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Verbrannte Sonne von Elvira Dones - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Verbrannte Sonne 


von Elvira Dones



‹Sie werden sagen, das ist Männerarbeit›, sagte Xhafer, ‹aber in unserer Gegend machen die Frauen die Männerarbeit.›
‹Und die Arbeit der Frauen?›
‹Die erledigen auch die Frauen.›
Er lächelte und zog dabei eine hasenartige Grimasse.

Das Tagebuch von Leila ist der Grundstock von diesem Buch. Sie ist tot, ihre Mutter nimmt ihren Körper zur Beerdigung entgegen und Leila erzählt uns ihre Geschichte. Kurze Auszüge aus Leilas Berichten, dazwischen ein auktorialer Erzähler, der uns vom Leid der jungen Albanerinnen berichtet, die in Italien als Prostituierte arbeiten müssen. Leila wird neben ihrer Schwester liegen, die ihr Leben lassen musste, um Leila auf Spur zu bringen, ihr zu zeigen, was man mit denen macht, die sie liebt, wenn sie nicht gehorcht. Mädchen, die auf dem Nachhauseweg von der Schule entführt werden oder mit falschen Versprechungen der Arbeitssuche ins Land kommen. Viele Einzelschicksale ergeben ein Ganzes: Leila, Soraja, Elena, Laura, Sanija und all den anderen Mädchen, die ein und dasselbe Los vereint – und die Geschichte ihrer abartigen Zuhälter. 

So waren die Männer nun mal, dachte Sanija zuweilen, sie verloren wegen irgendeiner Kleinigkeit die Orientierung und weil sie aus dem Schlamassel nicht mehr herausfanden, stieg ihnen die Galle hoch, und ihre Gedanken trübten sich. Frauen passierte das nicht so schnell. Frauen stand gar nicht das Recht zu, die Orientierung zu verlieren.

Elvira Dones hat einen rohen und aufschlussreichen Roman über die albanische Mafia und den Frauenhandel geschrieben, bei dem deutlich wird, dass es nichts zu romantisieren gibt. Es sind die 1990er Jahre unter dem schrecklichen Hodscha-Kommunismus – Noir, die Ausbeutung der Frauen durch grenzenlose Gewalt. Aber auch die Kunden sind ein Teil dieser Schicksale – denn ohne sie gäbe es kein Geschäft. Sie wollen weder hören, dass diese gekaufte Mädchen ihren Job nicht freiwillig machen, noch interessiert es sie, sie sind völlig überfordert, wenn ein Mädchen um Hilfe bittet. Was haben sie denn damit zu tun, sie haben doch bezahlt.

Ich werde niemals mehr in meinem Leben einem Mann vertrauen, hat Suela geschworen.
Bist du sicher, frage ich sie.
Wieso, würdest du einem Mann noch jemals Glauben schenken?
Nein, niemals. Ich auch nicht, sagte Soraja erleichtert.
An jenem Tag haben wir uns durch diesen Schwur besser gefühlt.

Dortunten nach Dortoben – Albanien und Italien. Warum nennt die Autorin es nicht beim Namen? Mich hat es gestört. Erschreckend ist, dass die Täter nicht unbedingt Fremde sind! Der Onkel, der Cousin, der Mann, der sich mit dem Mädchen verlobt, bis hin zum Vater, sie alle sind beteiligt, ebenso die Ehefrauen der Bosse, die sich am Leben in Saus und Braus erfreuen. Leila verlässt aus eigenem Willen diese Welt, sagt, für sie ist es besser so. «Ich habe keine Kraft mehr und ich kann nicht mehr kämpfen. Besser so.» Manch ein Zuhälter verliebt sich in eine der Frauen und erwartet auch noch Gegenliebe in seiner Selbstüberschätzung. Die einzige Chance der Frauen, wenigstens ein bisschen Macht über diese Typen zu erlangen. 

So war das, Schwesterherz. Und da bin ich nun. Ich arbeite. Wenn das Wort Arbeit auf solch eine Weise entwertet werden kann.

Der Roman beschreibt im Detail, wie diese Mädchen gewalttätig vorbereitet werden für ihren Job, was sie später aushalten müssen, bis hin zur Unerträglichkeit – denn hier wird Reales brutal auf Papier gebracht. Ich finde es immer gut, die Wahrheit aufzuschreiben, aber das hier ist wirklich nur ein Text für starke Nerven. Ich hatte das Buch vor längerem angefangen, weggelegt. Nun habe ich es bis zum Ende geschafft – nicht leicht. Das Buch ist ein Argument dafür, Prostitution zu verbieten, denn selten arbeiten die Frauen freiwillig. Kein Roman zum Entspannen, doch mit Licht am Ende. Mich hat an diesem Taschenbuch auch die stramme Bindung genervt. Es braucht Kraft, die Seiten offen zu halten. Am Ende die Frage, kann ich den Roman empfehlen? Für die, die sich für sexualisierte Gewalt interessieren ja. Wer eine schöne Geschichte sucht, nein.



Elvira Dones wurde 1960 in Durrës/Durazzo (Albanien) geboren. 1988 kam sie in die italienische Schweiz. Von 2004 bis 2015 lebte sie in Amerika (zuerst Washington D.C., dann Kalifornien, Bucht von San Francisco). Seit 2015 lebt sie wieder im Tessin. 




Elvira Dones
Verbrannte Sonne
Aus dem Albanischen übersetzt von Florian Kienzle
Zeitgenössische Literatur, Albanien, Prostitution, sexualisierte Gewalt, Zwangsprostitution, Albanische Literatur
Taschenbuch, 440 Seiten
Ink Press, 2021



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Roman


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