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In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





In allen Spiegeln ist sie Schwarz 


von Lolá Ákínmádé Åkerström



Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden, drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich.

Auf nach Europa


Die Marketing- und Diversitätsexpertin Kemi wohnt in den USA und ist fast so etwas wie ein Star in ihrer Branche, denn sie ist das zweite Jahr hintereinander zur Marketingexpertin des Jahres gewählt worden. Sie will vorwärtskommen, doch in der Firma, in der sie jetzt arbeitet, kann sie nur noch Chef des Marketings werden. Doch den Posten hat ihr leicht übergriffiger Chef inne, der ihn nicht hergeben wird. Als ihr Jonny von Lundin, dem CEO der größten Marketing-Firma ein Angebot für Schweden macht, um ein PR-Fiasko im Zusammenhang mit einer rassistischen Werbekampagne zu beheben, und sie einen Posten erhalten soll, über dem nur der CEO steht, sagt sie zu. Doch alles läuft etwas anders, als sie sich vorgestellt hat – und so offen ist Schweden anscheinend gar nicht …


Eine ganz oben, die andere ganz unten


Tief in ihrem Herzen wusste Muna, dass Schweden ihr niemals vergeben würde, dass sie hergekommen war.

Ein zufälliges Treffen mit Jonny von Lundin in der Businessclass katapultiert die Flugbegleiterin Brittany-Rae Johnson in ein neues Leben. Jonny ist verrückt nach ihr, verspricht ein Leben in Luxus und voller Privilegien an seiner Seite. Schnell stellt sie fest: Es ist eher ein Leben als Objekt. Sie siebzehnjährige Muna, die mit ihrer Familie aus Somalia geflüchtet war, will in Stockholm ein neues Leben beginnen. Doch das fällt ihr wegen der traumatischen Erlebnisse auf der Flucht und ihrer Zeit in einem Aufnahmezentrum für Geflüchtete in Schweden schwer. Nun wohnt sie in einer WG mit zwei anderen Frauen, ebenfalls Flüchtlinge; und Muna bekommt einen Putzjob angeboten.


Weil sie schwarz sind?

Kemi, Brittany und Muna sind drei Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Stockholm kommen: Karriere, Liebe, Sicherheit. Alle drei sind Schwarz, fallen auf – denn in Schweden leben nicht viele Schwarze. Alle drei kämpfen mit der für sie so schwierigen Sprache, mit den kulturellen Gepflogenheiten. Drei spannende Geschichten – alle drei werden sich über den Weg laufen. Es gibt keine offene Diskriminierung im feinen Schweden, alles läuft subtiler ab. Als Muna den Putzjob in der Marketingfirma angeboten bekommt, muss sie sich entscheiden: Das Kopftuch wird akzeptiert, aber den Hijab muss sie ablegen. Kemi hat andere Aufgaben zu erledigen, als abgesprochen war, und sie fühlt sich oft ausgeschlossen, weil sie die Sprache nicht versteht. Sie bittet um englische Konversation. Sie möge Schwedisch lernen, bekommt sie zur Antwort. Das Team steht über allen – muss überall erwähnt werden, Einzelleistung zählt nicht. Sie hat es nicht leicht in diesem kalten Land. Jonnys Eltern lehnen Brittany offen ab. Auch sie versteht nicht, was die Mutter Jonny im Restaurant beim ersten gemeinsamen Treffen alles an den Kopf wirft – nett ist es nicht, das wird deutlich. Weil sie schwarz ist? Oder weil sie meinen, sie wäre auf sein Geld aus? 


Rassismus, Sexismus und Klassismus


‹Ich gehöre in vielerlei Hinsicht hierher›, antwortete Tobias … ‹Während meines Aufwachsens zwar definitiv das Gefühl vermittelt, anders zu sein. Aber komischerweise glaube ich noch nicht einmal, dass es mit Absicht geschah.›
‹Ausgrenzung geschieht immer mit Absicht›, entgegnete Kemi …
‹Ich bin da nicht so sicher. Insbesondere, wenn alle anderen gleich aussehen – blondes Haar und blaue Augen – und du eben anders aussiehst», gab Tobi zu bedenken. «Ich glaube, es ist viel differenzierter.›

Eine lockere und spannende Geschichte um Rassismus, Sexismus und Klassismus, über unerfüllte Erwartungen und wie verschiedene Charaktere damit umgehen. Wer kann und will hier Fuß fassen. Wer muss sich wem anpassen? Was geschieht mit Absicht und mit welcher Intension? Steckt immer gleich Diskriminierung oder Rassismus dahinter oder kommen tiefere oder taktische Gründe zum Zug? Ein komplexes Thema, das die Autorin hier in eine interessante Geschichte einwebt. Erzählerisch fein herausgearbeitet doch an manchen Stellen eine Herausforderung. Einige Stellen werden auf Schwedisch stehen gelassen, es folgt die Übersetzung. Da das Buch in Original in Englisch geschrieben ist, wird es wohl so gewollt sein. Und an einer Stelle hat es mich richtig geärgert: Das Gespräch zwischen Jonny und seiner Mutter ist fast gesamt in Schwedisch gelassen worden. Pädagogik der Autorin: Fühl dich wie Brittany-Rae? Das muss nicht sein. Ich habe es in den Übersetzer eingetippt. Ich wollte wissen, was sie uns vorenthalten wollte. Interessant – denn übersetzt man, bekommt man eine Vorahnung auf Hintergründe, die später das Verhalten der Eltern und Schwestern erklären. Insgesamt ein wirklich guter Roman, den ich verschlungen habe! Empfehlung!


Lolá Ákínmádé Åkerström, geboren in Lagos, mit 15 in die USA migriert, lebt mit ihrer Familie in Stockholm. Sie ist eine preisgekrönte Reisejournalistin, Rednerin und Fotografin. Ihre Arbeiten sind unter anderem in der New York Times, dem National Geographic, in The Guardian und im Lonely Planet erschienen. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. In allen Spiegeln ist sie Schwarz ist ihr erster Roman.



Lolá Ákínmádé Åkerström
In allen Spiegeln ist sie Schwarz
Originaltitel ‏ : ‎ In Every Mirror She’s Black
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Yasemin Dinçer
Zeitgenössische Literatur, Rassismus, Migration, Sexismus, Identität, Schwedische Literatur 
Taschenbuch, 440 Seiten
Orlanda Verlag, 2023



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane


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