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Ewig Sommer von Franziska Gänsler - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Ewig Sommer 


von Franziska Gänsler


Der erste Satz: 

Die Frau und das Kind kamen an einem Dienstag.


Iris betreibt ein Hotel in einem Kurort, umgeben von Wald. Doch kuren kann hier niemand mehr. Dichte Waldbrände wüten seit Wochen auf der anderen Seite vom Fluss, der gleich hinter dem Hotel liegt. Das Feuer ist nicht in den Griff zu bekommen. Die Luft ist vom Rauch erfüllt, es nur noch erlaubt, mit einer Maske das Haus zu verlassen – teilweise darf man gar nicht mehr hinaus. Der Garten ist von einer dicken Schicht Asche durchzogen, Silberfolie klebt an den Fenstern, unerträgliche Hitze, Spielplätze sind schon lange abgesperrt; Klimaaktivist:innen demonstrieren in einem Camp in der Nähe. Es gibt nichts zu tun für Iris – sie hat keine Einnahmen mehr. Eine junge Mutter, Dori, begleitet von ihrer vierjährigen Tochter Ilya, bittet um ein Zimmer. Wer steigt zu diesen Bedingungen hier mit einem Kleinkind ab? Jemand, der etwas zu verbergen hat, oder eine Frau auf der Flucht?


Früher war sie eine ganz andere Frau


... irgendwann war ich nur noch diese Frau, die sich für alles entschuldigt, die lügt, die ständig den Kopf einzieht, nickt und nickt, und sich entschuldigt und entschuldigt und bei allem, was sie tut, schon Angst hat, was er darüber sagen wird.


Zwischen den Frauen herrscht zunächst Distanziertheit – Schritt für Schritt gehen sie aufeinander zu. Iris weiß, dass sie nicht neugierig sein darf. Ein Mann ruft mehrfach im Hotel an, fragt, ob seine Frau abgestiegen sei; mit Tochter. Skeptisch verneint Iris dies, es herrsche Beherbergungsverbot. Er ruft immer wieder an, behauptet, seine Frau könne sich nur in Bad Heim aufhalten – sie wäre «mentally unfit», erzähle komische Dinge in ihrer Verwirrtheit. Er sei Arzt und er wolle kein Aufsehen; er sorge sich um seine Tochter. Er bietet Iris Geld an, sich nach seiner Frau umzusehen. Dori macht wirklich einen abwesenden Eindruck – aber andererseits, sollte sie auf der Flucht vor ihrem Mann sein, so ist das Verhalten verständlich, auf Angst basiert. Iris kennt Gewalt in der Familie. Die Frauen kommen sich näher, verbünden sich. Dori sei früher eine andere gewesen. Sie berichtet von einer toxisch-manipulativen Beziehung, die auf Macht basiert, eine Frau kleinredet, Zentimeter um Zentimeter, bis sie in sich zusammenschrumpft, jede Selbstachtung verliert. Dori will aussteigen; doch nur auf welchen Zug und wohin?


Das Warten auf Regen


Apps, die ständig aktualisiert wurden, die Warnungen schickten, die zu beobachten ein normaler Teil der täglichen Abläufe geworden war. Gelb hieß Vorsicht, Orange hieß Lockdown, Rot Evakuierung. So waren die Sommer hier, zwischen Gelb und Orange. Masken, Wind, Asche.


Neben dieser feinen feministischen Geschichte, die das sogenannte Gaslighting beschreibt, könnte der Roman nicht aktueller sein, der die Klimakrise mit einbezieht. Dürre, vertrocknete Wälder, lodernde Brände, der Geruch nach verbrannten Bäumen und Rauch umhüllt jede Seite. Prägnant mit kurzen Sätzen und präzisen Farben beschreibt Franziska Gänsler die Umwelt. Es entwickelt sich eine dichte Story, eine diffuse Atmosphäre im Dunst der Brände. Hier heißt es den Tag überstehen, auf gepacktem Koffer sitzen, die Evakuierung des Orts kann jeden Augenblick angeordnet werden. Die meisten Menschen verlassen die Gegend. Ein verbrannter Ort ohne Zukunft – eine verbrannte Ehe ohne Zukunft, in deren Nebel Dori einen Ausweg sucht. Zwei passive Frauen, die rauchend die Zeit vergehen lassen, von einer anderen Zukunft träumen, die eine nicht ernsthaft fähig, ihre Ehe zu verlassen, die andere unfähig, sich vom Familienerbe zu trennen, Zusammenhänge zum großen Ganzen zu sehen. Kritische Situationen halten die Spannung hoch. Knallbunt platzt in diese Lethargie hin und wieder Nachbarin «Baby» hinein. Das Warten auf Regen – doch der wird letztlich nichts ändern. Langsam zieht die Geschichte an, entwickelt einen Sog. Trotz aller Utopie ein klarblickender Plot, sowohl in dem einen als auch dem anderen Strang – ein realistisches Ende. Empfehlung! 


Franziska Gänsler, geboren 1987 in Augsburg, hat in Berlin, Wien und Augsburg Kunst und Anglistik studiert. 2020 stand sie auf der Shortlist des Blogbuster-Preises und war Finalistin des 28. open mike. «Ewig Sommer» ist ihr Debütroman. Sie lebt in Augsburg und Berlin.



Franziska Gänsler
Ewig Sommer
Zeitgenössische Literatur, Drama, Gaslighting, Waldbrände, Klimawandel
Hardcover mit Schutzumschlag, 208 Seiten
Kein & Aber Verlag, 2022




Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

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