Rezension
von Sabine Ibing
Napoleon
von Noël Simsolo, Jean Tulard und Fabrizio Fiorentino
Wenige Menschen haben die Geschichte einer Nation, um nicht zu sagen, eines Kontinents, derart geprägt wie Napoleon Bonaparte. Der Streit zwischen jenen, die ihn verteufeln und denen, die ihn vergöttern, schwelt noch heute und wird vielleicht nie beigelegt werden. Es ist jedoch unbestreitbar, dass Napoleon sowohl seine Epoche als auch alle darauf folgenden maßgeblich beeinflusst hat. Er ist der Archetyp eines Menschen, der die Welt aus den Angeln hob, mit überbordendem Charisma und übergroßem Ehrgeiz, und sein politisches Erbe kennt keinen Vergleich.
Diese Graphic Novel beginnt 1793 in Toulouse, Napoleon ist 24 Jahre alt und es geht ganz kurz zusammenfassend zurück in seine Kindheit. Die Graphic Novel Serie «Historische Persönlichkeiten» wäre ohne einen Band über Napoleon Bonaparte sicher unvollständig. Auf 168 Seiten widmen sich der versierte Historien-Szenarist Noël Simsolo und Jean Tulard, der führende Experte in der Napoleon-Forschung, dem Leben des «Kleinen Korporals», von seinen ersten militärischen Erfolgen bis zum Exil auf der Insel Elba. Ich will hier nicht alle Schlachten und Schachzüge von Napoleon aufzählen, Siege und eine Menge Niederlagen … Leichen pflasterten seinen Weg. Ein Mann, der fasziniert, der sich Stück für Stück im Militär nach oben arbeitete, seinen Durchbruch als Konsul mit der Französischen Revolution erreichte. Napoleon führte die Artillerie der Revolutionstruppen in der Schlacht um Toulon mit Erfolg an, wurde zum Brigadegeneral berufen. Er besiegte Österreich, besetzte Belgien, das Rheinufer und die Lombardei. Der Volksheld holte einen Sieg nach dem anderen. Dann stürzte er die schwache herrschende Regierungsform und besaß ab diesem Punkt die alleinige Macht über Frankreich; er entriss dem Papst die Krone und krönte sich kurzerhand eigenständig zum Kaiser. Viel Ego und Frechheit zeichnen seinen Charakter.
Was leider in diesem Comic nicht herausgearbeitet wird, weil es hier eher um die Schlachten geht, sind die politischen Erfolge von Napoleon, die ich persönlich als das wichtigste Erbe betrachte. In seiner Zeit als Konsul und Kaiser zeichnete er sich in Handel und der Wirtschaft aus, erließ wichtige Gesetze zu Bildung, Finanzen und Rechtsprechung. Eine seiner größten Errungenschaften wurde der Code Civil, ein Bürgerliches Gesetzbuch. Bis heute ist es die Grundlage der französischen Rechtsprechung. Und nicht nur der Grundstock von Frankreich, auch der von Deutschland und vielen anderen Ländern. Damals übernahmen den Code Civil die Niederlande, Italien, das Königeich Westphalen und die besetzten Gebiete links des Rheins. Frankreich fehlte zur Zeit Napoleons ein einheitliches Gesetzbuch, denn überall in den Regionen gab es viele Gesetze, die sich oft widersprachen, die auf verschiedenen Füßen standen. Im Norden galt das Gewohnheitsrecht, das keiner Schriftform bedurfte, im Süden wurde Römische Recht angewandt, das die Verwaltung zur Basis hatte.
