Rezension
von Sabine Ibing
Hintergrundfoto aus dem Anhang von "Tru & Nelle" |
Tru & Nelle
von G. Neri
Eine Geschichte über die Freundschaft von Truman Capote und Nelle Harper Lee
Der Anfang: Als Truman Nell das erste Mal sah, hielt er sie für einen Jungen. Sie beobachtete ihn wie eine Katze. Und zwar thronte sie auf einer brüchigen Mauer, die ihre weitläufigen Grundstücke voller alter Bäume voneinander trennte. Barfuß, in einer Latzhose und einem burschikosen Haarschnitt sah Nelle ungefähr so alt aus wie er, aber er konnte es nicht genau sagen.
Ich war zunächst skeptisch, ein Kinderbuch, das die Geschichte der Kinderfreundschaft um Truman Capote und Nelle Harper Lee beschreibt … Doch schnell konnte mich das Buch überzeugen. Erzählerisch stark ist dies schlicht eine wundervolle Geschichte um eine Freundschaft zwischen zwei Außenseitern. Sie konnten ja damals noch nicht wissen, dass sie später berühmte Schriftsteller werden – Nelle Harper Lee wurde in jungen Jahren mit ihrem ersten Buch (leider auch dem letzten) «Wer die Nachtigall stört» sogleich mit dem Literaturnobelpreis belohnt.
Miss Nelle.› Nelles schmutzige Gestalt schien sie nicht zu beeindrucken und sie zögerte auch nicht, das laut auszusprechen. ‹Ich habe Schüler mit so viel Dreck in den Ohren, dass man Mais darin anbauen könnte. Aber sie arbeiten auf den Farmen. Was für eine Entschuldigung hast du vorzubringen?
Monroeville, Alabama um 1933 ist der letzte Ort, an dem Tru leben möchte. Er wird von seinen Eltern dort bei Verwandten abgesetzt, für die Ferien, so heißt es. Der Aufenthalt wird doch etwas länger dauern. Nelle wohnt nebenan, sie ist ein kleiner Wildfang. Tru, im piekfeinen weißen Anzug, lesend, so ziemlich das genaue Gegenteil; er sehnt sich nach seinem aufregenden Leben in New Orleans zurück. Bücher bringen die beiden Lesehungrigen zusammen. Nelle liebt Krimis, genau wie Tru und von Herzen gern würden sie einmal einen echten Fall lösen. Die kleine Nelle bereitet es Vergnügen, sich in den Gerichtssaal setzen Verhandlungen zu verfolgen, ein komisches Hobby, findet Tru. Wie kommt sie überhaupt da hinein, denn eigentlich sind nur erwachsene Zuschauer zugelassen. Nells Vater ist Anwalt, und darum hat sie im Gericht so etwas wie Narrenfreiheit. Ihre Mutter ist psychisch krank, bleibt immer im Haus, kommt nur am Rande vor. Besser als gar keine, meint Tru, seine haben ihn einfach im Stich gelassen, abgegeben wie einen Hund. Der Vater von Tru ist ein großspuriger, kleinkrimineller Betrüger, die Mutter hat sich von ihm getrennt.
Unauffällig wie ein Pfau stolzierte er mit einem Sonnenschirm den Weg herunter und tat wie Der Kleine Lord. ... Wahrend die Jungs alle barfuß waren und alte Badehosen trugen … präsentierte Truman sich in einem knallroten Hawaiihemd, weißen Schwimmsandalen und einer modischen babyblauen Badehose.
Die Südstaaten sind zu der Zeit stark vom Rassismus geprägt, etwas, was diesen beiden gegen den Strich geht, und sie legen sich sogar mit dem Ku-Klux-Klan an. In dieser Kleinstadt geschieht normalerweise nicht viel. Eines Tages gibt es gleich zwei Einbrüche, Tru und Nell, die sich Sherlock Holmes und Dr. Watson nennen, kombinieren – da muss es Zusammenhänge geben. Ein Baumhaus, ein Hund, ein kleines Flugzeug, spannende Geschichten, die nur so vorbeifliegen. Am Ende geht es von der Außenperspektive in die Ich-Perspektive der beiden Helden.
Das Baumhaus wurde von einem Zedrachenbaum mit zwei Stämmen gehalten. Je ein Stamm ragte auf jeder Seite der Steinmauer auf, die ihre Grundstücke trennte. … Extras: Eine Luke mit Teleskop zum Ausspähen und ein Dosentelefon, das sowohl mit Trumans als auch mit Nelles Zimmer verbunden war – falls mal ein Notfall eintrat.
Natürlich ist es keine Biografie, die Geschichte orientiert sich zwar an Recherchen und Interviews mit Personen, die Tru und Nelle kannten, insofern liegt ein gewisser Wahrheitskern zugrunde. Kindgerecht, witzig und atmosphärisch wird die Zeit spannend dargestellt, Es geht im Grunde um die politisch-gesellschaftliche Stimmung, die durch Rassismus geprägt ist – das Thema von «Wer die Nachtigall stört». Wer dieses Buch kennt, wird eine Menge Parallelen zum Leben der Kinder finden, die wahr, bzw. gewollt eingeflochten sind. Denn bekanntlich hat Harper-Lee in ihrem Buch auf ihre eigene Kindheit stark angespielt. Am Ende gibt es eine kurze Biografie zu beiden und wie ihre lebenslange Freundschaft weitergehen wird, mit allen Höhen und Tiefen. Es folgt ein Glossar, in dem Begriffe aus dieser Zeit erklärt werden, wie Hoover-Cart, Ku-Klux-Klan und Personen wie Herbert Clark Hoover, Fu Manchu usw. Die Altersempfehlung vom Verlag Freies Geistesleben liegt ab 9 Jahren. Das passt. Ab 12 Jahren kann man sich meiner Meinung nach an «Wer die Nachtigall stört» heranwagen, lesen, Hörbuch oder den Film anschauen – das Buch ist in den USA Schullektüre.
G. Neri ist für seine Kinderbücher «Yummy», «Chess Rumble», «Ghetto Cowboy» und «Hello, I’m Johnny Cash» bereits mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet worden. Davor war er Filmemacher, Animator und Illustrator. Er lebt mit seiner Frau und Tochter an der Golfküste Floridas.
Tru & Nelle
Eine Geschichte über die Freundschaft von Truman Capote und Nelle Harper Lee
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Sylvia Bieker und Henriette Zeltner
Kinderbuch, Biografische, Literaturgeschichte
Gebunden mit Schutzumschlag, 281 Seiten
Verlag Freies Geistesleben, 2020
Altersempfehlung: ab 9 Jahren
Kinder- und Jugendliteratur
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