Rezension
von Sabine Ibing
Die Menschen vom Himmel
von John Sanford
«Die Menschen vom Himmel» von 1943 gilt als John Sanfords Meisterwerk. Das erste Mal liegt das Werk über eine finstere weiße amerikanische Bevölkerung nun in deutscher Übersetzung vor. In einer Kleinstadt im Staat New York wird eine Afro-Amerikanerin, deren Ankunft ihre Bewohner in zwei Parteien spaltet, von demselben Mann vergewaltigt, der einen indianischen Mitbürger fast totschlägt und versucht, den einzigen Juden aus dem Ort zu vertreiben. Der Roman ist eine schonungslose Darstellung des vom Rassismus durchdrungenen Alltags in den USA.
‹Sie nehmen Anstoß an dieser Niggerin›, sagte Polhemus.‹Sagen sie ‚Niggerin?›, sagte Hunter.‹Sie sagen ‚Niggerin›.‹Sagst du ‚Niggerin?›‹Ja, ich sage ‚Niggerin.›‹Du kannst jetzt deinen Hut aufsetzen, Emerson.›‹Mir ist nicht kalt, Dan.›‹Nein, aber du bist im Begriff zu gehen.›‹Wenn ich fertig bin mit Reden.›‹Ich könnte schwören, du hast dich gerade verabschiedet.›
Besonders interessant ist die Perspektive, die Sanford hier vorgenommen hat. Anfangs lernen wir durch den ansässigen Arzt, Doc Slotum, 39 Protagonisten kennen. Er stellt sie vor durch kurze Dialoge, die er mit ihnen führt, bzw. zuhört, was sie sagen. Es ist schon eine Kunst, Menschen so zu charakterisieren. Das macht er, indem Doc Slotum hinten in der Kirche sitzt, auf die Gemeinde und den Pfarrer Daniel Hunter schaut, die er uns vorstellt. Die Arztdialoge sind bereits ein Kracher. – Eines Tages kommt nun eine schwarze Frau, America Smith, in die Stadt – und die findet auch noch Obdach beim Pfarrer. Das führt zu Komplikationen. Es geht weiter in der Vielstimmigkeit – in kurzen Kapiteln, Dialogen zwischen den Einwohnern. Christliche Mitbürger, die ihre Frauen schlagen, ein Mann der seine jugendliche Tochter schwängert und danach eine Abtreibung vom Arzt verlangt, einer der eine Angestellte vergewaltigt und schwängert. Ein braves Christenvolk. Ein Mann namens Eli Bishop hetzt die Bevölkerung auf gegen die Schwarze, gegen den Indianer Bigelow Vroom und gegen den aus Russland geflohenen Juden Abraham Novinsky. Dagegen halten der Arzt, der Pfarrer und eine durchsetzungsfähige Witwe, der man versucht anzuhängen, sie würde sich als Prostituierte betätigen. Eine illustre rassistische, ungebildete Gemeinschaft von Hillbillys … und schaut man genau hin, hat sich bis heute nichts geändert.
Warum haben wir sie nicht vernichtet?Warum, wo wir doch Wilde sind, unbeständig in Allem und Jedembis auf die Furcht, die sie zwingt die Fähigkeit zubewahren, schnell in Zorn zu geraten, listig zu sein, schnell zu rennenwarum mein Volk, warum haben wir sie nicht vernichtet?
Und obendrein zwischengeschoben werden Stimmen von Ureinwohnern, die sich beklagen, dass man ihnen das Land genommen hat. Die Häuptlingstochter Pocahontas klagt an – beklagt die gewalttätige Einnahme des Kontinents. Und das, obwohl die ersten Siedler von den Ureinwohnern gerettet wurden, denn ohne die Urbevölkerung hätten sie nicht überlebt. Pocahontas beklagt, dass man die Urbevölkerung abgeschlachtet hätte, ihnen Krankheit gebracht hat – ihre Würde mit Füßen tritt bis heute. Und sie fragt sich, warum sie, die man die Wilden nennt, die ersten Weißen nicht vernichtet haben. Interessant von der Machart dieser Roman, kunstvolle Dialoge – aber sicher kein Roman für jedermann. Politisch ist dieses Buch gerade heute wieder relevant, zeigt, dass sich nicht sehr viel geändert hat. Wer Spaß an guter Literatur hat, wird an diesem Buch seine Freude haben!
Die Menschen vom Himmel
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Stremmel
Zeitgenössische Literatur, Amerikanische Literatur, Rassismus
Broschur, 280 Seiten
edition TIAMAT, 2023
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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