Rezension
von Sabine Ibing
So weit das Licht reicht
von Sabrina Imbler
Das Problem bei Büchern, die nicht halten, was sie versprechen, kann entweder beim Lesenden doch ankommen oder eben aus diesem Grund durchfallen. Dieses Buch ist völlig in Ordnung, aber weniger in meinem Interessenbereich verankert. Der Klappentext verspricht: Eine besondere Faszination geht von den geheimnisvollsten Kreaturen der Tiefsee aus, die verborgen vor den Augen der Welt ein Dasein fernab vom Sonnenlicht fristen. Weißhaarige Yeti-Krabben, unsterbliche Quallen, wilde Goldfische, hungernde Tiefseekraken und hybride Schmetterlingsfische – in jedem Kapitel verbindet Sabrina Imbler naturkundliche Beobachtungen mit Geschichten aus dem eigenen Leben und reflektiert über das Erwachsenwerden, Anpassung, fluide Sexualität, Migration, Gemeinschaft und Umweltzerstörung. Leider treten die Meeresbewohner dabei ganz in den Hintergrund.
Der chinesische Stör stirbt bald aus, und damit ist er nicht allein. Alle bis auf vier der weltweit siebenundzwanzig Arten der Familie Acipenseridae stehen kurz vor dem Aussterben. Die Störe sterben also in Seen, Flüssen und Ozeanen auf der ganzen Welt. Diese Riesigen Fische haben den Asteroiden, die Eiszeit und vieles mehr überlebt und werden nun von – kosmisch gesehen – winzigen Hindernissen ausgelöscht, als da wären: unsere Dämme, unsere Boote, unsere Chemikalien, unsere Vorliebe für Kaviar.
Zu wenig Tiefsee
Das Thema sind nämlich nicht die Tiere, sondern die Autorin berichtet etwas über sich selbst. Mein Interesse lag an den Tieren, auch wenn ich davon ausging, dass die Autorin sich weitergehende Gedanken macht. Die Kreaturen der Tiefsee sind lediglich ein Beiwerk am Rande – und das ist schade. Mit der Erklärung, warum der chinesische Stör aussterben wird (die Laichwege in den Flüssen sind durch Stauwerke abgeschlossen), wird die Flucht der Familie der Großmutter aus China beschrieben, was mich sehr berührt hat. Die Autorin berichtet von Essstörungen, ihren Erfahrungen auf Eliteschulen, antiasiatischem Rassismus, von Auseinandersetzung ihrer sexuellen Identität. Sie beschreibt ziemlich kurz ein Meerestier und dann geht es weiter mit sich selbst. Es wird etwas länger über den armen Goldfisch im Glas berichtet, aber der gehört definitiv nicht in die Tiefsee, wie auch nicht der Stör. Von der tanzenden Tiefseekrabbe und Hydrothermalquellen geht es in die Tiefen einer Clubnacht.
Für Naturinteressierte ist es eher eine Enttäuschung
Die Essays setzen sich mit Themen auseinander, die oft in der Literatur besprochen werden und konnten mich auch in der Darstellung nicht ansprechen. Sich ein Tier zu suchen, um das eigene Thema zu besprechen, klang für mich manchmal etwas weit hergeholt: Ich habe ein Problem – bitte gib mir einen Meeresbewohner dazu. Das Oktopusweibchen verhungert für den Nachwuchs, weil es das Gelege nicht allein lassen kann. Damit beginnt die Erzählung, die sich mit der Beziehung der Autorin zu ihrer Mutter beschäftigt – die noch lebt – die immer darauf drang, die Tochter schlank zu halten. Ich habe dann irgendwann angefangen zu blättern. Das Buch mag für den interessant sein, der Texte sucht, die sich mit dem eigenen Ich auseinandersetzen – für Naturinteressierte ist es eher eine Enttäuschung.
Sabrina Imbler ist Schriftsteller:in und Wissenschaftsjournalist:in, lebt in Brooklyn und veröffentlicht Essays und Reportagen unter anderem in der New York Times, «The Atlantic», «Catapult» und «Sierra». «So weit das Licht reicht» ist Imblers Debüt und wurde vom Time Magazine zu einem der zehn besten Nonfiction-Bücher des Jahres 2022 gekürt.
So weit das Licht reicht
Originaltitel: Low Far The Light Reaches: A Life in Ten Sea Creatures
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Anja Kauß
Mit Illustrationen von Simon Ban
Essays
Hardcover, 288 Seiten
C. H. Beck Verlag, 2023
Zeitgenössische Literatur
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