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Kommissar Traudich und das Schweigen des Stoppelfelds von Gudrun Wiebke - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Kommissar Traudich und das Schweigen des Stoppelfelds 


von Gudrun Wiebke

Kriminalerzählungen


Der erste Satz:
Ein ungewöhnlich heißer Sommertag trug das Summen einer dicken Fliege, die immer wieder gegen das Gitter des Fliegenschutzes flog, in Kommissar Traudichs Arbeitszimmer.


Diese Kriminalerzählungen sind völlig anders als das, was üblicherweise zu finden ist. Und genau das gefällt mir. Abseits vom Mainstream. Ernst August Traudich, Kommissar auf Eiderstedt, Nordfriesland ist ein gemütlicher Typ, mag es nicht, wenn man ihn treibt, etwas das seinem Alter nicht entgegenkommt und schon gar nicht seiner nordischen Dorfmentalität. Er wohnt allein in der geerbten Barke seiner Eltern auf der Halbinsel zwischen Hüsum und Büsum. Seine Frau hat ihn verlassen, etwas, das er in sich trägt, was ihm zu schaffen macht. Die Weite des Marschlandes ist ihm bei seinen Spaziergängen Begleiter und Berater zugleich. Die erste Kurzgeschichte beginnt mit einem abgeschlossenen Fall. Der Täter ist geschnappt, die Indizien sind eindeutig. Traudichs bester Freund, der Wirt vom «Zum großen Anton» redet ihm ins Gewissen. Der kann es nicht gewesen sein, der ist einer, der alles mit sich machen lässt – aber keiner, der was macht. Natürlich war er es, logisch – denn er hat die Tat nicht geleugnet. Anton korrigiert, der bringt keine Frauen um, und er leugnet nicht, weil er ja immer alles mit sich machen lässt. Traudich kommt ins Grübeln. Muss sich erstmal mit betrunkenen Jugendlichen beschäftigen, einer von ihnen wurde von einem Unbekannten Knock out geschlagen. 


Komplexe Figuren


Was Christa wohl dazu gesagt hätte? Mit ihr zusammen wäre ihm ein solcher Ausrutscher nicht passiert. Er stöhnte, öffnete seinen Hosenknopf, weil die Hose auch schon zwackte. Auch das wäre ihm mit Christa nicht passiert. Mit ihr zusammen wäre nicht nur sein Gewicht, sondern auch sein Gleichgewicht im Lot. Wie unverantwortlich von ihr, ihn einfach zurückzulassen.


In einer kleinen Gemeinde kennt jeder jeden und kaum etwas bleibt für Traudich geheim. Und wenn man drei und drei zusammenzählt, Dinge, die hier nicht hierherpassen analysiert, Zusammenhänge knüpft, dann kommt man dem echten Täter ganz nah, verhindert einen weiteren Mord. Der Leser weiß Bescheid, ist dem Mörder bereits auf der Spur. Traudich ist kein einfacher Typ, man lernt ihn von Erzählung zu Erzählung besser kennen, einer mit Prinzipien und Hang zu Monotonie. Er liebt Magenbitter, ist vereinsamt, selbstmitleidig und kommt mit der Technik nicht mehr richtig mit, mit der Schnelligkeit der Zeit – und gibt gern anderen die Schuld. Am liebsten isst er Bratkartoffeln mit Salzhering und sauerer Gurke – fast jeden Tag bei Anton. Oft gibt es nur Bratkartoffeln, weil der Rest aus ist. Als Kommissar ist er gewitzt, kann gut kombinieren, auch wenn der Groschen spät fällt. Es sind Kurzgeschichten, die oft berühren, denn Gudrun Wiebke schafft es, ihre Figuren zu verdichten, die Essenz herauszuholen, die Tragik der komplexen Gesamtheit auf den Tisch zu bringen. In einem Fall lässt Traudich den Täter letztendlich laufen, denn der ist bestraft genug, ein Opfer; das selbst große Schuld trägt, ein Ereignis, welches das Leben einer Handvoll Menschen zerstörte. Die Entscheidung wird ihn in der letzten Geschichte einholen.


Literarische Kriminalgeschichten


Traudich fuhr auf Schleichwegen durch die Masch. Die frischen Schilfgräser über den Ufern der Marschgräben standen erst zur Hälfte ihrer endgültigen Höhe zwischen den alten, abgestorbenen Gräsern des Vorjahres ... Helles, ausgewaschenes Beige vor sattem grün.


Gudrun Wiebke schreibt in leisen Tönen, die aber lange nachhallen, Geschichten, die das Leben schreibt, ein ewig leidender Traudich, ein nachdenklicher, ruhiger Typ, der stets mit sich hadert. Eiderstedt, Nordfriesland, atmosphärisch fängt die Autorin Menschenschlag und Landschaft ein. Literarische Kriminalgeschichten, die gefallen.


Gudrun Wiebke wuchs in Norddeutschland auf und arbeitete nach ihrem Studium zur Grund- und Hauptschullehrerin als Lehrerin an einer Berliner Hauptschule. Nach ihrem Ausstieg aus dem Schulleben baute sie zusammen mit ihrem Mann eine Firma auf. Parallel dazu entschied sie sich für eine Ausbildung zur Drehbuchautorin. Beim Norddeutschen Nord-MordAward erhielt sie den 3. Platz mit «Kommissar Traudichs Zweifel und das kleine Mädchen».


Gudrun Wiebke 
Kommissar Traudich
Erzählungen, Kurzgeschichten, Kriminalliteratur
Taschenbuch, 156 Seiten
Verlag Akademie der Abenteuer, 2021



Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller


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