geht an Bord. Zunächst weist alles auf einen Suizid hin. Rimbach drückt aber das Bauchgefühl, dass hier ordentlich gemauert wird. Irgendetwas stimmt nicht auf diesem Schiff. Ein literarischer Krimi, Kriminalliteratur vom Feinsten. Weiter zur Rezension:    Die Lotsin von Mathijs Deen