Direkt zum Hauptbereich

Petit Piment von Alain Mabanckou - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Petit Piment 

von Alain Mabanckou


Der Anfang: Alles begann zu der Zeit, als ich alt genug war, den Namen zu hinterfragen, den Papa Moupelo mir gegeben hatte: Tokumisa Nzambe po Mose yamoyindo abotami namboka ya Bakoko.

Der Roman spielt im Kongo Anfang der Siebziger. Der dreizehnjährige Mose hat einen ewiglangen Namen im Waisenhaus erhalten, für den er sich schämt, übersetzt: »Wir wollen Gott dafür danken, dass der schwarze Moses im Land seiner Vorfahren geboren wurde.« Er nennt sich daher »Petit Piment«, nachdem er zwei üblen Mitschülern Chilipulver ins Essen gemischt hat. Sein großes Vorbild ist der Priester Papa Moupelo, der jeden Samstag vorbeikommt, um die Bibelstunde abzuhalten, der ihm den Namen gab. Als Regierung wechselt, die sozialistische Revolution ausgerufen wird, verändert sich alles im Heim. Der Schulleiter Dieudonné Ngoulmoumako besetzt nun alle Posten neu mit Parteikadern, die zufälligerweise allesamt aus seiner Familie stammen und brutal die Schüler terrorisieren, ihnen die Revolution predigen. Der beliebte Papa Moupelo kommt nun nicht mehr. Die Welt wird trister ohne seine Lider und seinen Froschtanz. Nachdem obendrein eine Erzieherin nicht mehr bei der Arbeit erscheint, die Mose aufgezogen hat, der einzige Mensch, der ihm in diesem Heim mit Liebe begegnete, verlässt er heimlich mit den ruchlosen Zwillingen die Unterkunft. Sie fliehen nach Pointe-Noire, werden Straßenkinder.

Wir waren dreihundert Waisenkinder, in Wirklichkeit dreihundert Papageien mit Kenntnissen, deren Zweck uns nicht unmittelbar einleuchtete.

Es ist ein Schelmenroman, der über die vermeidlich naive Sicht eines Kindes, später eins Jugendlichen, sich über sie sozialen und politischen Verhältnisse eines Landes lustig macht. Dabei reicht für mich der Roman  aber lange nicht an einen Roman Gary heran. Stellenweise fand ich die Geschichte spannend und witzig in seinem beißenden Ton, aber andererseits habe ich mich gelangweilt, mich durch die Aneinanderreihung der ewig langen Namen hindurchgekämpft. Letzteres ist nicht zu kritisieren, im Kongo hat man diese Namen, nur mich hat es regelmäßig bei Perlenketten von aufeinanderfolgenden Namen aus dem Text herausgekegelt. Die Umerziehung der Jugendlichen klang an diesen Stellen zu sachlich, auch wenn es mit Auswendiglernen erklärt wurde, Passagen, die mich aus dem Erzählfluss herauswarfen. Das Straßenkind findet eine neue Heimat in der Gruppe, später im Bordell von »Mama Fiat 500«, auch diese Heimat zieht man ihm durch politische Wechsel unter den Füßen weg. Eine Mischung aus beißendem Humor, tiefer Traurigkeit und unbändiger Wut spricht aus Mose. Einer, der sich durchschlägt und immer ganz unten bleiben wird. Ein Junge, dem die Liebe entsagt wurde, und wenn ein wenig Liebe in seinem traurigen Leben erhaschen kann, entzieht das System sie ihm völlig brutal. Ein Leben ohne Zukunft. Trotz aller Kritik ein lesenswerter Roman.

Während der zwei Stunden vergaßen wir, wer wir waren und wo wir uns befanden. Wenn Papa Moupelo richtig in Fahrt kam und die Sprünge eines Frosches nachahmte, um uns den berühmten Pygmäentanz aus seinem Heimatland Zaire vorzuführen, drang unser Gelächter bis nach draußen vor das Waisenhaus.

Alain Mabanckou wurde 1966 in der Republik Kongo geboren. Mithilfe eines Förderstipendiums verließ er Ende der Achtzigerjahre seine Heimat, um in Paris sein Jurastudium fortzusetzen. Danach trat er in einen französischen Wirtschaftskonzern ein, für den er fast zehn Jahre lang als juristischer Berater tätig war. Während dieser Zeit erschienen zwei Lyrikbände und sein Debütroman, für den er den »Grand Prix littéraire de l’Afrique noir« erhielt. Weitere Romanveröffentlichungen folgten. Mit dem Roman »Stachelschweins Memoiren« gewann er 2006 den »Prix Renaudot«, 2012 wurde er von der Académie française für sein Gesamtwerk mit dem »Grand Prix de Littérature« ausgezeichnet. 2015 stand er mit »Die Lichter von Pointe-Noire« auf der Shortlist des Man Booker International Prize. Alain Mabanckou lebt in Paris und Los Angeles.


Alain Mabanckou, Petit Piment, Roman   
Aus dem Französischen von
Holger Fock und Sabine Müller
240 Seiten Liebeskind Verlag

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

  Aggie freut sich darauf, endlich in ihr eigenes Haus einzuziehen – bis sie feststellt, dass dort bereits ein Geist wohnt. Das Zusammenleben läuft mehr schlecht als recht; nirgendwo hat sie ihre Ruhe. Also stellt Aggie Regeln auf. Doch der Geist hält sich leider nicht gerne an Regeln, bricht sie alle. Aggie fordert ihn völlig entnervt zu einem Wettkampf in Tic-Tac-Toe heraus – wer gewinnt, bekommt das Haus. Ein herrliches Bilderbuch an 4 Jahren, das mit viel Humor geschrieben ist und eine Menge Diskussionen zum Zusammenleben bietet. Weiter zur Rezension:    Aggie und der Geist von Matthew Forsythe