Rezension
von Sabine Ibing
Leuchtfeuer
von Dani Shapiro
Gesprochen von Julian Horeyseck
Ungekürztes Hörbuch Spieldauer: 8 Std. und 14 Min.
Eine glückliche amerikanische Vorzeigefamilie: Ben, ein Arzt und seine Frau Mimi Wilf mit ihren Kindern Sarah und Theo. In einer Sommernacht 1985 in einem Vorort von New York steigen drei betrunkene Teenager in ein Auto - und nichts ist mehr wie zuvor. Sarah, bereits in der Abschlussklasse, zu betrunken, um zu fahren, gibt Theo, der noch keinen Führerschein hat, den Autoschlüssel und der will Nachbarstochter Misty beeindrucken. Es kommt zu einem Unfall direkt vor der Haustür, bei dem Misty stirbt. Sarah sagt, sie sei gefahren; die Eltern wissen genau, dass dies nicht stimmt. Der Vater begeht einen Fehler, weil der das Mädchen aus dem Auto schleift. Über all das wird nie wieder gesprochen. Die einzelnen Familienmitglieder zerbrechen fast an der Last des Geheimnisses, das sie seitdem teilen, entfremden sich; jeder lebt sein Leben für sich.
Der Erzähler springt hin und her
Ich war ein paar Mal drauf und dran, den Roman abzubrechen, habe mich dann aber durchgeschleppt. Was mich offensichtlich störte, war das Gefleddere. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen, vom Anfang stringent bis zum Ende, von der Mitte mit Rückblicken, vom Ende rückwärts aufrollend usw. – ebenso gibt es verschiedene Möglichkeiten in der Erzählstimme. Hier haben wir diverse Protagonist:innen, die anfänglich eine glückliche Familiale bilden, dann auseinanderdriften. Der Kern spielt im Jetzt, im Sommer 2020, Corona-Lockdown (das auch noch!), die Kinder sind erwachsen, die Eltern betagt, Mutter Mimi ist dement. Theo hat als Koch jahrelang im Ausland gearbeitet, Sarah, Alkoholikerin, lebt in Los Angeles, arbeitet erfolgreich als Filmproduzentin. Der Erzähler springt hin und her zwischen den Zeiten und Personen, hinzu kommt eine Nachbarsfamilie der Eltern mit Sohn Waldo, dem Ben auf die Welt geholfen hatte, weil die Mutter es nicht mehr zum Krankenhaus geschafft hätte. Auch hier gibt es ein Familiendrama. Dani Shapiro bewegt sich hin und her, für mich nervig; es entstand kein Fluss der Geschichte, sondern ein Gehacke von Einzelstorys, die irgendwie zusammengeklatscht werden, die zum Überdruss wie Strudelteig gezogen sind.
Klischeehaft aufgestellt, dick mit der Tränendrüse aufgetragen
Der nächste Punkt hat etwas mit Geschmack zu tun. Ich mag keine klischeehaft-kitschigen Storys. Schon gar nicht, wenn sie auch noch dick auftragen sind. Rührselige amerikanische Literatur, die manchem zu Herzen gehen mag, die für mich psychologisch nicht stimmig ist. Der Lesende soll wahrscheinlich denken, dass die Probleme, die die einzelnen Familienmitglieder haben, aus dem unverarbeiteten Ereignis herrühren. Für mich ist das nicht stimmig; es wird auch nirgendwo ausgesprochen. Wir erleben einen empathischen Arzt, einen guten Vater. Und der lässt seine Kinder hängen, indem der Unfall nie wieder erwähnt wird? Und der holt das verletzte Mädchen aus dem Auto, um erste Hilfe zu leisten, bricht ihr dabei wahrscheinlich das angeknackste Genick. Alles nicht vorstellbar. Und niemand aus der Familie lässt seine Probleme aufarbeiten – das in den USA bei Gutverdienenden? Psychologisch sind die Figuren für mich unglaubwürdig, eher klischeehaft aufgestellt, dick mit der Tränendrüse aufgetragen. Es war nicht mein Roman.
Dani Shapiro ist Autorin, Dozentin und Host des erfolgreichen Podcasts “Family Secrets”. Leuchtfeuer wurde mehrfach ausgezeichnet und war ein großer Bestseller in den USA. Dani Shapiro lebt mit ihrer Familie in Connecticut und entwickelt derzeit Leuchtfeuer zur Fernsehserie.
Leuchtfeuer
Gesprochen von Julian Horeyseck
Ungekürztes Hörbuch Spieldauer: 8 Std. und 14 Min.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Zeitgenössische Literatur, Amerikanische Literatur
Lübbe Audio, Audible, 2024
Hanserblau Verlag, 288 Seiten, 2024
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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