Rezension
von Sabine Ibing
Spanien – Fettnäpfchenführer
Wie man den Stier bei den Hörnern packt
von Lisa Graf-Riemann
Das Buch eignet sich brauchbar für Leute, die sich ein wenig länger in Spanien aufhalten möchten. Natürlich kann auch der Tourist etwas damit anfangen, aber es geht hier um Land und Leute, weniger um einen Touristenführer. Der Spanier, das unbekannte Wesen … andersherum, der Deutsche, das unbekannte Wesen. Dieses Buch ist nach einem durchgängigen Schema aufgebaut: erklärende Kurzgeschichten mit Empfehlung zur Vermeidung der Situation. Durch das Buch führen uns zwei Protagonisten. Lena lernt Spanisch und wohnt in einer Wohngemeinschaft in Alicante und Tom wohnt zur Untermiete, da er derzeit in einer Software-Firma in Madrid arbeitet. Der Leser begleitet die beiden recht tumben Deutschen ab ihrer Ankunft in Spanien, wo sie empathielos in jedes Fettnäpfchen tapsen, das auf dem Weg liegt. Dabei stoßen sie auf Spanier, die meist ebenfalls so unverständnisvoll reagieren. Gut – anders geht der Lerneffekt in diesem Buch nicht auf.
Situation - Was ist schiefgelaufen? - Wie kann ich das vermeiden?
Zuerst wird eine jeweils Situation geschildert, eine Kurzgeschichte: Tom ist mit einer Bekanntschaft unterwegs und setzt sich am Nachmittag in einem Restaurant mit ihr zusammen zu einem spanischen Pärchen an den Tisch, weil bereits alle Plätze besetzt sind. Das Pärchen ist schnell verschwunden. Tom möchte später um 18 Uhr essen, aber alle Restaurants haben geschlossen. Halb verhungert gibt es dann doch halb in der Nacht etwas zu essen. Die Rechnung kommt, Tom möchte getrennt zahlen, was der Kellner ignoriert. Und das mit dem Aufrunden für das Trinkgeld hat er auch nicht kapiert, gibt korrekt das Kleingeld zurück.»Was ist da schiefgelaufen?« – fragt die Autorin nach der Geschichte jeweils (das oben geschilderte ist eine Zusammenfassung von mehreren Storys). In Spanien setzt man sich nicht zu Leuten an den Tisch, die man nicht kennt. – Macht man das in Deutschland? Eigentlich auch nicht unbedingt ... nur in manchen Gegenden im Bierzelt. Außerdem setzt man sich nicht einfach, sondern fragt in Spanien den Kellner nach einem freien Tisch. In Spanien öffnen die Restaurants erst um 21:30 Uhr (so die Autorin). – Komisch, fragte ich mich, weder für die Kanaren, noch für den Raum Alicante oder Andalusien kann ich das bestätigen. Spät – das ist richtig. Winter und Sommer ist meist ein Unterschied, manche öffnen um 19:30 Uhr, im Sommer um 20:00 Uhr, oder je eine halbe Stunde später, um 21 Uhr ist eigentlich alles geöffnet. Also pauschal kann ich diese Uhrzeit nicht bestätigen. Aber weiter. Auf »Hola!« reagiert der Kellner nicht, das bedeutet so viel wie hallo – Tach auch! – In Spanien zahlt man die Tischrechnung, wie auch immer die Leute am Tisch das untereinander ausmachen … Über Trinkgeld redet man nicht, das lässt man liegen, wenn man geht. Man will den Kellner nicht brüskieren. - die Erklärung, auch völlig korrekt.
»Was können Sie besser machen?«, wird jeweils am Ende nachgeschoben. In diesem Fall wird auf den kleinen Hunger für zwischendurch hingewiesen: Tapas in einer Bar bestellen, oder schlicht ein Getränk, zu dem in den meisten Gegenden eine Kleinigkeit zugereicht wird (Erdnüsse, Chips, ein kleiner Tapa). Die Autorin erklärt den Tagesrhythmus der Spanier, die eine lange Mittagspause haben und oft abends arbeiten (Geschäfte haben meist bis 21 / 22 Uhr geöffnet) und somit wird dementsprechend das Abendessen meist ab 22 Uhr eingenommen. Dazu gibt die Autorin zu jedem Kapitel ein paar Vokabeln auf den Weg (kleines Bier, großes Bier – bzw. was einen erwartet, bestellt man: una cervesa grande … man erhält eine Maß! Was sage ich dem Kellner, wenn ich nach ihm rufe, bestellen möchte, die Rechnung begleichen möchte? Dazu gibt es Infos wie Kaffeekunde (die vielen Varianten), Tapakunde – ja welchen Ursprung hat das eigentlich?
