Rezension
von Sabine Ibing
Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert
Das irrwitzige Leben des Hasso Grabner
von Francis Nenik
Was wie ein Extremfall aussieht, ist zu diesem Zeitpunkt in Leipzig wie in ganz Sachsen allerdings längst politische Normalität, und während die einen mit Druckerschwärze, Farbe und Papier an ihrer Version der Weltrevolution basteln, besorgen sich andere Schusswaffen und Messer und organisieren sich zu Kampfstaffeln, Wehrverbänden und Schutzbünden, deren Mitglieder allesamt Stöcke tragen, die nicht zum Wandern gemacht sind.
Sein Leben ist eine Geschichte wert: Antifaschist, DDR-Wirtschaftsfunktionär und Schriftstellers Hasso Grabner, geboren 1911, lange Zeit als Kommunist unter Adolf Hitler im KZ eingesessen, Wehrmachtssoldat, er stand vor dem Erschießungskommando und wurde anschließend mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. In der DDR war der Buchhändler kurz Chef des MDR, leitete als Direktor ostdeutsche Stahlwerke. Und weil er nun mal nicht anpassungsfähig war und ihm alles ihm irgendwie passierte in seinem Leben, nichts war geplant, nicht einmal seine Hochzeit, eckte er auch in der DDR ständig an. Er wurde von der Stasi bespitzelt, zum SED Hilfsarbeiter degradiert. Sein ganzes Leben lang schrieb er, wurde 1958 Berufsschriftsteller, bekam in der DDR Publikationsverbot und schrieb trotzdem weiter.
Dass er Kommunist ist, erwähnt Grabner nicht. … Als der oberste Befehlshaber der amerikanischen Militärregierung in Leipzig … 1945 das antifaschistische Nationalkomitee freies Deutschland (NKFD) verbietet, ist Hasso Grabner genau in diesem aktiv. Aber das ist für Grabner kein Problem … schließlich hat sich der bildungsfimmlige Marxist in ihm schon lange genug mit Dialektik befasst, um zu wissen, dass Verbotsschilder per se höchst seltsame Gebilde sind, da sie die Befriedigung eines Wunsches unter Strafe stellen, den sie unter Umständen selbst erst geweckt haben.
Mit viel Humor und Sachkenntnis plaudert Francis Nenik über Grabner. Einer, der einerseits sehr pragmatisch war, andererseits ein bisschen schlitzohrig und obendrein vom Glück im Unglück verfolgt, überlebte so manche Katastrophe. Im KZ Buchenwald meldete er gleich an, dass er Buchhändler sei und gern die Bibliothek betreuen würde, was Grabner einen recht angenehmen Job verschaffte, Kameraden schufteten im Moor, starben vor Erschöpfung. Am Ende des Krieges benötigte das Heer Nachschub für Afrika, Kanonenfutter, man trommelte inhaftierte Kommunisten zum Strafbataillon 999 zusammen. Nach der Ausbildung zum Soldaten ging es ab nach Sizilien und wer nicht unter dem Beschuss der italienischen Partisanen gefallen war, sollte nun nach Afrika ausgeschifft werden. Allerdings Grabner blieb zurück, Glück … landete über diverse Umwege auf Korfu, wo er als Funker eingesetzt wurde und zunächst vor einem Erschießungskommando landete, später das Eiserne Kreuz erhielt (heimlich half der den griechischen Partisanen und Juden), sich in Sarajevo von der Truppe verpieselte …
Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, macht die Partei aus dem Suchenden kurzerhand einen Gefundenen – und am 23. Juni 1948 wird Hasso Grabner. Der gelernte Buchhändler, der noch nie ein Stahlwerk von innen gesehen hat, zum ›Hauptdirektor der Vereinigung der Produktion und Verarbeitung von Roheisen, Stahl- und Walzerzeugnissen‹ ernannt, was bedeutet, dass er ab sofort für die gesamte ostdeutsche Eisenhüttenindustrie verantwortlich ist.
Direktor vom MDR, Direktor der Stahlwerke, alles traute man ihm zu, alles ging schief, insbesondere erhielt er in der DDR Parteistrafen wegen politisch-ideologischer Unzuverlässigkeit. Zum Ende seines Lebens widmete sich Grabner gänzlich dem Schreiben. Von der Stasi bespitzelt, Publikationsverbot, was ihn nicht am Schreiben hindert, ein Leben im Galopp, ungewollte Abenteuer, ein Mann, über den es sich zu erzählen lohnt.
Francis Nenik schafft es, mit diesem Lebenslauf ein Stück deutscher Geschichte wiederzugeben über einen Helden, der nicht weiter beachtet wurde. Ein pragmatischer Typ, der gleichzeitig Vorschriften ignorierte, Ideologien beiseiteschob, um logische Lösungen zu finden. Einer, der sich nie anpasste, eigne Ideen entwickelte, damit scheitert, weil sie nicht ins System passten, sich aber doch immer anpasste, um zu überleben. Süffisant setzt Nenik seine Figur in Szene, eine tragisch-komische Gestalt. Man merkt dem Autor an, wie viel Spaß es ihm macht, diese Geschichte zu erzählen, wie sehr ihm Grabner gefällt. Am Ende fragt sich Nenik, warum dieser Mann vergessen wurde und berichtet, auf der Suche nach ihm kaum Spuren gefunden zu haben, offiziell wurde er gar nicht erwähnt oder nur als Fußnote. Erst tiefe Archive (die er eigentlich gar nicht einsehen durfte), die Ehefrau von Grabner und Weggefährten haben geholfen, den Lebensweg zusammenzusetzen. Ein Held zweiter, dritter Klasse für Historiker, für den Leser ein Genuss.
Dem Buch liegt ein CD bei, Marcel Beyer liest Auszüge aus dem Buch. CD? Manchem fällt es heute
schwer, ein Abspielgerät aufzutreiben. Ein Link zu einem Download mit Code wäre einfacher zu handhaben.
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