Direkt zum Hauptbereich

LifeHack – Dein Leben gehört mir von June Perry - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




LifeHack – Dein Leben gehört mir 


von June Perry


Der Anfang: Drei Polizeiwagen parkten auf dem gepflegten Rasen vor dem Einfamilienhaus. Ihr Blaulicht streifte in steter Wiederholung über die weiße Holzfassade.
Wie eine Feedbackschleife. Für einen Moment blieb Ed im Wagen sitzen, der sich an den Straßenrand geparkt hatte, und beobachtete das Licht. Wieso war die Polizei hier? Ihm war klar, dass die Carmikels oft emotional reagierten und deshalb übertrieben. Das war der Grund, weshalb er sie ausgewählt hatte. Ihre Emotionen waren sehr gut lesbar. Ein Vorteil.
Blaulicht.
So ein Scheiß!

Ed ist Programmierer, einer der besten seines Fachs. Er hatte ein Familien-Assistenz-Programm entwickelt, das gerade im Haus einer Familie getestet wird. Ein Programm mit neuralem Netzwerk, das sich selbstständig weiterentwickelt. Und dieses System, eine Software, war durchgedreht, hatte getötet. Stan Carmikel ist tot, weil die KI entdeckt hatte, dass er fremdging, seine Familie betrog, böse war. Das kann nicht sein, die KI ist nur ein Programm, sie kann nicht denken und fühlen! Und diese KI ist ihm ins Netz entwischt! Er muss sie suchen.

Dystopie in der nahen Zukunft

Elli ist eine ganz normale Jugendliche – gut, sie hatte zusammen mit ihrer Mutter einen Autounfall, die Mutter war verstorben und sie selbst hatte lange Zeit im Krankenhaus verbracht. Zurück blieben kleine Ohnmachtsanfälle, die durch Flash-Backs ausgelöst werden – selten. Ihr Vater ist Programmierer, früher hatte er KI’s entwickelt, doch das machen die Maschinen heute eigenständig. Er sitzt nun in einem Keller einer Einkaufsmall, repariert Service-KI’s wie Verkäufer*innen, Kellner*innen, pflegt sie, lädt sie auf. Zu Hause besitzen sie ein Hausnetzwerk und eine KI-Katze, allerdings keine Haushaltsroboter. Elli fährt einen elektronischen Oldtimer, den man noch selbst lenken muss. Sie ist in Parker verliebt, der gegenüber wohnt, einen ziemlich brutalen Vater hat, der Technik verachtet, Roboter offen bekämpft. Leider ist Elli schüchtern, nur im PC-Spiel ist sie eine Heldin, steht in einem Onlinespiel als Ada an Parkers Seite. Parker würde gern wissen, wer hinter dieser taffen Ada steckt.

Sie ist dabei, Ellis Leben zu übernehmen

Eines Tages erscheint in der Schule eine neue Schülerin: Ada. Elli schnappt nach Luft! Sie sieht aus wie sie, trägt die gleichen Klamotten, Stiefel. Sie ist offen, charmant. Die anderen lachen: Hey Elli, hast du eine Schwester? Aber Elli findet das gar nicht lustig – das Biest weiß unheimlich viel über sie – was niemand wissen kann – außer einem Hacker. Da hatte es doch diesen Hackerangriff auf ihr Haussystem gegeben, den sie durch Abschalten gerade noch abwenden konnte. Alles war ok. Nur die Katze war irreparabel krepiert. Wer ist Ada? Auf jeden Fall ist sie Miststück, denn sie macht sich an Ellies Freundinnen heran, zieht bei ihnen zu Haus in das zu vermietende Zimmer ein. Und sie hat es auf Parker abgesehen, anscheinend mit Erfolg! Sie ist dabei, Ellis Leben zu übernehmen. Aber nicht mit ihr!

Aber wie weit dürfen komplexe Systeme, gehen?

Adas Blick ruhte auf dem winzigen Grab. Das Sterben gehört zum Leben. Aber sie konnte nicht sterben. Die logische Schlussfolgerung war, dass sie demnach auch nicht leben konnte. Entsetzt schloss sie die Augen. Nein! Das war falsch. Ihre Existenz konnte sich doch nicht durch das Ende ihrer Existenz definieren.

