Rezension
von Sabine Ibing
Safe
von Ryan Gattis
Der erste Satz: Ich bin auf der First Street, Augen nach oben, aber tief im Sitz, mein Wagen parkt gegenüber den Sozialwohnungen des Rancho San Pedro Projects am absoluten Ende von Los Angeles.
Zur Abwechselung lasse ich mich einmal über das Cover aus, zu dem ich selten etwas zu sagen habe, für mich geht es immer um den Inhalt: Dieses Cover sieht mit seinem Tiefdruck nicht nur klasse aus, es fühlt sich auch so an: wie ein Safe. Der Einband aus dicker Hartpappe liegt kompakt in der Hand, gibt ein haptisches Erlebnis, das ich von Büchern nicht kenne, und wenn man diesen Safe öffnet, findet man einen Schatz. Zwei Männer, die aus prekären Familien stammen und in ihrer Jugend in kriminelle Kreise gerieten, stehen sich in diesem Roman gegenüber. Es geht um viel Geld, Einnahmen aus Drogengeschäften, die in verborgenen Safes gut vor den Augen der Polizei versteckt liegen. Ein amerikanischer Ghetto-Gangster-Roman auf hohem literarischem Niveau, den ich nur weiterempfehlen kann.
Wisst ihr, für die Dinge, die ich getan habe, gibt es keine Vergebung. Ich kann nicht mehr zurück und wieder ein normales Mitglied der Menschheit werden. Ich kann es jetzt bloß noch versuchen. Versuchen, Menschen zu helfen, aber noch viel mehr versuchen, nicht einem einzigen weiteren Menschen weh zu tun in der Zeit, die mir noch bleibt.
Ricky Mendoza, man nennt ihn nur Ghost, ist der beste Safeknacker, den man sich vorstellen kann. Kein Tresor bleibt für ihn verschlossen. Und deshalb hat er mit den Strafbehörden einen Deal gemacht, der ihm seine Gefängniszeit verkürzte und ihm einen legalen Job bei der Drogenbehörde DEA verschaffte. Die Dealer verstecken schon lange nicht mehr ihre kleinen Drogenpäckchen unter Büschen, sie haben sich auf Abbruchhäuser spezialisiert, in die sie versteckte Safes einbauen. Überall im Viertel verteilt liegen diese Verstecke, in denen Bargeld und Drogen schlummern. Bekommt die DEA Wind von einem Safe, wird das Haus auf den Kopf gestellt, bis der Tresor gefunden ist, und Ghost seiner Arbeit nachgehen kann, schon seit Jahren. Doch nun hat sich sein Leben verändert, er hat nicht mehr lange zu leben. Sein Gehirntumor drückt jeden Tag ein wenig mehr. Auf seine letzten Tage will er etwas Gutes tun, anderen Menschen helfen, alles ist perfekt vorbereitet, mittels einer Kontaktperson. In der Regel liegen 30.000 bis 40.000 Dollar im Safe, doch das ist Ghost zu wenig. Er wartet auf seinen Coup. Und an diesem Tag beginnt der Roman. Ghost findet eine riesige Summe, steckt fast alles ein, übergibt der DEA die übliche Menge. Doch er kann sicher sein, dass die Gangs jemanden bei den Cops sitzen haben und herausfinden werden, wer sich das Geld eingesteckt hat. Sie werden ihn jagen – und finden … Dead Man Walking – Er muss das Geld retten, damit eine Menge kleiner Leute ihr Häuschen abbezahlen können. Sein Leben ist sowieso vorbei, und eine Kugel im Kopf verkürzt sein Leid.
Er hatte keine Ahnung, dass das Leben für die meisten Leute nicht so ist, vor allem, wenn man kein Weißer mit Uni-Abschluss und Leitungsposten in der DEA ist.
Rudy Reyes, Glasses genannt, wegen seiner dicken Brille, soll herausfinden, wo das Geld abgeblieben ist. Er ist Ghost auf der Spur. Letztendlich sind beide Figuren sich verdammt ähnlich, haben einen ähnlichen persönlichen Hintergrund und auch Glasses hat das Gangsterleben satt. Warum geht ein Ghetto-Gangster-Roman mir als Leser so ans Herz? Genau das zeichnet Ryan Gattis aus. Er präsentiert uns keine Volltrottel oder gnadenlose, halsaufschlitzenden Gangster. Er schreibt über Menschen, über ihre Lebensgeschichte, die wenig Chancen zu einem Hochschulabschluss offenhielt, Ghettokinder. Menschen mit Familien, Männer, die unendlich tief lieben können, unendlich tief leiden. Der Autor bewertet nicht, er lässt die Figuren über sich selbst sprechen. Dabei lässt nichts aus, die Brutalität der Clans steht parallel. Die Geschichte spielt in 2008 und die Immobilienpleite ist nicht mehr aufzuhalten, es ist abzusehen, dass eine Menge Leute ihre Wohnungen und Häuser verlieren werden, ohne selbst daran Schuld zu sein. Ein Ghetto-Robin Hood versucht am Ende seines Lebens, wenigstens ein paar seiner Freunde und deren Freunde zu retten, um mit sich ins Reine zu kommen.
Das war so einer ihrer Sätze, bei denen ich nie wusste, ob ich darüber lachen sollte. Ich wünschte, ich hätte gelacht. Denn der Glanz in ihren Augen, wenn sie merkte, dass sie mich zum Lachen gebracht hatte, der war irgendwie alles wert. Genau. Alle.
Bereits mit seinem Thriller »In den Straßen die Wut« hat mich Ryan Gattis überzeugt, aber »Safe« bekommt einen Platz in der Rubrik Lieblingsroman. Dramaturgisch ist dieser Gangster-Blues dicht auf drei Tage aufgebaut, was die Spannung vorantreibt. In Rückblenden erfahren wir mehr über die beiden Protagonisten, über ihre Zielsetzungen, über ihre Gefühle zu ihren Frauen und Kindern, die sie lieben. Und ein besonders Händchen hat Ryan Gattis für Dialoge, das sollte nicht unerwähnt bleiben. Ein Buch, das in der ersten Begegnung haptisch berührt und einen dann sofort nach den ersten Seiten in einen emotionalen Strudel mitreißt. Dies Buch ist das beste Beispiel dafür, warum ein Ebook niemals mit einem gut aufgemachten Papier-Buch in Konkurrenz treten kann.
Ryan Gattis, geboren lebt in Los Angeles. Sein Roman »In den Straßen die Wut« wird von HBO als
TV-Serie adaptiert werden. Die Filmrechte von »Safe« sind bereits von der 20th Century Fox optioniert.
Hier geht es zur Rezension von »In den Straßen die Wut«.
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