Direkt zum Hauptbereich

Kicheritis – Anstecken erlaubt von Gwen Lowe - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing


Kicheritis

Anstecken erlaubt 

von Gwen Lowe


Der erste Satz: Mr und Mrs Dent gehörten nicht zu der Sorte Eltern, die gern Kinder um sich haben. ›Diese grässlichen kleinen Schmutzfinken, die sich ständig in der Nase bohren und überall Dreck und Bazillen verbreiten‹, klagte Mrs Dent an diesem Morgen zum millionsten Mal. Mit ihrer besten langstieligen Greifzange bewaffnet hing sie aus dem Küchenfenster wie eine Zirkusakrobatin und angelte geschickt die Zeitung aus dem Briefkasten am Gartentor. Mrs Dent ging nie nach draußen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.

Achtung! Warnung! Dieser Inhalt ist nicht keimfrei, Ansteckungsgefahr! Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Ich empfehle, jeden Buchstaben vor dem Lesen sorgsam mit einem Desinfektionstuch abzuputzen. Die Rezensentin übernimmt keine Verantwortung für Erkrankungen, die aus diesem Text entspringen könnten.


Alice Dent wohnt in Klein-Nixdorf in der Pustelgasse Nummer 9 und sie beherrscht es, sich sozusagen unsichtbar zu machen, ein Trick, damit ihre Eltern sie nicht wahrnehmen. Nun ja, sie interessieren sich sowieso nicht für Alice. Ihre Hauptbeschäftigung dreht sich um ihre Hauptsorge: Kein Keim in mein Heim! Wir befinden uns in einem unbekannten Land das einen Superminister für mehr Sauberkeit und Ordnung hat, der die Keimfreiheit im Land durchsetzen will. Die Dents können es nicht verstehen, dass es immer noch Eltern im Land gibt, die sich einen Dreck um Bazillen und Keime scheren. Der Superminister hat diesbezüglich auch Superideen: Er will streunende Katzen ausrotten, keimversiffte Eiswagen in mobile Banken umwandeln und er will die Farbe Orange verbieten.

Entwischt und doch gefangen

Plötzlich hat Alice eine Erkältung. Bloß jetzt nicht niesen! Ihre Eltern würden ausflippen! Doch schon klopft ein Sondereinsatzkommando der Polizei an die Tür und will Alice wegsperren. Wegen einer Erkältung? Und wieso muss sie dauernd kichern? Sie schafft es, aus dem Fenster zu springen und zu entkommen. Es gibt nur einen Weg, der nicht abgesperrt ist, und der führt durch den Bach und den Wald. Iiiiiigittttt! Was dort alles auf sie lauern wird? Alice kann entkommen und übersteht die Natur. Wer hätte das gedacht? Aber ich muss euch nun enttäuschen. Am nächsten Morgen wird Alice, die mittlerweile landesweit per Foto gesucht wird, von der Polizei aufgegriffen. Das Foto ist schon älter und so stellt sich Alice mit falschem Namen vor. Man bringt sie in ein Kinderheim, in dem es arg streng zugeht. Dumm gelaufen, denn hier gibt es kein Entkommen. Scheinbar war das hier mal ein Kinderparadies, Rutschen und andere Dinge deuten darauf hin. Die alte Wasserrutsche mit Schwimmbad wurde zu einer Kinderwaschanlage umfunktioniert: Einseifen, schrubbeln, abspülen, schleudern, föhnen … wie sich das gehört. Und das Essen! Die Kinder bekommen Eingefrorenes! Keimfrei - klar doch.  Die anderen sagen, so schlecht sei das nicht, vorher gab es einen Monat lang Gegrilltes, dass so lange auf dem Rost lag, bis es schwarz war – wegen der Keime. Alice findet Freunde und gemeinsam gehen sie dem Kinderheim auf den Grund, irgendwo steckt hier die Lösung der Probleme. Nicht alle Lehrer sind boshaft … Und dieser Superminister, was hat der eigentlich vor? Diesen unsauberen Dingen sind die Kinder auf der Spur. Kicher-Alice verteilt dabei kräftig ihre Viren.

