Direkt zum Hauptbereich

Die Infantin trägt den Scheitel links von Helena Adler - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Die Infantin trägt den Scheitel links 


von Helena Adler


Der Anfang: Nehmen Sie ein Gemälde von Pieter Bruegel. Nun animieren Sie es.
Wir essen schwarze Regensuppe zum Nachtmahl. Der grüne Kachelofen brütet in der Ecke, in der Stube
dampft es, doch mir ist kalt. Die Bewohner des Hauses haben sich im Parterre versammelt. Nicht oft verlassen die Urgroßeltern den ersten Stock. Sie sind die Urgesteine hier am Hof und wer sie bewegen will,
beißt auf Granit.

Ein Roman, der klingt, als hätte ihn die Autorin mit dem Fleischklopfer auf die Seiten gehämmert, ohne dabei ein einziges Mal Luft zu holen. Das Buch hat Wums und ist ungemein sprachgewaltig. Heimatroman einmal ganz anders. Die jüngste Tochter der Familie, ein zartes Kind von sechs Jahren, fackelt den Bauernhof der Eltern ab, ein wenig aus Versehen, ein wenig aus Notwehr. Ein kreatives Kind, dessen gestalterische Gedanken und Handlungen bei manchem Unverständnis hervorruft; dass im Deutschaufsatz das elterliche Heim mit einem Schiff vergleicht, «dessen Segel aus den alten Unterhosen des Vaters besteht». Sie möchte ihren Namen auf Infantin ändern und Königliche Hoheit genannt werden, den Schwestern den Namen Wolpertinger verpassen. Die Autorin hält das Feuer über den ganzen Roman und zündelt an allen Ecken. Eine entbehrungsreiche Kindheit; zwei eifersüchtige Zwillingsschwestern, lassen nichts aus, um die kleine Schwester brutal zu triezen; die harte Mutter («Ihr spitzer Schnabel ist ein Hackbeil, damit kann sie Gelenke brechen und Knochen zerschmettern») betet zum Herrgott, der Vater zum Alkohol, er liebt Pyrotechnik und Esoterik. Die Eltern, stellen nach dem Brand auf einen Biohof um, doch wirtschaftlich geht es weiter bergab. Den Urgroßeltern («Das sind Charakterköpfe mit verbügelten Gesichtern, noch nicht ganz abgestorbene Seelen») gehört das Haus, sie entscheiden. Die Großeltern im Haus gegenüber mischen sich auch gern ein. Landleben derb, ungeschminkt, rotzfrech nach dem Zeltfest und vor der Morgenmesse.

Die Kapitelüberschriften tragen Titel von Bildern bekannter Maler

Um Mitternacht dreht der Vater mit seinem Hofdrachen verliebte Pirouetten zum Donauwalzer am Asphaltparkett. Er sieht aus wie Max Ernsts Hausengel in Fleisch und Blut. Es ist ein vergiftetes Paradies. Ein Sehnsuchtsort, an dem Huld blüht und Gnade wächst. Doch in unserer Erde gedeihen nur faulende Paradeiser, mit denen wir jetzt das Elternehepaar aus Scham bewerfen, weil uns ihre Verliebtheit peinlich ist.

Krachend fährt die Infantin über das Dorf, wo sie «Satansbrut» genannt wird. «Blasmusikpop», «Stallstiefelpunk», mit unglaublicher Kreativität der Sprache ist der Leser ins Dorfleben einbezogen, der Tod immer allgegenwärtig, Sprachbild auf Sprachbild, Metapher auf Metapher gekonnt inszeniert. Tote Tiere, verstorbene Verwandte, Friedhof, Drogentote, auf dem Land ist nichts verborgen. Die Kapitelüberschriften tragen Titel von Bildern bekannter Maler: wie Bruegel, Bosch, Tizian, Francisco Goya, Eugene Delacroix, Franz Marc, Georg Baselitz, Anselm Kiefer, Max Beckmann und Joseph Beuys. Am Ende gibt es eine Legende dazu – ein weiterer Kick für Bilder im Kopf. Eine Groteske: «Niemals ist das meine Familie, ich bin allein auf meinem Heimatplaneten.», ein Roman als Satire mit Sprachartistk und Wortgeschnaub, einfach klasse.

Der Vater ein Grizzly, die Mutter ein Greifvogel mit Frauenkopf und die Schwestern, o Gott, die Schwestern! Zum Nachtisch riecht es milchig süß und leicht nach Verderben. Ein verstörender Geruch nach Frischgeborenem und Erwürgtem. Unter der Treppe im Vorhaus friert ein leerer Hundekorb. Die Spur führt eindeutig zum Vater, denn auf dessen Hand haftet noch der Flaum der Welpen.

Helena Adler wurde 1983 in Oberndorf bei Salzburg in einem Opel Kadett geboren. Studium der Malerei am Mozarteum sowie Psychologie und Philosophie an der Universität Salzburg. Sie lebt als Autorin und Künstlerin in der Nähe von Salzburg. Bekannt durch diverse Ausstellungen und Kunstaktionen, Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften. Sie ist Mitglied der Salzburger AutorInnengruppe SAG und Mitbegründerin der Literatur-Werkstatt LiLoLa (Literatur-Lobby-Land).



Helena Adler 
Die Infantin trägt den Scheitel links
Roman, Heimatroman, Satire
Jung und Jung, 2020
190 Seiten, gebunden

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim