Rezension
von Sabine Ibing
Die Hauptsache
von Hilary Leichter
Der Anfang:
Mein Arbeitsleben spielt sich im Kurzformat ab: Kurze To-do-Listen, kurze Zeiträume, kurze Röcke.
Die namenlose Heldin der Geschichte ist Zeitarbeiterin in New York. Sie arbeitet für eine Agentur, die ihr Jobs als Aushilfe verschafft: Büroarbeit, Hochhausputzerin, Verkehrspolizistin, Schaufensterpuppe, sie arbeitet auf einem Piratenschiff, als menschliche Seepocke für eine Umweltschutzorganisation oder als Assistentin eines Mörders und sogar als Mutter eines einsamen Jungen, der erzogen werden möchte. Ihr Privatleben bleibt dabei auf der Strecke; sie hat achtzehn Lebensgefährten, für jede Lebens- und Gemütslage den passenden Partner.
Das Warten auf die Festeinstellung
Nimm’s nicht persönlich›, sagt sie. «Ist bloß ein Job!›
‹Nichts ist so persönlich wie unser Job.
Der Roman, nominiert für den First Novel Prize 2020, hinterlässt mich zwiespältig, einige Kapitel fand ich wirklich ziemlich gut, Passagen hervorragend – aber ich bin mit der surrealistischen Form nicht warmgeworden. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin entstammt einer Familiendynastie von Aushilfen und Zeitarbeiterinnen. Auch sie springt wie bereits ihre Vorfahren von einem Job in den nächsten. Die Geschichte ist surreal bis absurd. Es beginnt mit der Vertretung für einen erkrankten Vorstandsvorsitzenden und endet im Flur an einem Abend, als sie genau diesen am Boden sitzend vorfindet. Er stirbt. Ihr Job ist es nun, die Asche dieses wichtigen Mannes zeitlebens mit sich herumzutragen. Nur wie? Einer ihrer Freunde besorgt ihr ein Amulett, in dem sie einen Teil der Asche bei sich tragen kann. Als Nebenjob sortiert sie die Myriaden einer Schuhsammlung für eine alte Dame nach neuen unverständlichen Konzepten – Schuhe, die nie getragen werden, eine Auftraggeberin, die nie zufrieden ist. Wir finden alles wieder: Unterwürfigkeit nach oben, hieratische Strukturen, Meetings und Abstimmungen, die völlig unsinnig sind, Konkurrenz untereinander, Eifersucht, ausbooten, Mobbing – aber eben surreal verpackt. Und am Ende eines jeden Jobs steht die Frage nach der Festeinstellung, der Entfristung – die niemals erfolgt. Die fluffigen Damen aus der Agentur, die montags und freitags anrufen, haben einen festen Job – der Traum dieser Protagonistin. Sehr lustig fand ich den Job als Assistentin eines Mörders, den eine Bank beauftragt, eine Bankräuberin zu erledigen. Deren Auftrag diverser Banken lautet allerdings, die Konkurrenz auszurauben. Jeder kann mal krank sein, es gibt ja genug Aushilfen auf dem Arbeitsmarkt – und so kommt es dazu, dass der Killer die Aushilfe umbringt.
Sinnhaftigkeit der Arbeit
Lasst uns das hier friedlich über die Bühne bringen!›, sagt der Assistent der Geschäftsführung mit ausgebreiteten Armen, in jeder Hand einen Dolch.
Die Icherzählerin ist hochqualifiziert, flexibel und dynamisch – aber nicht gut genug für eine feste Anstellung, so wird es ihr jedes Mal suggeriert, auf ziemlich hämische Art und Weise. Sie gibt alles, wirft oft genug ihre Moral über Bord, wenn es gilt, um den Job zu kämpfen – doch am Ende steht wieder das Aus. Unterwürfigkeit, Hochleistung bis zum Limit, absolute Loyalität wird von ihr gefordert – die Aushilfe muss liefern – die Banane an der Angel vor den Augen, nie zu erreichen, wie hart sie auch in die Pedale tritt. Die Aushilfe soll nicht nur den Job erledigen, sondern auch die zu vertretende Person mimen, und natürlich mehr geben als sie. Als Piratin schrubbt sie zunächst das Deck, steigt sozusagen auf, soll eine Person ersetzen und plötzlich Position beziehen. Derweil kommen ihre «Männer» in ihrer Wohnung zum Schauen eines Footballspiels bei Popcorn und Bier zusammen, schreiben ihr: «Solang du weg bist, passen wir gut aufeinander auf.» Sie wird von den Piraten mit Edelsteinen bezahlt – doch dann soll sie eine Mitarbeiterin auf die Planke stellen und sie den Haien zum Fraß vorwerfen. Hilary Leichter schreibt witzig und zynisch, stellt den Sinn der heutigen Arbeitswelt in Frage, die Work-Life-Balance, stellt Zeitarbeit, bzw. Auftragsarbeit moderner Sklavenhaltung gleich. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit, die innere Ausgeglichenheit der Mitarbeiter fällt hinten herab – denn der Mensch ist für die Unternehmen nichts anderes als eine Schaufensterpuppe. Es spiegelt die amerikanische Gesellschaft wieder, die Jobs der Schlechtbezahlten, die parallel zwei bis drei Jobs benötigen, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Story ist grotesk, surreal, aber die Arbeitswelt übertragend von Hilary Leichter real scharf beobachtet. Es gab Passagen, die ich wahnsinnig gut fand, bei anderen bleibt das Lachen im Halse stecken. So weit so gut. Letztendlich hatte ich aber ein Problem mit dem Surrealen, das mir schlicht zu fern lag. Wer eine witzige Groteske mit surrealistischen Storys im Pop-up-Format mag, dem empfehle ich diesen Roman.
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Hilary Leichter, Jahrgang 1985, schrieb bereits für den ›New Yorker‹, ›The Cut‹ und zahlreiche weitere Magazine. Leichter unterrichtet Literarisches Schreiben an der Columbia University in New York, wo sie auch studierte, sie erhielt zahlreiche Stipendien, unter anderem von der New York Foundation for the Arts und von der Folger Shakespeare Library. ›Die Hauptsache‹ ist ihr erster Roman. Hilary Leichter lebt in Brooklyn, New York.
Die Hauptsache
Originaltitel: Temporary
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Gregor Runge
Gebundene Ausgabe, 254 Seiten
Arche Literatur Verlag, 2021
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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