Am 21. März 1804 wurde der Code Civil eingeführt. 2281 Artikel kamen in ihm zusammen, eine Mischung aus Stammes- und Verwaltungsrecht. Es wurde das fortschrittlichste Gesetzbuch seiner Zeit. Als Bürgerliches Gesetzbuch behandelt der Code Civil das Zivilrecht, also nicht das Strafrecht, sondern das Privatrecht: Familie, Besitz, Schulden oder Erbrecht, z.B. dass alle Kinder den gleichen Erbanspruch erhielten. Die Zivilehe und die Scheidung wurden nun staatlich garantiert, Kirche und Staat wurden geteilt; die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Freiheit für alle und der Schutz des privaten Eigentums wurden festgeschrieben, waren die Grundlage – die Forderungen der Französischen Revolution wurden letztendlich umgesetzt, in gesetzliche Rechtsform gebunden. Auch nach Napoleons Niederlage war der Code Civil in vielen Ländern die Grundlage ihrer Gesetzbücher. Zugleich aber schränkte Napoleon mit seinem diktatorischen Regierungsstil die Pressefreiheit und andere Rechte massiv ein, installierte eine Geheimpolizei und fälschte Wahlergebnisse, damit sie ihn bestätigten. Der Widerspruch in einer Person kann nicht größer sein. Der Code Civil wäre für mich die größte Hinterlassenschaft, die Napoleon der Welt gegeben hat. Schade, dass er in diesen Band keinen Einzug gefunden hat.
Die Illustrationen sind an die realen Figuren angelegt, auch die Landschaftsbilder; es gab viel Material, sagen die Macher dieser Graphic Novel. Ich bin begeistert, mit wie viel Detail und Feingefühl die einzelnen Bilder in Szene gesetzt werden. Ob nun große, ganzseitige Bilder, die begeistern, oder kleine Szenen, der Zoom ins Detail, in die Gesichter, sie alle sind großartig gezeichnet. Am Ende des Buchs gibt es nochmal eine Abhandlung über das Leben Napoleons, die gut und verständlich geschrieben ist. Aber auch hier fehlt der Code Civil – somit das Wichtigste, was Napoleon ausmachte. Denn es wird auch nicht erwähnt, dass Napoleon den von ihm eroberten Gebieten den Code Civil aufdrückte, ob sie wollten oder nicht und diese Hinterlassenschaft bis heute geblieben ist – auch wenn sie hier und da kurz ausgesetzt war. Historisch ist die Geschichte korrekt. Für mich hat die Graphic Novel den falschen Namen, sie müsste heißen: Die wichtigsten Schlachten Napoleons. Unter dieser Prämisse ist der Comic großartig. Sollte die Absicht dahinter gestanden haben, Napoleon als Mensch, mit all seinen Leistungen – eben auch den zivilen, dazustellen, würde ich den Daumen senken. Hier wurde nur der geniale Feldherr dargestellt. Zeichnerisch hochwertig ist der Band auf jeden Fall empfehlenswert. Als Biografie würde ich das historische Buch nicht bezeichnen, dafür fehlt wirklich zu viel Wichtiges. Es ist eine Schlachtenbiografie.
Noël Simsolo ist ein französischer Regisseur, Drehbuchautor, Filmhistoriker und Romancier. Er ist vor allem für die Edgar Flanders-Reihe sowie Interviews mit Sergio Leone bekannt. 2004 erschien mit Ne touchez à rien sein erstes Comicalbum. Inzwischen hat Simsolo beim französischen Verlag Glénat eine ganze Reihe vornehmlich historischer Comics vorgelegt, unter anderem über Napoleon Bonaparte und Marie Antoinette. In der Kollektion 9 1/2, die ebenfalls von Glénat verlegt wird, widmet er sich großen Persönlichkeiten der Filmgeschichte wie Sacha Guitry, Sergio Leone oder Alfred Hitchcock.
Jean Tulard ist ein französischer Historiker. Er ist auf die Französische Revolution und das Erste Kaiserreich unter Napoleon Bonaparte spezialisiert.
Fabrizio Fiorentino geboren 1973 in Torre del Greco, Italien, ist ein renommierter Comic-Künstler und Designer. Nach seinem Abschluss an der Liceo Artistico Art High School und einem Studium an der Akademie der schönen Künste in Neapel debütierte er 1994 mit «Dick Damon» beim Verlag «Fenix».
Reihe Historische Persönlichkeiten
Übersetzt aus dem Französischen von Harald Sachse
Graphic Novel, Comic, Historische Persönlichkeiten, historische Schlachten, Frankreich, Französische Revolution, Napoleon, Joaquín Murat, Talleyrand, Jean-Baptiste Bernadotte
Hardcover, 168 Seiten
Graphic Novel, Comic, Grafisches
Historische Romane und Sachbücher
Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter. Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz. Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.Historische Romane
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