Rezension
von Sabine Ibing
Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus
von Kohei Saito
WAS MACHEN SIE EIGENTLICH GEGEN DIE ERDERWÄRMUNG? Benutzen Sie nun auch eine eigene Einkaufstasche, um den Verbrauch von Plastiktüten zurückzufahren? Und anstatt Getränke in PET-Flaschen zu kaufen, tragen Sie ihre eigene Flasche mit sich? Haben Sie vielleicht sogar ein Elektroauto angeschafft? Ich sage es Ihnen ganz offen: Diese guten Absichten alleine sind sinnlos. Im Gegenteil, sie könnten vielleicht sogar schädlich sein. Aber wieso? Der Glaube, dass der Erfolg im Kampf gegen die Erderwärmung davon abhängt, wie viel jeder Einzelne von uns tut, hält uns davon ab, die für die heutige Zeit wirklich wichtigen und mutigen Taten auch umzusetzen. Er fördert stattdessen ein Konsumverhalten, das wie ein Ablassbrief funktioniert, dazu da, das Gewissen zu entlasten und die Augen vor der Realität der Krise weiter verschließen zu können. Das Kapital heuchelt uns Sorge um die Umwelt vor, und wir fallen darauf auch noch herein.
Eine moderne Interpretation von Karl Marx. Wenn wir glauben, die Welt durch nachhaltigen Konsum vor der Klimakatastrophe zu retten, betrügen wir uns selbst. Das sagt der japanische Philosoph Kohei Saito. Denn der Kapitalismus ist nicht zukunftsfähig. Klar und überzeugend vertritt Saito die These: Nichts, was die Welt jetzt braucht, lässt sich innerhalb eines kapitalistischen Systems realisieren. Grünes Wachstum ist seiner Meinung nach unmöglich. Wer genau hinschaut, weiß schon lange, dass die rücksichtslose Ausbeutung von Ressourcen, Umweltverschmutzung, Umweltkatastrophen, die Verschmutzung und Überfischung der Meere mit dem Klimawandel zusammenhängen. Immer mehr Angebot von Sinnvollen und unsinnigen Angeboten, immer mehr, immer besser, einfach wegschmeißen – immer mehr Wachstum. «Wir arbeiten zu viel. Wozu?», fragt sich der Autor. Er fragt sich, warum in Japan die Geschäfte an sieben Tagen 24 Stunden lang geöffnet sein müssen, warum wir alles wegschmeißen, ständig Neues haben müssen. Wir können uns das leisten, weil es billig ist und die Werbung uns lockt. Nur auf wessen Kosten leisten wir uns das? Letztendlich nicht nur auf Kosten von vielen Menschen, sondern auch auf Kosten der Natur. Und Die rächt sich mit dem Klimawandel.
Vieles klingt klug, anderes wunderbar utopisch, manches schräg
Marx hatte mit dem Kommunismus eigentlich niemals eine staatlich verwaltete Einparteiendiktatur im Sinn. Für ihn bedeutete Kommunismus eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel von den Produzenten gemeinsam verwaltet werden. Doch nicht nur die Produktionsmittel, die ganze Erde sollte nach Marx’ Vorstellung einer kommunistischen Gesellschaft gemeinsam verwaltet werden.
Saito, japanische Philosoph und Professor, hat sich mit der großen Marx-Engels-Gesamtausgabe beschäftigt und vieles gefunden, was uns noch heute betrifft, das die Erkenntnisse auf die moderne Welt umgesetzt. Runter von der Vorstellung des grenzenlosen Wachstums, so meint er. Klug handeln und sinnvolle Verbote aussprechen, wie Inlandflüge und große Kreuzfahrtschiffe verbieten, Airbnb einschränken bzw. verbieten, Reparieren statt neu kaufen, Weniger tierische Produkte essen, regional einkaufen usw. Manche Thesen lesen sich gut und es lohnt sich, darüber nachzudenken. Andere Behauptungen sind abstrus. Runterfahren, ein Degrowth-Programm, ansonsten sieht die Zukunft düster aus, so Saito, und er stellt vier Möglichkeiten zur Zukunft vor: Klima-Maoismus, Klima-Faschismus, Barbarei und X, die Unbekannte. Der neoliberale Weg ist falsch, Saito setzt gemeinschaftliche Produktion, Genossenschaften, die Arbeit habe sich an Bedürfnisse anzupassen. Vieles klingt klug, anderes wunderbar utopisch, manches war für mich schräg, bzw. nicht nachzuvollziehen. Insgesamt aber ein interessantes Buch, auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist, das Gehirn fängt beim Lesen an zu arbeiten. Ein philosophisches Buch – und Philosophen dürfen sich Gedanken machen, die nicht immer ganz schlüssig sind.
Kohei Saito, geboren 1987, ist Associate Professor für Philosophie an der Universität von Tokio. Er promovierte 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist Mitherausgeber der Marx-Engels-Gesamtausgabe und wurde 2018 mit dem Isaac-Deutscher-Preis ausgezeichnet. Saitos »Systemsturz« wurde in Japan ein großer Erfolg, das Buch verkaufte sich dort mehr als 500.000 Mal.
Systemsturz
Der Sieg der Natur über den Kapitalismus
Aus dem Japanischen übersetzt von Gregor Wakounig
Sachbuch; Philosophie, Wirtschaft, Klimawandel, Kommunismus
Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten
dtv Verlag, 2023
Sachbücher
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