Rezension
von Sabine Ibing
Der zweite Schlaf
von Robert Harris
Der erste Satz: Am Spätnachmittag des neunten Tages im April des Jahres Unseres Auferstandenen Herrn 1468, einem Dienstag, suchte ein einsamer Reiter einen Weg.
Robert Harris lese ich gern. Aber dieses Buch hat mich vor ein Rätsel gestellt. Was will mir der Autor mit dieser Geschichte sagen? Alles fängt prima an. Atmosphärisch im Mittelalter, im Südwesten von England reitet Priester Fairfax auf einer klapprigen Mähre durch den Schlamm, sucht nach einem kleinen Ort, um dort den ehemaligen Pfarrer zu begraben. Angekommen nächtigt er im Arbeitszimmer des Pfarrers, schaut durch das Regal, entdeckt verbotene Bücher, verbotene Artefakte. Und nun stolpert der Leser: Plastikteile, ein flaches metallernes Gerät mit Knöpfen, auf dem ein angebissener Apfel abgebildet ist. Wo befinden wir uns? Prima an der Nase herumgeführt, wir sind in der Zukunft. Nach einer unbenannten Katastrophe wurde mit dem Jahr 666 wieder neu angefangen zu zählen. In dieser neuen Welt hat die Kirche die Herrschaft übernommen (zumindest in England, möglicherweise weltweit), Technik steht sinnbildlich für den Teufel. Somit befinden wir uns letztendlich sozusagen doch im Mittelalter: Keine Dampfmaschine, kein Strom, keine Autos usw. Harte Strafen erwarten den, der versucht, die alten Techniken der zivilisierten Welt auszugraben.
Robert Harris kann schreiben, allemal. Bis zur Mitte des Romans war ich auch noch gespannt der Dinge, die dort kommen mögen. Priester Fairfax ist natürlich neugierig und sucht nach Menschen, die mehr über die alten Dinge wissen, verbündet sich mit anderen. Sie erforschen den sogenannten «Teufelsstuhl», ein Ort, an dem ein Turm ohne Fenster und Zugang aus dem Boden ragt. Hier war der alte Pfarrer zu Tode gekommen. War er wirklich gestürzt oder ist er ermordet worden? Was führte 2025 zur Weltkatastrophe? Dieser Science-Fiction Roman, diese Dystopie, zeigt und uns eine traurige Welt im Rückwärtsgang, technikfrei in einer christlichen Kirchendiktatur. Ab der Mitte zieht sich der Roman, tritt auf der Stelle. Die Figuren entwickeln sich klischeehaft. Die vielen Fäden, die aufgenommen wurden, flattern im Wind, werden nicht verwoben, nicht aufgelöst. Am Ende ist man endlich auf der letzten Seite angelangt – steht da mit leeren Händen. Was hat sich der Autor gedacht? Hatte er einen Plan, den er mitten im Buch aufgab und wollte uns mit dem Nichts überraschen? Garantiert nicht so wie ihr denkt – Fortschritt! – Es wird einen Knall geben, welchen auch immer und dann landen wir wieder im Mittelalter. Damit käme ich ja klar. Aber in dieser Geschichte geschieht eben rein gar nichts und es wird auch nichts geschehen. Alles ist, wie es ist, nämlich egal – Amen. Was ist die Message?
Robert Harris wurde 1957 in Nottingham geboren und studierte in Cambridge. Seine Romane »Vaterland«, »Enigma«, »Aurora«, »Pompeji«, »Imperium«, »Ghost«, »Titan«, »Angst«, »Intrige«, »Dictator«, »Konklave«, »München« und zuletzt »Der zweite Schlaf« wurden allesamt internationale Bestseller. Seine Zusammenarbeit mit Roman Polański bei der Verfilmung von »Ghost« (»Der Ghostwriter«) brachte ihm den französischen »César« und den »Europäischen Filmpreis« für das beste Drehbuch ein. Die Verfilmung von »Intrige« – wiederum unter der Regie Polańskis – erhielt auf den Filmfestspielen in Venedig 2019 den großen Preis der Jury, den Silbernen Löwen. Robert Harris lebt mit seiner Familie in Berkshire.
Robert Harris
Der zweite Schlaf
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Originaltitel: The Second Sleep
Roman, Dystopie
Hardcover, 416 Seiten
Heyne, 2019
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