Direkt zum Hauptbereich

Meine Île de Ré von Bernd Eilert - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Meine Île de Ré 


von Bernd Eilert


Der Anfang: 

Eben frage ich mich, ob Menschen, die auf Inseln geboren wurden, mit dem Festland ähnlich tagträumerische Sehnsüchte verbinden, wie umgekehrt Festlandianer sie allgemein für Inseln empfinden. Vorstellen kann ich mir das nicht. Ich nehme an, dass sich geborene Insulaner auf dem Festland eher zurücksehnen nach ihrer Geburtsinsel, danach, wieder von Wasser umgeben und vom Festland abgesondert und damit etwas Besonderes zu sein. Nicht allein der sogenannte Brexit spricht für diese Vermutung.


Immer derselbe Urlaub: Wangerooge im Dauerregen, die Eltern im Dauerstreit. Der Inselurlaub der Kindheit ist nicht in guter Erinnerung. Und doch hat Bernd Eilert ziemlich viele Inseln bereist, von denen er uns berichtet. Auf die Île de Ré hat ihn seine Frau geführt. Ihr Charme äußert sich für den Autor durch den Mangel an offensichtlichen Sehenswürdigkeiten und zur Show getragenem Schischi. Die einzigen Sixpacks, die auf der Insel zur Schau getragen würden, findet man hier auf gerunzelten Stirnen. Ein idealer Ort für Müßiggänger und Entdecker! Wieder so ein Buch, an das ich völlig andere Erwartungen hatte, nämlich die an Nature Writing. Das Thema können wir streichen, fast, denn es gibt Einschübe wie diesen: «Die Palette der Insel tendiert hier zu den gedämpften Farbtönen alter Sofakissen, veloursartige Oberflächen, wie von feinen Fasern überzogen.» Es ist ein Plauderbuch über Gott und die Welt, voller Literaturzitate. Die Île de Ré ist eher ein kleines Nebenprodukt. Ein Buch für Müßiggänger und Entdecker, die den Plauderer mit seinem Humor genießen.


Als ich wieder ruhiger atmete, erklärte mir mein Vater, wie das Salzwasser in meinem Ohr den Orientierungssinn gestört hatte. Er sagte das beinah vorwurfsvoll, was aus dem Schock eine traumatische Erfahrung hätte machen können, für die Kinder ja besonders empfänglich sein sollen. Das Gefühl vollkommener Ohnmacht und extremer Hilflosigkeit war vorhanden. Die Herzlosigkeit meines Vaters führte bei mir indes zu einer Trotzreaktion. Dass ich ihm nicht mehr vertrauen konnte, stand für mich nun endgültig fest.


Die französische Bourgeoisie und der Mauerbau

Geschichtliches, Anekdoten – das beginnt gleich mit Paris, mit herrlichen Zitaten von Schriftstellern; der Leser gnickert vor sich hin. Französisch war nicht das Lieblingsfach von Eilert: «Allein schon die näselnde Aussprache, die vielen Sätzen einen Anklang von Benimmregeln verleiht und mich an affektierte Influencer und arrogante Oberkellner erinnert, hatte mich in der Schule davon abgehalten, anständig Französisch zu lernen.» Geschichtlich hat dies Île de Ré einen typischen kurvigen Werdegang, wie viele ihrer Schwestern. Mangels Fläche spezialisiert man sich – und alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Salz, Wein, Fisch und Meeresfrüchte. Um 1900 grassierte die Reblaus – aus für den Wein, billiges Salz aus der Provence verdarb die Preise. Der wirtschaftliche Niedergang nach dem Ersten Weltkrieg brach wirtschaftlich den Hals. Das Meer ist leergefischt, der Tourismus macht den Kohl auch nicht fett. Allerdings hat sich eine gewisse Klientel von neuen Eigentümern vom Festland in den alten Häusern niedergelassen: «In den Inselhäuschen logiert zumindest in den Ferien die französische Bourgeoisie und genießt das, was sie vermutlich für das einfache Leben hält», wozu der Autor Walter Ulbricht zur Absicht des Mauerbaus zitiert. «Die verbotene Stadt in Peking könnte kaum besser geschützt sein als die meisten Ferienhäuser der Île de Ré.» Eilert präsentiert uns seine Apologie der Schickimickis oder sinniert über Besucher und Besatzer der Insel. Wir erfahren Privates, über die z.B. die ersten Jahre in Frankfurt, als Eilert bei F.K. Waechter einzog (der damals noch für die «pardon» arbeitete), etwas über die Gründung der Satirezeitschrift «Titanic» und der «Neuen Frankfurter Schule», sowie die Beziehung des Autors zu Otto Waalke. 


Inselbuch, Reiseliteratur, Empfehlung für Müßiggänger und Entdecker


Etwa 100.000 Menschen wurden von Saint-Martin aus verschifft, viele starben schon auf der Überfahrt nach Südamerika. Gegenwärtig sitzen die meisten Gefangenen im Hochsicherheitstrakt der Zitadelle lebenslänglich.


Aber es geht in diesem Band um vieles mehr. Bernd Eilert ist ein Plauderer. Und während er erzählt, kommt er vom Hölzchen aufs Stöckchen, zitiert bekannte Autoren zum Thema. Weil er das mit subtilem Humor schafft, konnte er mich bei Laune halten. Am Ende stelle ich fest, die Île de Ré ist nur ein Nebenprodukt in diesem Buch. Inseln, Historisches, Anekdoten, Zitate, Weltbewegendes - herrlich amüsant. Frankreich, Liebe und innerer Widerstand in einem deutschen Herzen – aber wie sagte bereits Goethe (Zitat in diesem Buch): «Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzosen leiden – doch ihre Weine trinkt er gern.» Eben ein Inselbuch, Reiseliteratur, Empfehlung für Müßiggänger und Entdecker, die einen Plauderer mit subtilem Humor genießen.


Bernd Eilert, geboren 1949 in Oldenburg, lebt seit gut 50 Jahren in Frankfurt a.M., wo er zur Neuen Frankfurter Schule gehört. Er war u.a. Mitbegründer der Zeitschrift »Titanic«; eine andauernde Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Komiker Otto Waalkes. Für sein Schaffen als Erzähler und Übersetzer wurde Eilert mit dem Preis der LiteraTour Nord und dem Binding-Kulturpreis ausgezeichnet.



Bernd Eilert
Meine Île de Ré 
Erzählung, Zeitgenössische Literatur, Île de Ré, Frankreich, Reiseliteratur
Hardcover mit Schutzumschlag, 192 Seiten, Lesebändchen
192 Seiten 
Mareverlag, 2022




Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna

  Ein alter Mann lebt in einem Haus am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Eines Tages kommt ein hungriger Hund zum Haus, der sich nicht herantraut. Der Mann stellt Futter hin und geht zurück ins Haus. Jeden Tag kommt der Hund am Morgen und am Abend, und weil er so knochendürr ist, nennt der Mann ihn Osso, schließt den Streuner ins Herz. Eine wunderschön erzählt und illustrierte Geschichte über die Beziehung Mensch und Hund. Allage, ab 10 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna