Direkt zum Hauptbereich

Doggerland -Tiefer Fall von Maria Adolfsson - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing




Doggerland. Tiefer Fall

 von Maria Adolfsson


Der Anfang: Leicht angewidert wirft sie einen Blick auf ihr Handy. Lehnt sich zurück, als wäre der Anblick allein schon bedrohlich.

Es ist Weihnachten, als ein Toter auf Noorö gefunden wird, der nördlichsten Insel von Doggerland. Kommissarin Karen Eiken Hornby ist krankgeschrieben, pflegt ihre Verletzungen aus dem letzten Fall. Ihr Vorgesetzter fragt nach, ob sie arbeiten könne, denn er ist auf dem Weg zum Flughafen, ein kleiner Urlaub im sonnigen Süden. Auch andere Kollegen weilen im Ausland oder liegen vergrippt im Bett. Karen wird es gerade zu viel zu Hause: Die Mutter mit Freund zu Besuch, ihre Freundin, zwei Mitbewohner, die sie aufgenommen hat, aber gern loswürde - zu viele Leute in einem Haus – das macht sie ganz kribbelig. Noorö kommt ihr gerade recht – eine kleine Insel, auf der sie ihre Kindheit verbrachte. Noorö – Doggerland? Maria Adolfsson hat hier eine Welt erfunden, die es nicht gibt. Aber Doggerland fühlt sich echt an: Eine Insel irgendwo draußen in der Nordsee zwischen SchwedenDänemark und Schottland – eine rauhe, karge Gegend im Sturm, voller eigensinniger, hartgesottener Menschen.

Es fällt schwer, einen Verdächtigen zu identifizieren

Ohne mit jemandem ein Wort zu wechseln, hat sie sich aus dem Hotel geschlichen, gleich nachdem sie aufgewacht war. Hat sich angezogen und alles hinter sch gelassen. Ist zuerst hinunter zum kleinen Hafen gelaufen, wo sie einen dieser gelben ätzenden Stahlkolosse von der anderen Seite des Sunds auf sich zukommen sah. Als die Fähre näher kam, hat sie sich umgedreht und ist gegangen.

Noorö ist eine abgehängte Gegend. Früher wurde hier Kohle abgebaut, und schön war es hier noch nie: kohleverdreckt und sturmgepeitscht, heute, wo keine Kohle mehr gefördert wird, gibt es kaum noch Arbeitsplätze. Der einstige Wohlstand ist mit der Kohle abgebaut worden. Ein Mann ist die Klippen hinuntergestürzt, wäre er ein paar Meter weiter aufgekommen, wäre er im Meer verschwunden … Die Frage ist nun, war dies ein Unfall oder hat man ihn gestoßen? Schnell ist geklärt, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelt. Nur wer wollte den alten Frederik Stuub umbringen, einen nerdigen Uniprofessor in Rente? Offensichtlich gibt es keinen Verdächtigen. Der Sohn, Gabriel, ist eine zwielichtige Gestalt – doch der hat ein Alibi. Karen besucht ihre Verwandtschaft, so richtige Freude kommt auf keiner Seite auf. Dann macht sie sich über Sylvester auf den Heimweg, wartet auf die Berichte der Technik und Rechtsmedizin (übrigens, die Übersetzerin und das Lektorat sollten sich mal auf eine Übersetzung aus dem Schwedischen einigen – mal heißt es hier Rechtsmedizin, mal Gerichtsmedizin). Am frühen Neujahrsmorgen erhält die verkaterte Karen einen Anruf. Der nächste Tote wurde gefunden: Gabriel, dem Sohn des alten Stuub, wurde die Kehle durchgeschnitten – der Mann, den den Karen im Visier hatte. Der Fall wird mehr und mehr zu einem Balanceakt zwischen Karens Privatleben und ihrer Rolle als Polizistin. Einige ihrer Verwandten sind involviert in eine polizeibekannte Motorradgang, der auch Gabriel angehörte – gibt es hier Ermittlungsbedarf? Was ging in der Whiskybrennerei vor? Lief hier eine Art Schutzgelderpressung?

Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen

Stimmt es, dass hier in der Gegend ein Massenmörder unterwegs ist›
‹Du meinst einen Serienmörder›, berichtigt Karl. ‹Obwohl zwei Morde für die Verwendung dieser Vorsilbe eigentlich auch nicht ausreichen.

Parallel zieht sich in kurzen Abschnitten die Geschichte einer Frau, die häusliche Gewalt erlebt. Ein mächtiger Ehemann, der seine Frau immer wieder aufspürt, wenn sie versucht, der Ehe zu entfliehen. Menschen, die wegschauen, ihren Schmerz nicht wahrnehmen, wie auch Karen. Ein Kollege, der seiner Frau versprochen hatte, beim zweiten Kind die Elternzeit zu übernehmen – aber eigentlich nicht dazu bereit ist. Hier werden ganz nebenbei gesellschaftliche Themen eingeflochten. Überhaupt, wir haben es hier mit normalen Menschen zu tun, eben solche, die keine Helden sind, Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen, was mir gefällt. Ein gewisser Humor ist der Autorin auch nicht abzusprechen. Die Story ist gut konstruiert und glaubhaft, die Charaktere sind bestens aufgestellt, und die Nebenhandlungen sind prima in die Geschichte eingebunden. Mir hat dieser Krimi sehr gut gefallen und so habe ich mir gleich der ersten Teil als Hörbuch geladen. Ich möchte wissen, wie es dazu kam, dass Karen Sigrid und Leo in ihr Haus aufnahm, mehr von Maria Adolfsson lesen. Natürlich steht jeder Krimi für sich, kann ohne Vorwissen gelesen werden.

Maria Adolfsson wurde in Stockholm geboren und ist dort auch aufgewachsen. Viele Jahre hat sie als Pressesprecherin für verschiedene Unternehmen gearbeitet. DOGGERLAND ist ihre Krimiserie um Kommissarin Karen Eiken Hornby, die auf der fiktiven Inselgruppe Doggerland spielt.



Maria Adolfsson 
Doggerland. Tiefer Fall
Ein Doggerland-Krimi 2
Originaltitel: Stormvarning
Aus dem Schwedischen übersetzt von Stefanie Werner
Kriminalroman
Klappenbroschur, 416 Seiten
List Verlag, 2019







Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler 

Rezension - Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

  In dem Land, in dem Tobias lebt, sind endlich wieder bessere Zeiten eingekehrt, und alle Kinder sollen zur Erholung die Sommerferien auf dem Land verbringen. Doch statt zu zweit oder zu dritt auf einem idyllischen Bauernhof, landet der 11-jährige Tobias allein auf einer Insel weit draußen im Meer, wo er bei einer menschenscheuen Frau namens Lothe unterkommt. Lothe wollte kein Ferienkind haben, man hat ihr Tobias aufgedrückt – was die mürrische Frau ihn spüren lässt. Ein Geheimnis gilt es zu lüften, Menschen und Handeln zu verstehen; Freundschaft, Kriegstraumata, vom Dunkel ins Licht gehen … Allage, Jugendbuch ab 12 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Die spannenden Kurzgeschichten, gespickt mit ein wenig Seemannsgarn haben eins gemeinsam: Hier geht es um Segelschiffe, um Dreimaster. Wir tauchen ein in eine Zeit der rauen Seefahrt. Spannend und atmosphärisch, ein wenig Humor und Seemannsgarn – Kurzgeeschichten über Schiffe und Menschen, die zur See fahren. Meine Empfehlung für den Klassiker mit ausgewählten Erzählungen von Elinor Mordaunt! Weiter zur Rezension:    Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein

