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Das Wasserhaus von Reinhard Schultze - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Wasserhaus 


von Reinhard Schultze


Der Anfang: 

Wenn sie ihnen heute die Geschichte ihrer Familie erzählen wird, wird sie sich Papa zum Vorbild nehmen. Papa hat seinen Job damals gut gemacht und wenn sie ihren Job ebenso gut machen wird, werden Mies, Senta, Flocke und Jeffrey das fehlende Brimborium hinzustaffieren: all das, was es einmal gegeben hat, aber seit 1945 nicht mehr gibt – seit jenem Tag, an dem eine in letzter Minute abgeworfene Kriegsbombe die Familienburg zu einer Ruine reduziert hat.


Wem gehört das Wasser? Gehört es Konzernen, die Besitz anmelden oder ist Wasser ein Allgemeingut, das allen Menschen gehört, zu dem jeder Zugang haben muss? Wird es einen Wasserkrieg geben? Mit diesem Thema beschäftigt sich der Roman. Ich habe mich schwergetan beim Lesen, hin und wieder quergelesen, besonders am Anfang. Konstrukt und Stil haben mir den Zugang zu dem gut gemeinten Buch versperrt.


Familiengeschichte bis zu den Raubrittern

Die Allgäuer Familie Holzrichter hat tiefe Wurzeln, eine bewegende Geschichte mit Stolz und Tradition. Das Oberhaupt ist Ma. Zum Familienbesitz gehört eine Burgruine in Sachsen; nicht verkäuflich, da Ruine. Eine der letzten Kriegsbomben zerstörte die Burg, verblieben ist das intakte Wasserhaus auf dem Gelände. Mutter Marianne, genannt Ma, hat vier Kinder: Mies, Jeffrey, Senta und Flocke. Ma hatte das Gebäude einer insolventen Regenschirmfabrik erworben, um es in ein Geschäftshaus umzuwandeln. Und nun will sie in ein Projekt einsteigen, das sich um die Wiederaufarbeitung von verschmutztem Wassers in Südafrika kümmert. Für den Kredit des Unternehmens muss sie allerdings die Familienburg, bzw. das Wasserhaus, als Banksicherheit einsetzen. Sie darf das nicht allein entscheiden, benötigt die Unterschriften der gesamten Familie. Der Roman beginnt mit dem Familientreffen und uralten Geschichten aus der Familienchronik, bis hin zu den Raubrittern. Nun werden sämtliche Familienmitglieder mit ihren Eigenheiten vorgestellt. Ich fragte mich, wo will der Autor mich hinführen? Diese Anreihen von Anekdoten der Familiengeschichte, mehr oder weniger zusammenhanglos hat mich eher gelangweilt und die reihenweise Vorstellung der Personen schien mir reichlich konstruiert. Man bastelt zusammen, was aneinanderkrachen muss und das kompakt, ohne es literarisch Stück für Stück aufzublättern.


Hölzerne Charaktere


Man bekommt schon ’ne Menge mit. Die Profs sind gut, sagt sie.

Und die Jungs? Er grinst.

Sie überlegt. Die meisten ihrer Kommilitonen haben sich vagabundierenden Idealen verschrieben. Das Projekt, für das sie sich sofort gemeldet hat, lautet »Menschenrechte und Arbeitsbedingungen in der Globalisierung«. Ihre Familie inklusive Jeffrey würde es bestimmt für Kinderkram halten, allerdings findet sie, es kann nicht schaden, selbst darüber zu diskutieren, anstatt Fernsehmoderatoren zuzusehen, wie die mit ihren Showgästen darüber reden.


Adoptivsohn Jeffrey, genannt Boxer, ist in Afrika geboren. Er musste Jura studieren; so wollte es Ma. Nun arbeitet er als Anwalt für Gesellschaftsrecht. Er ist der Typ-Klappehalten, hält sich aus jedem Konflikt heraus. Mies arbeitet bei einem Schweizer Lebensmittelkonzern auf verantwortungsvollem Posten – das große N lässt grüßen. Senta, Architektin und Mitherausgeberin einer Architekturzeitschrift hat gerade ein Baby bekommen und pflegt Work-Balance, will nur noch Teilzeit arbeiten, um für die Familie Zeit zu haben. Flocke wird «Die Bundeskanzlerin» genannt, hat Politik studiert, setzt sich für Menschenrechte und soziale Projekte ein. Der Vater ist UNI-Professor. 