Besondere Informationen sind in graue Kästchen untergebracht: Tapas, Kaffee, Salvador Dalí, Käsesorten, die Erklärung von Kosenamen (Vornamen), Catalán als Sprache usw. Und wo wir bei Catalán sind – Lisa Graf-Riemann erklärt sehr schön, dass es in Spanien mehrere Sprachen gibt, die Dialekte liegen innerhalb der Region, was man nicht verwechseln darf. Und in Gesprächen mit Unbekannten (oder auch Bekannten) sollte man als Ausländer lieber den Mund halten bei Reizthemen, bzw. sich sehr genau informieren, Verständnis für die konträren Seiten aufbringen, bevor man mitredet: Sprachkonflikte, Stierkampf, Fiestas de Sangre, Franco usw. Wie ist das mit du und Sie, wann sagt man Don und Doña, wie begrüßt man sich? Auch Geschäftsessen verlaufen völlig anders als in Deutschland, lernen wir … Sehr lustig fand ich das Kapitel zum Telefonieren. Genauso ist es!
Das Buch spricht viele Dinge an, die zu einem Missverständnis führen könnten und zeigt, wie die Spanier ticken – bzw. wie die Deutschen – und wo es Reibungspunkte geben könnte. Im Prinzip gebe ich Lisa Graf-Rieman recht, das meiste hat sie korrekt dargestellt. Ein paar Dinge sind sehr pauschal dargestellt, oder stimmen schlicht nicht. Bei den Restaurantöffnungszeiten hätte ich mir den Hinweis gewünscht, doch erstmal im Internet bei gängigen Infokanälen nachzuschauen. Denn z.B. bei uns im Ort ist das völlig verschieden, auch die geschlossenen Tage, dazu sind Sommer und Winter verschieden, bzw. zur Hauptsaison ist es noch anders. Laut lachen musste ich zum Thema Strandspaziergang … Ich habe einige Jahre auf den Kanaren gewohnt und wohne nun mehrfach im Jahr in der Region Alicante. Wer arbeitet, geht in die Stadt ins Restaurant essen, geht nicht zum Strand – wer zum Strand geht, hat Freizeit. Und tut mir leid, liebe Frau Graf-Rieman, ich habe weder vor 30 Jahren, noch heute Spanier an der Strandpromenade in Anzughose, Hemd, Socken und Lederschuhen zwischen kurzhosigen Touristen spazierengehen sehen … im Winter, klar, wenn der Wind pfeift – aber dann renne ich selbst auch nicht in kurzer Hose herum. Und ich rede nicht von einem Touri-Ort, wir haben hier wenig Tourismus – zur Saison zu 90 % spanische Touristen– ich hab solch beschriebene Leute an unserer Promenade noch nie gesehen. Casual is casual – egal welche Nation! Und die weißen Socken in den Sandalen tragen die Engländer, selten die Deutschen. Spanier trinken keine Sangía, das ist ein Tourigetränk? Nur komisch, dass die Spanier um mich herum Sangía bestellen – weiß mit Cava ist gerade Mode. Und immer weniger trinken Tino de verano (Rotwein mit Sprite), es gibt das Getränk hier kaum noch direkt aus dem Hahn – dafür aber neuerdings »Radler« aus dem Hahn. Das ist wieder alles pauschal beschrieben.
