Interview mit Thomas Thiemeyer
von Sabine Ibing
Interview mit Thomas
Thiemeyer (Foto: © Thomas Thiemeyer)
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Ein Abenteurer - Thomas Thiemeyer
Thomas Thiemeyer,
geboren in Köln, studierte Kunst und Geologie, lebt heute in Stuttgart. Nach
dem Studium arbeitete er als grafischer Berater im Ravensburger Buchverlag,
dann freiberuflich als Grafiker. Neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als
Illustrator widmete er sich ab dem Jahr 2000 verstärkt der Schriftstellerei.
Thomas Thiemeyer schreibt Kinder- und Jugendbücher, zumeist im Fantasy-Genre.
Bei der Literatur für Erwachsene konzentriert sich der Autor auf
Wissenschaftsthriller und Abenteuerromane. Und neuerdings findet man ihn unter
dem Pseudonym Vitu Falconi unter den Krimis. Er wurde bereits mehrfach mit dem
Kurd Laßwitz Preis für die beste Umschlagillustration ausgezeichnet.
S. I.: Vielen Dank dafür Thomas, dass ich dir ein
paar Fragen stellen darf. Illustration, Malerei, das Schreiben von Wissenschaftsthrillern
und Abenteuerromanen, Fantasy im Kinder- und Jugendbereich und nun auch noch
Krimis, du bist ausgesprochen vielseitig und fleißig. Welche Romane waren
zuerst auf dem Papier und wie und warum bist du ins nächste Genre gekommen?
T. T.: Meine ersten Schreibversuche waren zwei
Romane, die nie das Licht der Welt erblickt haben. Vermutlich ganz gut so, denn
sie sind handwerklich nicht auf dem höchsten Niveau. Ich betrachte sie aber als
notwendige Schreibübung und bin froh, sie zu Ende geschrieben zu haben. Ich
halte es psychologisch für wichtig, Dinge zu beenden, damit man etwas Neues
anfangen kann.
Das Genre hat sich
von ganz alleine ergeben. Als Leser mag ich Geschichten, die mich in Erstaunen
versetzen, und bei denen ich mich frage: „könnte da etwas dran sein?“ Mystery
kam also in Frage, ebenso Wissenschaft und Abenteuer. Exotische Länder,
unheimliche Kreaturen, kuriose Erfindungen, exzentrische und interessante
Figuren. Aus diesem Fundus schöpfe ich seit Beginn meiner Schreibtätigkeit. Der
Wechsel zum Jugendbuch erfolgte dann auf Anfrage verschiedener Verlage. Ich
selbst habe das nicht vorangetrieben, bin aber froh, dass ich den Schritt
gewagt habe.
Ich schlüpfe viel zu gerne in unterschiedliche Personen
S. I.: Du schreibst extrem vielseitig, auch
innerhalb des Genres. Wie wichtig ist dir das und warum?
T. T.: Es ist quasi
ein natürlicher Akt der Kreativität. Es wäre mir unmöglich, immer und immer
wieder dieselbe Geschichte mit wechselnden Protagonisten zu verfassen. Dafür
reise ich viel zu gerne an unterschiedliche Orte und schlüpfe viel zu gerne in
unterschiedliche Personen. Von der Vergangenheit, über die Gegenwart, bis in
die Zukunft – die Welt ist mein Spielplatz. Da wäre es doch langweilig, immer
nur im selben Sandkasten hocken zu bleiben.
S. I.: Deine Romane sind recht komplex. Wie entsteht
eine Idee und wie lange recherchierst du für einen Stoff?
T. T.: Ideen gibt es
wie Sand am Meer. Täglich läuft mir etwas über den Weg bei dem ich denke: „Hey,
das wäre doch mal ein spannendes Thema.“ Die Frage ist nur, ob dieses Thema
über einen ganzen Roman trägt und ob es mich in einem halben Jahr immer noch
genügend fasziniert. Wenn ich mich dann aber mal für eine Sache entschieden
habe, vergrabe ich mich darin. Wie ein Trüffelschweinchen geht es dann auf
Spurensuche. Viele der Handlungsmomente entstehen während der Recherche,
deswegen liebe ich diese Phase so. Hier ist noch alles möglich.
S. I.: Schreibst du immer an einem Manuskript oder
hast du manchmal mehrere in Arbeit?
Streng chronologisches Schreiben
T. T.: Immer nur an einem und immer streng chronologisch.
Die Clustertechnik, wie sie manche Autoren verwenden, wäre für mich undenkbar.
Das hat mit der Melodie zu tun. Wenn die Tonart dunkler wird, muss ich das
beibehalten und kann nicht einfach zwischendurch auf lustig schalten. Ich
betrachte meine Geschichten als eine durchgehende Sinfonie, im Gegensatz zu
einer Aneinanderreihung verschiedener kurzer Musikstücke. Aber ich kenne
Autoren, bei denen das gut funktioniert. Beides hat seine Vor- und Nachteile.
S. I.: Jugendbuch – Roman für Erwachsene – woran
muss der Schriftsteller handwerklich denken? Sprache, Satzlänge, Plot,
Struktur, Komprimierung, worauf kommet es an?
T. T.: Auf all das – und noch mehr. Wobei ich mich
nicht hinsetze und mir sage: „So, heute schreibst du Jugendbuch.“ Ich schreibe
zuerst mal eine Geschichte, die mich selbst begeistert und bei der Stange hält.
