Rezension
von Sabine Ibing
Federico Temperini
von Theres Essmann
Der erste Satz:
Ich nahm den Anruf gleich nach dem ersten Klingeln an, das weiß ich noch, ich war auf dem Sprung in den Tag, auf dem Weg zur Wohnungstür, und mein Handy klingelte in dem Moment, als ich es im Vorbeigehen von der Kommode nahm.
Eines Tages wird der Kölner Taxifahrer Jürgen Krause von Federico Temperini angerufen, er benötige einen Chauffeur. Er sei nur Taxifahrer, sagt Krause, eine Fahrt könne er buchen. Doch Temperini geht nicht darauf ein. Einen Chauffeur für zwei Stunden, er gibt den Preis vor, Tag, Uhrzeit, Ort. Die Stimme ist fordernd, unmissverständlich, gebieterisch. Der Preis ist in Ordnung, also begibt sich Krause zum vereinbarten Treffpunkt, gespannt, wer dieser Gast sein mag. Der alte Herr scheint einer anderen Zeit entstiegen zu sein: Feiner Anzug, Hemd Krawatte, Mantel und Hut – er erwartet, dass der Chauffeur aussteigt, ihm die Tür öffnet. Bitte zur Konzerthalle und warten … Werke von Niccolò Paganini werden gespielt. Wer auch immer das sein mag, denkt Krause, der auf Eric Clapton steht.
Eine persönliche Beziehung entsteht
Der wortfaule Federico Temperini bucht Krause immer wieder und langsam entwickelt sich eine Beziehung zwischen den beiden. Temperini begeistert Krause immer mehr von seiner obsessiven Beziehung zu dem einstigen Teufelsgeiger Paganini. Zwei Menschen, die nicht verschiedener sein könnten, die aber eine immer stärkere Bindung aufbauen. Federico Temperini lebt in seiner Vergangenheit und er zeigt mit jeder Geste, jedem Wort, dass er wohl einmal jemand Bedeutendes darstellte. Genau das macht das Geheimnis aus, das Krause fasziniert. Bei jeder Fahrt fügt sich ein Puzzlestück hinzu.
Krause, der Verlierer
Parallel erfahren wir etwas über Krause und seinen Vater. Denn der arbeitete als Chauffeur, mit weißen Handschuhen und Mütze – nicht als banaler Taxifahrer. Am Abend erzählte er mit strahlenden Augen, welche Prominenten er fahren durfte, sammelte deren Visitenkarten mit Autogramm. Krause ist halt nur Taxifahrer; abgebrochenes Studium, von der Frau verlassen, die den Sohn mitnahm. Der Sohn wird nun von einem erfolgreichen Papa erzogen, Krause sieht ihn nur selten, was ihn sehr betrübt. Krause hat Zeit, zum Nachdenken, wenn er auf Temperini wartet.
Nicht alles entspricht der Logik
… und sah, dass der Anrufer Temperini gewesen war. Ich hatte ihn längst zu meinen Kontakten hinzugefügt, aber wann immer sein Name auf dem Display meines Handys erschien, ging es mir damit wie mit seinem Büttenpapier-Umschlag auf meinem Beifahrersitz: Er gehörte da nicht hin.
Die Dialoge im Taxi sind ausgefeilt, stark reduziert, auf den Punkt gebraucht. Der Leser ist genauso neugierig auf Temperini wie Krause. Eine Geschichte, die fein gesponnen, berührt, stilistisch hervorragend ist. Ich hätte das Buch vielleicht eher in die Hand genommen, wenn dieses quietschorangefarbene Cover mit der fordernden Hand mich nicht abgeschreckt hätte; alles Geschmack. Eins der schlimmsten Cover für mich, die ich im Bücherschrank stehen habe. Und zwei Dinge waren für mich unlogisch: Temperini, so erkennt man schnell, war selbst ein Geiger, wenn er von den Konzerten berichtet, die er besuchte, wie genau er sich mit Musik auskennt, insbesondere mit Geigen – seine Obsession zu Paganini. Warum Krause so lange benötigt es herauszubekommen, hat mich verwirrt. Krause, intelligent, gut vernetzt, neugierig, warum googelt er nicht den Namen seines Fahrgasts? Er recherchiert ja auch, wer Paganini war. Wie kam Temperini auf Krause? Auch darauf ist Krause nicht von allein gekommen: Vater Krause hatte ihn früher gefahren, die Telefonnummer Krauses stand auf Papas Visitenkarte. Wieso Krause die gleiche Handynummer hatte, ist mir ein Rätsel – und sicher gab es zu der damaligen Zeit keine Handynummern. So schön sich dieses Puzzlespiel liest, im Nachhinein fehlt mir ein wenig die Logik. Auch das Ende war mir letztendlich zu geschlossen, zu versöhnend, aber das ist Geschmackssache. Der Text bleibt bei allem eine stilistisch verdichtete Novelle, die erzählerisch sehr lesenswert ist, mir gut gefallen hat; im Nachgang leider inhaltlich nicht ganz der Logik folgt und Kause mir als Charakter insofern nicht ganz gelungen scheint.
Theres Essmann wurde 1967 in Nordwalde (Münsterland) geboren, studierte Literaturwissenschaften und Philosophie, lebt und arbeitet in Stuttgart und Köln. Sie schreibt Lyrik und Prosa. 2018 erhielt sie für ihren Erzählzyklus ein Stipendium des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg. Für Ihre Novelle „Federico Temperini“ erhält Theres Essmann in 2020 eines der Literaturvollstipendien des Landes Baden-Württemberg.
Federico Temperini
Novelle, zeitgenössische Literatur
Hardcover mit Lesebändchen, 164 Seiten
Klöpfer.Narr, 2020
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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