Die beiden Protagonisten nerven irgendwann
Insgesamt finde ich das Buch informativ, man sollte es jedoch nicht am Stück lesen. Besonders gut hat mir gefallen, dass neben der »Wie ist es in Spanien-Info« oft auch ein warum erklärt wird, dass es Zusatzinfos gibt und immer wieder Vokabeln und Standardsätze eingestreut werden. Anfangs fand ich das Buch amüsant, nur irgendwann gingen mir die beiden Hauptpersonen auf die Nerven ... Hätte ich es mit verschiedenen Charakteren zu tun gehabt, wäre das vielleicht nicht passiert. Lena und Tom sind nicht lernfähig, reagieren tumb und ablehnend-besserwisserisch, unangepasst und empathielos. Das passt so gar nicht zu jungen aufgeschlossenen Menschen von heute. Da hätte ich mir in manchen Szenen abwechselnd dusslige Touris gewünscht, weitaus älteren Jahrgangs. Am Ende treten endlich andere Protagonisten auf: Lenas Eltern. Aber mit Schreck habe ich das Buch zuklappt, als diese beiden um 22 Uhr in »Blümchennachthemd mit Puffärmeln, Harald im Pyjama mit blauen Streifen und Brusttasche« am geöffneten Fenster mitten in Alicante stehen und auf Deutsch hinunter auf die Terrasse der Nachbarn brüllen, es sei jetzt Nachruhe - sich aufregen, weil sogar die Kinder noch wach sind dort unten. Unverschämtheit! – Das sind dann die Seiten im Buch, wo ich Luft holen musste, die mir doch zu dick aufgetragen waren. Leider rutscht die Autorin gern in Klischees ab. Keine Angst, ich habe später bis zum Ende gelesen. Es kommen noch Infos zu Flamenco, Fiestas und div. Infos kompakt am Schluss. Was garantiert ein Fettnäpfchen ist wird nochmal erklärt: »Teller aufessen …« Nun ja, es wäre wohl überall ein Fauxpas, wenn ich Omas gutes Porzellan vertilge. Insgesamt ist der Ratgeber völlig ok., aber man muss halt nicht alles glauben, was in Büchern steht. Und wie das mit Reiseratgebern so ist, jede Region ist ein bisschen anders. Galizien und das Baskenland werden nicht mit einbezogen, auch nicht die Kanaren und Mallorca, Andalusien usw. Ja, natürlich, viele Dinge gelten für gesamt Spanien, aber lange nicht alles. Die Autorin erklärt den sprachlichen Unterschied vom Catalan zum Kastilisch (Spanisch) grob, Gallego und Vasco kommt nicht vor, auch nicht, dass die Kanaren einen sehr südamerikanischen Einschlag in den Vokabeln besitzen. Es gibt eine Menge Infos zu Speisen aus dem Bereich Cataluña, Valencia, aber nicht mal Spezielles aus Andalusien, Mallorca, Islas Canarias ist dabei – und auch hier gibt es Eigenarten der Menschen – in anderen Regionen gibt es keine Paella, keinen Stierkampf (den es hauptsächlich nur noch in der Region Alicante und Andalusien gibt), keinen Flamenco usw. - dafür aber eine andere Esskultur und spezielle Sportarten. Spanienführer - das ist für mich ein wenig weit gegriffen – eigentlich ist das zum Teil ein Regionsführer. Wenn ich einen Deutschlandführer über die Nord- und Ostseeküste mache, die Schwaben, Bayern, Sachsen und Hessen vergesse, macht das einen Unterschied. Mit allen Kritikpunkten meinerseits ist das Buch als Grundstock tauglich, der Informationsgehalt gut. Der Erzählstil ging nicht an mich heran – mir hätte ein sachliches Buch ohne die Fettnäpfchenprotagonisten besser gefallen. Aber das ist ja bekanntlich Geschmacksache.Lisa Graf-Riemann wurde in Passau geboren. Sie studierte Romanistik und Völkerkunde an der LMU München, in Murcia und Coimbra (Portugal). Als feste freie Redakteurin war sie bei Kindlers Neuem Literaturlexikon und als Autorin und Redakteurin von Lehrwerken und Lernmaterialien für große Schulbuchverlage tätig. Sie spricht fünf Fremdsprachen und kennt sich auf der Iberischen Halbinsel bestens aus. Ihr Traumkontinent ist Südamerika. Heute lebt sie in den Berchtesgadener Alpen und frönt dort ausgiebig ihrer Berg-Leidenschaft, wenn sie nicht gerade Bücher schreibt oder auf Reisen ist.
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