Rezension
von Sabine Ibing
Saison der Wirbelstürme
Dieser Roman ist selbst ein Wirbelsturm in seiner brutalen Sprache, in seiner Gewalt, in der Geschwindigkeit und auch im brutalen Inhalt. Man liest atemlos, schnell und immer schneller. Ja, verdammt, wieso? Fernanda Melchor setzt wenige Punkte. Ein Satz kann einmal über drei Seiten und mehr verlaufen. Etwas, was mich meistens stört. Und weil es mich in diesem Buch so gar nicht störte, ist es mir auch relativ spät aufgefallen. Tempo ist angesagt, brutales Mexiko, eine Welt, in der Frauen nicht zählen; Drogen, Alkohol, Kriminalität, Polizeigewalt, Armut und Aberglaube das Leben bestimmen. Die Männer sind nichtsnutzige Säufer, die Frauen Schlampen, die Sprache von Fernanda Melchor ist rüde und vulgär, wie das ganze Dorfgeschehen.
Am Anfang der Geschichte wird la Bruja, die Hexe, keiner kennt ihren wirklichen Namen, von den Dorfbewohnern aufgefunden, sie wurde ermordet. Ein Grinsen in ihrem Gesicht, als verhöhne sie noch immer die Menschen, die vor ihr Angst hatten, sie bewunderten und gleichzeitig ihr Leben verachteten – eine die faszinierte – die ihre selbstgebraute Medizin und Zaubertränke teuer verkaufte, jungen Mädchen mit Abtreibungen weiterhalf, sich selbst Männer kaufte, eine sagenumwobene Gestalt in schwarzen Kleidern. Die Polizei ist weniger an der Aufklärung des Mordes interessiert, eher an dem angeblichen Schatz der Hexe, den sie irgendwo versteckt haben soll. Die Autorin berichtet von einer verarmten, verrohten Gesellschaft, die keine Zukunft besitzt. Junge Männer, die gedemütigt werden, ihr Ärgernis an den Frauen ablassen. Der Text ist heftig, teilweise kaum zu ertragen. Zerstückelte Leichen, vergewaltigte Frauen, eine Gesellschaft ohne Liebe, voller Pornografie und Drogen. Kapitalismus pur auf Kosten der Armen, die ohne Bildung sind, ohne Würde – wer schert sich schon drum, wenn die Armen verrecken? Eine sozial verlotterte Gesellschaft voller Aberglaube – kein sonniges Mexiko, keine Liebeserklärung an Traumstrände aus dem TUI-Katalog. Ein Land vor dem sozialen Ende. Der Roman ist keine leichte Kost, in jeglicher Form. Hoffen wir auf den letzten Satz im Buch:
Fernanda Melchor, 1982 im mexikanischen Bundesstaat Veracruz geboren, schreibt Romane und Reportagen. Sie lebt in Puebla und gilt als die talentierteste Autorin ihrer Generation. Im Mai 2019 erhielt sie für diesen Roman den »Anna Seghers-Preis« für Nachwuchsautoren. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) vergab der Autorin und ihrer Übersetzerin Angelica Ammar den Internationalen Literaturpreis.
von Sabine Ibing
Saison der Wirbelstürme
von Fernanda Melchor
Er würde in einem Massengrab enden, und schuld daran wären diese Giftnattern, die sich ihre Töchter nannten, deshalb entschied sie sich für eine dauerhafte, sündhaft teure Grabstätte, die mehr kostete als ihr Haus in La Matosa, eine wahnwitzige Summe für die Ehre, Knochen an Knochen mit den Dorfgründern zu liegen, den Villagarbosas, den Condes und ihren Cousins, den Avendaños, die in ihren eleganten Mausoleen aus Marmor und Zierkacheln ruhten, und mitten hinein kam die kanariengelb gestrichene Gruft von diesem Arschloch Maurilio Camargo.
Dieser Roman ist selbst ein Wirbelsturm in seiner brutalen Sprache, in seiner Gewalt, in der Geschwindigkeit und auch im brutalen Inhalt. Man liest atemlos, schnell und immer schneller. Ja, verdammt, wieso? Fernanda Melchor setzt wenige Punkte. Ein Satz kann einmal über drei Seiten und mehr verlaufen. Etwas, was mich meistens stört. Und weil es mich in diesem Buch so gar nicht störte, ist es mir auch relativ spät aufgefallen. Tempo ist angesagt, brutales Mexiko, eine Welt, in der Frauen nicht zählen; Drogen, Alkohol, Kriminalität, Polizeigewalt, Armut und Aberglaube das Leben bestimmen. Die Männer sind nichtsnutzige Säufer, die Frauen Schlampen, die Sprache von Fernanda Melchor ist rüde und vulgär, wie das ganze Dorfgeschehen.
Ob sie das nicht wütend machte? Ob er das nicht büßen sollte? Und Norma, die erst nach und nach begriff, dass all das wirklich geschah, dass es kein schrecklicher Albtraum war, … nicht glauben konnte, dass dieses Fleisch ihres sein sollte, diese gelbliche, körnige Haut, die aussah wie die der gerupften, aufgeschlitzten toten Hühner …
Am Anfang der Geschichte wird la Bruja, die Hexe, keiner kennt ihren wirklichen Namen, von den Dorfbewohnern aufgefunden, sie wurde ermordet. Ein Grinsen in ihrem Gesicht, als verhöhne sie noch immer die Menschen, die vor ihr Angst hatten, sie bewunderten und gleichzeitig ihr Leben verachteten – eine die faszinierte – die ihre selbstgebraute Medizin und Zaubertränke teuer verkaufte, jungen Mädchen mit Abtreibungen weiterhalf, sich selbst Männer kaufte, eine sagenumwobene Gestalt in schwarzen Kleidern. Die Polizei ist weniger an der Aufklärung des Mordes interessiert, eher an dem angeblichen Schatz der Hexe, den sie irgendwo versteckt haben soll. Die Autorin berichtet von einer verarmten, verrohten Gesellschaft, die keine Zukunft besitzt. Junge Männer, die gedemütigt werden, ihr Ärgernis an den Frauen ablassen. Der Text ist heftig, teilweise kaum zu ertragen. Zerstückelte Leichen, vergewaltigte Frauen, eine Gesellschaft ohne Liebe, voller Pornografie und Drogen. Kapitalismus pur auf Kosten der Armen, die ohne Bildung sind, ohne Würde – wer schert sich schon drum, wenn die Armen verrecken? Eine sozial verlotterte Gesellschaft voller Aberglaube – kein sonniges Mexiko, keine Liebeserklärung an Traumstrände aus dem TUI-Katalog. Ein Land vor dem sozialen Ende. Der Roman ist keine leichte Kost, in jeglicher Form. Hoffen wir auf den letzten Satz im Buch:
Dorthin müsst ihr gehen, erklärt er ihnen, das ist der Ausgang aus diesem Loch.
Fernanda Melchor, 1982 im mexikanischen Bundesstaat Veracruz geboren, schreibt Romane und Reportagen. Sie lebt in Puebla und gilt als die talentierteste Autorin ihrer Generation. Im Mai 2019 erhielt sie für diesen Roman den »Anna Seghers-Preis« für Nachwuchsautoren. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) vergab der Autorin und ihrer Übersetzerin Angelica Ammar den Internationalen Literaturpreis.
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