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Quell des Lebens von Bergsveinn Birgisson - Rezension


Rezension

von Sabine Ibing




Quell des Lebens

 von Bergsveinn Birgisson


Die Ernährung besteht mehr oder weniger aus verrottetem Haifisch oder Plattfisch, dem Rochen, der wie ein Pisshaus in einem Armenviertel stinkt. Da sammeln die Menschen Engelswurz und Flechten und sieden daraus einen starken Trunk, von dem jedem zivilisierten Menschen übel wird. Dasselbe ist über den Lebertran zu sagen, den sie zu allen Mahlzeiten trinken.

Ich habe mich durch diesen Roman durchgeknabbert und habe mich gefragt, wer den Klappentext geschrieben hat. «Eine bewegende Liebesgeschichte und zugleich eine leidenschaftliche Warnung vor Umweltzerstörung und kolonialem Hochmut.» Meine Bedenken, dass die Liebesgeschichte von Kitsch beseelt sein könne, waren schnell verflogen, denn der Protagonist trifft erstmals auf Seite 180 (von 304 Seiten) auf das Mädchen. Im im 18. Jh. war Island noch eine Kolonie von Dänemark – mit wenig Ertrag, zum Unmut des Dänenkönigs. Die raue Witterung und der steinige Boden ließen den Plan von florierender Agrarwirtschaft nicht aufgehen und man machte das angeblich unwillige, dumme Volk mit verantwortlich. Im Jahr 1783 brach der Laki-Krater aus, Lava floss aus seinem Schlund und er spuckte über Monate Ascheregen aus. Der Himmel verdunkelte sich, ganze Landstriche waren mit Asche übersät, unbrauchbar, Hunger und Krankheit ließ Menschen und Vieh sterben. In Kopenhagen plante man nun die Zwangsdeportation der Bevölkerung, um sie Westjütland anzusiedeln und in Kopenhagen, denn man benötigte billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und in Fabriken. Viel wusste man nicht über das entfernte Island und seine Menschen – es gab aber jede Menge Gerüchte. Und es war klar, dass die Karten vorn und hinten nicht stimmten.

Die Breitenmessungen Knoffs hingegen genossen in der bisherigen Kartografie Islands einen viel zu guten Ruf. Die Wissenschaftsgesellschaft wusste, dass der Franzose de a Crenne auf seiner Karte von 1778 der Wahrheit nähergekommen war, denn dort war der 66. Breitengrad in der Trjekyllivíkurhreppur am nördlichsten Norðurfjörður eingeschrieben, was wiederum um das Cap Nord um 10 Minuten nördlich des Nördlichsten Polarkreises verschob bzw. auf 66 Grad und 40 Minuten nördlicher Breite.

So wird der junge Wissenschaftler Magnús Aurelius Egede auf die Insel geschickt, um sie zu kartografieren und dem Deportationsplan Struktur zu geben, zu berichten, was auf Island vor sich geht, wie groß die Not wirklich ist, wie viele Menschen noch leben. Er ist von Anfang an überzeugt, dass die Gerüchte über die Derbheit und Dummheit der Menschen nicht stimmen könne. Doch zu Beginn tritt er den Einwohnern fast mit der gleichen Arroganz entgegen, wie die anderen Dänen. Immer weiter nach Norden ziehend bekommt er Zugang zur Bevölkerung und lässt sich auf die Geschichten ein, die über diverse Fabelwesen wie Trolle, Feen, Riesen und Erdgeister berichtet werden, verliebt sich im letzten Drittel in die stumme Sesselja.

… erzählen Geschichten von Seegeistern, Meermännchen und Halbmenschen, und je mehr Verrücktheiten und meras nugas vorkommen, desto mehr honneurs der Leute.

Die Geschichte wird aus der Perspektive von wir geschildert, wer auch immer dahintersteckt. Neben der Story selbst ist jede Menge historisches Wissen eingewoben, die Tonalität entspricht einem altertümlichen Sound, der mit Latein, Isländisch und Norwegisch bereichert wird – schon allein die isändischen Namen sind eine Herausforderung. Der distanziert, sachliche Text bekommt Briefeinschübe, die der Protagonist als «Magister historiae M. Aurelius Egede» nach Dänemark als Sachbericht zur Lage sendet, eben noch eine Spur sachlicher.

Seehundjagd ist hier weit verbreitet, sieist eine nützliche Ergänzung zur Erähung der Untertanen, manche kleiden sich auch in gut geschnittene Überkleider, oder auch in Schuhe aus Seehundfell, jedoch bestehen die meisten Schuhe aus Fischhaut, vor allem aus Katfisch, Anarhichas lupus, diesen nennen sie hier steinbítur, und es zerschleißen die Menschen häufig ein Paar Schuhe, wenn sie zum nächsten Hof gehen. Sie messen Distanz einfach in Schuhpaaren.

Das alles hemmt den Lesefluss enorm, auch wenn dieses historische Wissen um Island und Dänemark sehr interessant ist. Es ist ein eisernes Volk, eigensinnig, hart geprüft, sie führen ein Leben am Limit, werden ausgebeutet von Landbesitzern und Dänen. Für mich ist das Ganze ein historischer Sachroman, eben weder Fleisch noch Fisch. Lasse ich mich auf ein Sachbuch ein, weiß ich, was mich erwartet, sachliche Kompetenz in sachliche Sprache verpackt. Natürlich kann man in Romanen Sachwissen verpacken, aber der Fokus sollte auf dem Erzählfluss liegen – das war für mich hier nicht gegeben. Der Roman ist atmosphärisch eindeutig klasse, Landschaft, Menschen, historische Ereignisse, man ist völlig versunken in das alte Island – wenn nicht immer diese Brüche das Lesen erschweren würden … Historisch gibt es eine menge zu erfahren!  Es liegt sicher auch daran, dass der Autor altnordische Literatur studiert hat und ein Fachmann für isländische Geschichte ist, völlig in seinem fachlichen Element.


Bergsveinn Birgisson ist 1971 in Reykjavík geboren, studierte altnordische Literatur in Bergen  (Norwegen). Er publizierte Gedichtbände und Romane. Sowohl sein Romandebüt «Die Landschaft hat immer recht»(dt. 2018) als auch sein neuester Roman «Quell des Lebens» wurde für den Isländischen Literaturpreis nominiert. Ebenso ist dieser Roman für den Literaturpreis des Nordischen Rates 2020 nominiert. Bergsveinn Birgisson lebt in Bergen, wo er auch an der Universität lehrt.


Bergsveinn Birgisson
Quell des Lebens
Aus dem Isländischen übersetzt Eleonore Gudmundsson
Roman, isländische Literatur, historischer Roman
Hardcover, 304 Seiten
Residenz Verlag, 2020





Historische Romane

Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter.  Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz.
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