Kicheritis wird gratis mitgeliefert

Habe ich dich angesteckt? Dachte ich`s mir. Ich habe viel gekichert beim Lesen, denn Gwen Lowe schreibt ziemlich witzig. Die Idee ist klasse, eine spannende Geschichte. Keimfrei, was bedeutet das? Ein Leben ohne Spaß und Freude in Knechtschaft: Arbeit ist das Ziel – ernsthafte Produktion. Hier geht es zwar um Keime und Spaßverderber, völlige Kontrolle – doch Ideen und unbequeme Menschen sind ja auch Keime, deren Zellen sofort isoliert gehören, denn Ideen verbreiten sich gern wie Viren. Die Geschichte ist doppeldeutig und gut konstruiert, es gibt eine Menge Dinge, über die man mit Kindern bei diesem Stoff reden kann – und lachen – eindeutig. Besonders kreativ ist Gwen Lowe in der Gestaltung der Namen ihrer Protagonisten und Orte. Die Charaktere sind gut gestaltet, präsent, glaubhaft. Gut und Böse sind einfach zu trennen. Es steckt viel Fantasie in dieser Geschichte und sprachlich ist sie fein gestaltet. Klare einfache Sätze – aber dennoch mit Niveau. Mir hat das Buch richtig gut gefallen. Eine Altersangabe gibt es vom Chicken House Verlag nicht. Meine Empfehlung: 6 – 10 Jahre.

Die britische Kinderbuchautorin Gwen Lowe arbeitete schon als Tellerwäscherin im Hotel, Tischabräumerin in zahlreichen Restaurants, als Postbotin und als Hausärztin. Schließlich fand sie ihre echte Berufung. Sie arbeitet als Ärztin im Gesundheitswesen in Wales, wo sie mit ihrem Spezial-Team Krankheitsursachen erforscht und diese bekämpft. Nebenbei schreibt sie Kinderbücher und beschreibt sich selbst dabei am liebsten als »Diagnose-Detektivin«.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues?

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues? Große Kunst wird gekauft und verkauft, sie kommt unter den Hammer und wird vorn und hinten versichert. Kleine Kunst ist kein Produkt. Sie ist eine Haltung. Eine Lebensform. Große Kunst wird von ausgebildeten Künstlern und Experten geschaffen. Kleine Kunst wird von Buchhaltern geschaffen, von Landwirten, Vollzeitmüttern am Cafétisch, auf dem Parkplatz in der Waschküche.  (Danny Gregory) Das Farbenbuch von Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher und Hanspeter Schneider Als ich dieses Kraftpaket von Buch in den Händen hielt, war ich zunächst einmal platt. Wer dieses Sachbuch hat, benötigt keine Hanteln mehr! Aber Spaß beiseite, wer dieses Buch gelesen hat, hat auch keine Fragen mehr zum Thema Farben. Farben werden aus Pigmenten hergestellt, soweit bekannt. Die beiden Herausgeber sind der Kunstmaler Stefan Muntwyler und der Chemiker Juraj Lipscher, beide lebenslange Farbspezialisten, und dies ist ein Kompendium der P

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Dieses witzig-gruslige Jugendbuch, bzw., schlicht Comic, nimmt eine über 100 Jahre alten Geschichte von John Kendrick Bangs auf. Die Comic-Zeichnerin Barbara Yelini interpretiert die Story neu mit wundervollen Wasserbildern. Ein wundervoller Comic für Jugendliche, die nicht sehr lesebegeistert sind. Zur Rezension:    Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Meine geniale Freundin von Chiara Lagani und Mara Cerri nach Elena Ferrante

Die Neapolitanische Saga Band 1 Ein moderner Klassiker als Graphic Novel umgesetzt – ich war gespannt, da Elena Ferrante sehr ausführlich in ihrer Tetralogie nicht nur die Freundschaft zwischen Elena und Lila beschreibt, sondern gleichzeitig ein Sittengemälde der Zeit wiedergibt, soziale und politische Strukturen aufnimmt, die Übernahme der Camorra in Neapel beschreibt. Wenn ich das zusammenziehe, ist der Comic missglückt. Denn der bezieht sich wirklich nur auf einen wesentlichen Kern: auf die Beziehung zwischen Elena und Lila, zwei Lebensläufe, die gemeinsam beginnen, aber auseinanderdriften. Zeichnerisch ist das Buch sehr gelungen.  Weiter zur Rezension:    Meine geniale Freundin von Chiara Lagani und Mara Cerri nach Elena Ferrante