  Lauenstein und Gottschall laden wieder dazu ein, die Vielfalt und Hochwertigkeit der regionalen italienischen Küche zu entdecken. Eine Reise durch Italien mit Fotos von Landschaften und Menschen, von hervorragenden Rezepten. Die Frühjahrs-Sommerküche überzeugt durch die Qualität der Zutaten, denn das ist der Grundstock des Geschmacks. 70 Rezepte zu saisonalen Besonderheiten, Ursprüngen, Küchengeschichten, italienische Kultur und Feste – saisonale Schätze und Spezialitäten spielen zu bestimmten Anlässen eine große Rolle. Wieder ein sehr gutes Kochbuch, das Liebhaber der italienischen Küche im Regal stehen haben sollten. Weiter zur Rezension:    Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein 

Rezension - Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

  Eine junge Frau aus einer Anwaltskanzlei aus der Stadt und zieht auf die Bitte von ihrem Bruder, der von Frau und Kindern verlassen wurde, zu ihm in ein Land im hohen Norden; sie kann von dort ihren Job weiter erledigen. In dem abgelegenen Dorf in einem nördlichen Land lebten bereits die jüdischen Vorfahren der Familie; es ist ihnen dort nicht gut ergangen. Als jüngstes von zahlreichen Geschwistern scheint es der jungen Frau nichts auszumachen, sich als Haushälterin des Bruders aufzuopfern. Eine komplexe Geschichte, Sarah Bernstein ist eine feine Beobachterin, alles ist offen; ist diese Erzählerin zuverlässig? Das Gehirn des Lesenden ist in Arbeit, viel Interpretation ist an vielen Stellen offen. Klasse! Weiter zur Rezension:    Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

Rezension - Devil’s Kitchen von Candice Fox

  Die Feuerwehrleute von «Engine 99» gelten als die Besten in New York – mutig, unerschrocken, verehrt. Was niemand ahnt: Sie sind parallel eine beinharte Gang, denn sie legen Brände, um im Chaos Vorbereitungen zu treffen, um später Banken und Juweliere auszurauben. Das könnte immer so weiterlaufen, wenn Bens Lebenspartnerin Luna und ihr Sohn nicht verschollen wären und er seine Kumpel nicht im Verdacht hätte, sie getötet und verscharrt zu haben. Er will es wissen! Und dafür ist er bereit, die Bande auffliegen zu lassen, sich selbst ans Messer zu liefern. Er bietet dem FBI an, wenn sie «seine Familie» finden, herausfinden, was mit Frau und Kind passiert ist, wer verantwortlich ist, dann packt er aus. Und so wird die freiberufliche Ermittlerin Andrea Nearland auf die Truppe angesetzt. Blockbuster – Spannung, die niemals abfällt! Klasse Thriller! Weiter zur Rezension:    Devil’s Kitchen von Candice Fox

Rezension - Dino-Alarm von Andreas Völlinger und Pascal Nöldner

  Leo soll in der Schule einen Vortrag über sein Lieblingstier halten – dazu soll man das Tier beobachten. Aber wie kann er einen Apatosaurus betrachten, der längst ausgestorben ist? Vielleicht hilft ihm seine Erfinder-Tante Agnetha weiter, die ziemlich viele coole Dinge konstruiert, wie auch eine Zeitmaschine. So stürzen sich die beiden ins Abenteuer. Dinosauria in echt beobachten! Spannend und lustig, ein Kinderbuch für Leseanfänger ab 6 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Dino-Alarm von Andreas Völlinger und Pascal Nöldner

Rezension - Die Familie von Sara Mesa

  In dieser Familie gibt es keine Geheimnisse, darauf bestehen Vater und Mutter, scheinbar eine ganz gewöhnliche Familie: Vater, Mutter, zwei Söhne, zwei Töchter. Aber alle spielen Theater, verstellen sich, verschweigen, erfinden kleine Lügen. Sara Mesas Erkundung des Mikrokosmos einer Familie ist unerbittlich, beklemmend genau. Letztendlich haben wir hier eine Ansammlung von Kurzgeschichten zu den verschiedenen Familienmitgliedern, die in der Gesamtheit diese Familie widerspiegeln. Ein perfides Spiel, das diese Eltern hier betreiben. Die Familie klebt an die, tief in deiner Seele – fein beobachtet, sarkastisch, satirisch, beste spanische Literatur. Weiter zur Rezension:    Die Familie von Sara Mesa