Wenn ich mich unterhalten fühle, tut das der Leser höchstwahrscheinlich auch.
Ob Jugend- oder Erwachsenenroman findet viel eher in der Planung und in der
Nachbearbeitung statt. Welche Protagonisten, welche Konflikte, mehr Action oder
doch eher weniger? Später dann die Überarbeitung, bei der sprachlich und
inhaltlich noch nachgebessert wird. Das Lektorat im Jugendbuch ist deutlich
intensiver als im Erwachsenenroman.
S. I.: Dein letzter Roman ist ein Krimi. Weshalb
Krimi und warum Korsika?
T. T.: Weil ich
selbst begeistert von Korsika bin, weil ich die Insel seit langem bereise und
finde, dass es darüber viel zu wenig Literatur gibt. Und Krimi, weil ich immer
schon mal einen solchen schreiben wollte ;-)
S. I.: Du hast eine Menge korsischer Traditionen
angesprochen. Warum braucht der Mensch Riten und Traditionen?
T. T.: Für seine
eigene Identität. Um zu wissen, wer wir sind und wo wir hingehören. So sehr es
wichtig für uns ist, uns einer bestimmten Gruppe zugehörig zu fühlen, so
wichtig ist es auch, und von anderen abzugrenzen. Evolutionsbiologisch
betrachtet, sind wir in Gruppen lebende Individuen. Waren wir immer, werden wir
immer sein. Unsere gesamte Kultur basiert darauf. Abgesehen davon: Rituale
erleichtern den Tagesablauf. Man tut manche Dinge, ohne groß darüber
nachzudenken. Einfach, weil sie sich bewährt haben. Das hält uns den Kopf frei
für die täglichen Entscheidungen, von denen es immer noch mehr als genug gibt.
S. I.: In deinem Krimi sind nicht alle Traditionen
vorteilhaft für den Protagonisten. Wie schafft es eine Kultur, sich aus
verwurzelten unsinnigen Brauchtümern zu lösen?
T. T.: Nur mit großer Mühe. Selbst solch barbarische
Rituale wie die weibliche Beschneidung lassen sich nur unter großem Aufwand,
durch Aufklärung und über einen längeren Zeitraum hinweg abschaffen. Bildung
ist dabei das Schlüsselwort. Nur über eine gute schulische Ausbildung, den
Wechsel des Wohnsitzes, das Reisen und den Kontakt mit anderen Lebensentwürfen,
erlangen wir die nötige Weitsicht, um alteingesessene und unsinnige Rituale zu
überwinden.
Für Urlaubsromane wählt heute man ein landesspezifisches Pseudonym
S. I.: Warum das Pseudonym Vitu Falconi, zumal ja
auch bekannt ist, wer hinter diesem Namen des Krimis steht. Falconi, ein
bekannter italienischer Name für einen Drehbuchautoren einen Schriftsteller und
einen Schauspieler. Soll das den Kaufanreiz fördern? Läuft so ein Name im
Ausland in der Übersetzung besser?
T. T.: Es gibt einen Schauspieler und Drehbuchautor
gleichen Namens? Wusste ich nicht. Als Schriftsteller bin ich hoffentlich der
einzige. Nun, Tatsache ist, dass es im Genre Urlaubsroman inzwischen gang und
gäbe ist, dass man ein landesspezifisches Pseudonym wählt. Das richtet sich
dann an die Gelegenheitsleser, die in der Bahnhofsbuchhandlung oder am
Flughafen rasch noch einen Roman zum betreffenden Reiseland mitnehmen wollen.
Denen ist der Name des Autors egal, es hilft aber, die Illusion aufrecht zu
erhalten. Da wir die Stammleser nicht verwirren wollen, kommunizieren wir ganz
offen, dass es ein Pseudonym ist. Es signalisiert, dass wir uns in einem
anderen Genre bewegen. Wer zugreifen will, ist herzlich eingeladen.
Es geht darum, neue Käuferschichten anzusprechen
S. I.: Mit einem Pseudonym fängt man noch einmal von
vorn an. Du hast einen bekannten Namen. Ist das nicht ein Risiko?
T. T.: Klar. Aber es
geht darum, neue Käuferschichten anzusprechen. In meinem Fall bin ich auch noch
nicht ganz sicher, ob das Experiment geglückt ist. Auf der anderen Seite glaube
ich nicht, dass wir wesentlich mehr Leser gefunden hätten, wenn wir es unter
meinem richtigen Namen an den Start gebracht hätten. Da hätte dann wieder die
Gefahr bestanden, dass die Stammleser enttäuscht wären, weil sie keinen
„richtigen“ Thiemeyer bekommen.
S. I.: Was gibt es Neues von dir? Was für ein Buch
erscheint als Nächstes? Und bleibst du dem Krimi-Genre treu?
T. T.: Im Frühjahr
2019 erscheint erstmal der 2. Teil der Korsika-Reihe, gefolgt von einem neuen
Hannah-Peters-Abenteuer im Herbst. Im Frühjahr darauf kommt dann der nächste
Jugendroman, an dem ich gerade mit großer Begeisterung schreibe. Und mit
Jugendbuch wird es auch danach weitergehen. Gibt halt immer was zu tun ;-)
S. I.: Vielen Dank für das Interview.
Hier geht es zur Rezension: Das korsische Begräbnis
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