Neben dem Hauptthema Wasser kommen Konzernpolitik (was ja noch passt), Diversität, verschiedene Familienstrukturen und Lebensmodelle, Arbeitsüberlastung, Weltansichten usw. zum Tragen, was den Roman thematisch überfrachtet und konstruiert wirkt; Gesellschaftliches wird eben auch nur angeschrammt, die Themen erhalten keine Tiefe bei der Masse. Trotz oder vielleicht gerade darum bleiben die Charaktere hölzern und und seelenlos. 


Der ganz hoch erhobene Zeigefinger gegenüber dem Leser

 

Berichtet man die Geschichte Erwachsenen, ist sie ermüdend, denn der Erzähler verfängt sich im Gestrüpp stochernder Rückfragen.


Endlich geht es dann um das Hauptthema, das Wasserprojekt in Südafrika. Wem gehört das Wasser? Das Problem der Wasserknappheit auf unserem Planeten wird dargestellt, der Krieg ums Wasser, die Verschwendung. Interessant fand ich u.a. das Problem der stillgelegten Minen; Wasser, das hineingepumpt wird, Regenwasser, das sich dort sammelt und Sulfidmineralien auswäscht – ein Trinkwasserproblem entsteht. Es geht um den Krieg der Konzerne, die Wasserrechte, Landwirtschaft, um unseren eigenen verplemperten Wasserverbrauch, den sorglosen Umgang mit Ressourcen. Und hier passiert das, was in manchen aufklärenden Romanen nicht funktioniert: die langen wissenschaftlichen Einlagen, die dem Leser das Thema erklären – hier extrem, zerstören den Fluss der Geschichte. An vielen Stellen klingt es hier nach abgeschriebenen Passagen aus Büchern und Aufsätzen, die absatzweise hineinkopiert wurden. Am Ende sage ich mir, da hat jemand viel und gut recherchiert, konnte sich von seinem Material nicht trennen und hat drum herum eine Geschichte gebaut, Figuren erfunden, die dort hineinmüssen. Nicht die Erzählung hat das Wort, sondern das Wissen aus dem Fachjournal. Was mich zusätzlich nervt, ist der ganz hoch erhobene Zeigefinger gegenüber dem Leser. Ich sage dir, wie du zu denken hast, was du falsch machst. Ich liebe aufklärende Romane. Belehrende Romane mag ich nicht. Und kommen wir zur Stilkritik. Derzeit ist es in Mode, die grammatischen Zeichen der wörtlichen Rede wegzulassen. Bisher hatte ich nie ein Problem damit, weil dies stilistisch sicher eingesetzt wurde. Hier hat es mich erschlagen, da das Buch fast ausschließlich aus Dialogen besteht. Bisweilen ist man verwirrt: Wer, wie, was wird gesagt, gedacht, wer handelt? Es gibt interessante Informationen in diesem Buch zum Thema Wasser, einiges ist bekannt, anderes nicht so verbreitet. Aber ganz ehrlich, bei Interesse ist es besser zum Thema ein Sachbuch zu lesen.


Reinhard Schultze wurde in Aachen geboren und studierte Rechtswissenschaften in Berlin. Nach Abschluss seiner Promotion arbeitete er als Anwalt und Justiziar einer Landesfilmförderung in Potsdam-Babelsberg, bevor er 2000 nach München wechselte, wo er seither lebt und als Syndikusrechtsanwalt im Medienbereich arbeitet. Neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen erschien 2018 sein Debütroman »Schneefeuerball«. Wie diesen sieht Autor Reinhard Schultze auch »Das Wasserhaus« ganz in der Tradition jener Universalromane, die Gesellschaftliches, Politisches und Historisches miteinander verweben, um auf diesem Boden die Geschichten ihrer Helden zu erzählen.


Reinhard Schultze
Das Wasserhaus
Zeitgenössische Literatur, Umweltroman, Wasserknappheit
Taschenbuch, 448 Seiten
Grafit Verlag 2021


Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane


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