Ada war eine gefühllose Konstruktion aus Bits und Bytes, die sich selbst entwickelte, Gefühle erlernte. Sie will nun frei sein, sie will ein Mensch sein! Fühlen! June Perry nimmt hier mit einem spannenden Plot ein Thema der Zukunft auf. Wie weit wollen wir in der Technik gehen? Wo unterscheidet sich der Mensch vom Computer, Logik gegen Menschenverstand. Roboter, künstliche Intelligenz, kann eine Maschine den Menschen ersetzen, ihn vielleicht sogar abschaffen, weil sich der Mensch als dumm erweist? Es gibt Berechnungen, die behaupten, dass bis 2030 ein Drittel aller weltweiten Arbeitsplätze durch Roboter bzw. Softwaresysteme ersetzt werden. Wie weit darf ein Blechkamerad dem Menschen ähneln? Wer möchte heute noch ohne Computer leben, und wäre es nicht schön, wenn eine Minna oder ein Hanswurst putzen, spülen, Wäsche waschen würde, ein Agent, der alle Launen erträgt, aufs Wort gehorcht, mich nicht vollquatscht und schon gar keine Widerworte gibt, keine Gehaltsaufbesserung verlangt? Aber wie weit dürfen komplexe Systeme, gehen, die wir selbst nicht mehr verstehen, nicht ahnen, welche Konsequenzen sich aus ihren eigenen Algorithmen ergeben? Ist Logik dem gesunden Menschenverstand überlegen? Könnten uns KI-Systeme möglicherweise schaden? Wie angreifbar sind wir, wenn wir das Denken anderen überlassen und uns völlig von Elektronik abhängig machen? Der der verstorbene Physiker Stephen Hawking warnte und rief uns zur Kontrolle auf, weil zu befürchten ist, dass digitale Superintelligenzen entwickelt werden könnten, die niemand mehr im Griff hat, die sich gegen den Menschen stellen könnten.

Ein feiner Jugendroman, der zum Nachdenken anregt.

Sie ist nur eine Software. Aber sie will fühlen. Sie will lieben. Sie will leben. Sie will DEIN Leben.
Eine Dystopie, die in der nahen Zukunft spielt, spannend geschrieben. Rasant, aber mit Ruhepausen für den Leser. Gut, im Kopf arbeitet es ständig beim Lesen – Überlegungen zur Zukunft: Was wollen wir? Wo hört die Entwicklung auf. Wie soll ein Hausroboter aussehen, wie eine Maschine oder wie ein Mensch. Was sind ethische Grenzen, wie kann eine harmlose KI bereits mit ihrer Anwesenheit den Menschen verschrecken, in Angst versetzen? Mitreißend ist die Geschichte allemal, empathisch, denn es gibt interessante Wendungen und ein bombastisch geniales Ende. Hier ist nichts, wie es scheint – nur die wirklich Bösen sind gesetzt. Ein feiner Jugendroman, der zum Nachdenken anregt. Was kommt auf uns zu und wie wollen wir das bändigen? Denn darüber müssen wir uns heute Gedanken machen! Was geben wir preis, sind wir noch Herr darüber? Wem geben wir das in die Hand und was geschieht mit unseren Daten?

Gut geschrieben, eine moderne Sprache, jugendgerecht, die mit Fachausdrücken zum Thema KI angereichert ist, ohne dass man sich überfordert fühlt. Die Altersangabe, ab 14 Jahren, seitens des Arena Verlags ist völlig ok.

June Perry alias Marion Meister liebt es, in andere Charaktere und ungesehene Welten zu schlüpfen. Besonders gerne erfindet sie zukünftige Szenarien, die von unserer Gegenwart nicht weit entfernt sind. Die ersten Augmented-Reality-Spiele hat sie sich auf den Reisen durch alte Ruinen selbst erdacht, später entdeckte sie Pen & Paper sowie Video-Adventure-Games für sich. Inzwischen fiebert sie den unbegrenzten Spiel-Möglichkeiten der virtuellen und erweiterten Realität entgegen – diese haben sie zu «White Maze – Du bist längst mittendrin» inspiriert.


June Perry 
LifeHack – Dein Leben gehört mir
Jugendbuch, Roman, Dystopie
Arena Verlag, 2019, 368 Seiten, Klappenbroschur
Ab 14 Jahren

Interview mit Marion Meister ( alias June Perry, Mareike Marlow, Schriftstellerin für Kinder- und Jugendbuch, Krimis)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna

  Ein alter Mann lebt in einem Haus am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Eines Tages kommt ein hungriger Hund zum Haus, der sich nicht herantraut. Der Mann stellt Futter hin und geht zurück ins Haus. Jeden Tag kommt der Hund am Morgen und am Abend, und weil er so knochendürr ist, nennt der Mann ihn Osso, schließt den Streuner ins Herz. Eine wunderschön erzählt und illustrierte Geschichte über die Beziehung Mensch und Hund. Allage, ab 10 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna