Direkt zum Hauptbereich

Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß von Hiromi Kawakami und Jiro Taniguchi - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing



Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß 


von Hiromi Kawakami und Jiro Taniguchi

Grafiknovelle


Der Anfang: Er ist nicht der ›Herr Lehrer‹. Er ist auch nicht ›Herr Matsumoto‹. Er ist ›der Sensei‹.

Diese Grafiknovelle ist eine Literaturadaption des kurzen Liebesromans gleichen Titels, mit dem Hiromi Kawakami auch bereits in Deutschland erfolgreich war. Ihre kanppen Sätze hat der bekannte japanische Comiczeichner Jiro Taniguchi mit Bildern belebt. Die Grafiknovelle macht eben darum doppelt Spaß in der Kombination von feinen Worten emotionalen Bildern.

Die 37-jährige Tsukiko begegnet in einem Restaurant ihrem ehemaligen Japanischlehrer. Beide leben allein, Tsukiko meint, sie sei nicht für die Liebe geschaffen und der Witwer glaubt, er sei zu alt für die Liebe. Ungefähr 30 Jahre trennen die beiden, aber trotzdem entwickelt sich sofort zwischen ihnen eine subtile Stimmung. Sie nennt ihn Sensei (»vorher geboren« oder »vorheriges Leben« - es bedeutet so viel wie der Ältere, der Lehrer, der Senior, der den Weg vorlebt) weil sie seinen Namen vergessen hat. Die beiden treffen sich immer wieder, gehen essen, und Tsukiko besucht den Sensei zu Hause. Ein Kauz, dieser Mann, der Tassen aus Eisenbahnen sammelt und alte Batterien. Beim Essen haben sie den gleichen Geschmack, etwas, das sie von Anfang an verbindet: Walfischspeck, Lotuswurzel in Sesamöl, Salzschalotten, reichlich Sake, gern Asakusa-Algen über Krake mit Wasabi, Gelee aus Ahornstabknolle.



Es gibt sonst keinen Menschen mit dem ich in der Kneipe trinken oder durch die Straßen spazieren konnte. Und wenn ich mir überlegte … mit wem ich davor zusammen war …fiel mir eigentlich niemand ein.

Tsukiko und den Sensei laufen sich immer wieder zufällig über den Weg oder verabreden sich. Langsam spinnt sich ein Netz der Gefühle um die beiden, wobei Tsukiko ihre Liebe offen gesteht, der Sensei aber sehr zurückhaltend ist – er sei ein alter Mann. – Doch er genießt das Zusammensein mit der jungen Frau. Man kann seine Liebe spüren, die er in der Vernunft zu verstecken sucht. Es ist ja nicht so, dass junge Männer sich nicht für Tsukiko interessieren sie kann letztendlich nichts mit ihnen anfangen, sie die es nie geschafft hat, erwachsen zu werden. Zwei einsame Menschen, zwei skurrile Typen, die sich gefunden haben.



Würden Sie zum Zweck eines Liebesverhältnisses eine Beziehung mit mir eingehen?«
Was wollen Sie denn damit sagen?
Hmm…
Ich bin doch schon längst hoffnungslos in Sie verliebt, Sensei.

Die Brillanz der Tiefe liegt in der Distanz. Dieser alte, unnahbare Kauz, stets den Hut auf dem Kopf, die Aktentasche in der Hand, auch beim Pilzesammeln im Wald – seine Sprache. Ob Baseball oder das Kirschblütenfest, ein starkes Band hält sie zusammen, eine sakrale Liebe der gemeinsamen Genüsse, Interessen – aber auf altertümliche Distanziertheit, des Siezens, der Unkörperlichkeit, auch nachdem sie eine Beziehung eingegangen sind. Schrullige, Szenen, bei denen man schmunzeln muss, wenn sie auf einer Bank in seinem Arm liegt, dabei den Mottenduft seines Sakkos einatmet. Irgendwann ist es soweit: »Ohne Worte fielen wir auf den Futon und liebten uns leidenschaftlich.« – die Sexszene im Roman. An manchen Stellen wird es arg pathetisch. Aber insgesamt schwebt diese ruhige Geschichte in Leichtigkeit und Normalität, wie aus dem Leben gegriffen. Das Schneckentempo stört nicht, es ist Teil des Szenarios. Der Tod ist ein zentrales Thema der Novelle, die Endlichkeit. Hier wird das Thema aufgegriffen, das in den meisten Beziehungen dieser Art ein Tabuthema ist.



Die Sätze sind punktgenau, unterlegt mit zeichnerischer Präzision von Taniguchi, der sehr ins Detail geht. Bilder sagen mehr als Worte. Emotion gezeichnet durch Körpersprache, Mimik und Gestik, das hat so gar nichts mit den japanischen Mangas zu tun, erinnert eher an europäische Zeichner. Doch Taniguchi zeigt uns Japan, seine Naturzeichnungen führen uns auf die Insel, Kirschblüten, Meer und immer wieder das Schlemmen der beiden.

Hiromi Kawakami wurde 1958 in Tokyo geboren und ist heute eine der bekanntesten japanischen
Schriftstellerinnen der Gegenwart. Für »Hebi wo fumu« erhielt sie 1996 den Akutagawa-Preis.

Jiro Taniguchi wurde 1947 in Tottori, Japan, geboren und gilt heute weltweit als einer der renommiertesten Mangazeichner. Seine Karriere als Zeichner startete er 1972 mit dem Manga »Kareta Heya«. Ab 1974 entstanden unter der Mitarbeit des Journalisten Natsuo Sekikawa Kriminalstorys, zu Beginn der 1980er Jahre schuf er mit Szenarist Carib Marley mehrere Boxergeschichten. An der Serie »Botchan no Jidai Kara« (dt. etwa »In der Zeit von Botchan«), einem Werk über das intellektuelle Leben in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts, arbeitete der Zeichner ab 1986 und wurde mit Erscheinen des fünften Bandes im Jahr 1998 dafür mit dem Osamu-Tezuka-Culture-Award geehrt. 1997 erschien der Band »Harukana Machi-E«, für den er auf dem internationalen Comicfestival in Angoulême 2003 als bester Szenarist ausgezeichnet wurde, auch in Deutschland bereits zweimal prämiert: als »Comic des Jahres 2007« sowie - auf dem Comic-Salon Erlangen 2008 - mit dem Max-und-Moritz-Preis als »Bester Manga«. 2016 ehrte der Comic-Salon Erlangen den Künstler mit einer großen Ausstellung. Am 11. Februar 2017 verstarb Jiro Taniguchi im Alter von 69 Jahren.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz Karnauchow und Petra Thees

  Alter könnte so schön sein. Doch ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Schlimmer noch, sie denken sich alt und grenzen sich selbst aus, sagen die Autor:innen. Das hat Folgen: Krankheit und Gebrechlichkeit im Alter gelten als normal. Altenpflege folgt daher dem Prinzip «satt, sauber, trocken». Und genau dieses Prinzip kritisieren Dr. Petra Thees und Lutz Karnauchow und gehen mit ihrem Ansatz neue Wege. Dieses Buch stellt einen neuen Blick auf das Alter vor - und ein radikal anderes Instrument in der Altenpflege. «Coaching statt Pflege» lautet die Formel für mehr Lebensglück im Alter. Ältere Menschen werden nicht nur versorgt, sondern systematisch gefördert. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben. Bewegung, Physiotherapie und Sport statt herumsitzen! Ein interessantes Sachbuch, logisch in der Erklärung, ein mittlerweile erfolgreiches, erprobtes Konzept. Weiter zur Rezension:    Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz...

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Helisee - Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

  Im 10. Jahrhundert gehört der westliche Teil der heutigen Schweiz zum Königreich Birgunt, erzählt uns diese Geschichte. Es ist eine wilde Gegend voller Wälder und Sümpfe, wo viele Menschen noch im Glauben an die alten Götter und Geister leben. Die Mauren greifen das Land an. Die Königin Bertha schützt das Land tapfer gegen räuberische Einfälle der mediterranen Mauren. Als der Hirtenjunge Ernestus, den die Leute im Dorf Erni nennen, einer ausgerissenen Ziege in den Wald folgt, überschreitet er unabsichtlich die Grenze des verrufenen Landstriches Nuithônia, dem Land der Feen. Seit Menschengedenken ist es verboten, dieses Gebiet am Fuß der Alpen zu betreten. Und er findet dort einen besonderen weißen Kiesel … Ein epischer Roman der High Fantasy, ein wenig Schweizer Sagenwelt, gut zu lesen. Weiter zur Rezension:    Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Die Legende von John Grisham

  Die Schriftstellerin Mercer Mann wird auf ein Drama aufmerksam, das sich quasi direkt vor ihren Augen abspielt: Ein skrupelloses Bauunternehmen will eine verlassene Insel zwischen Florida und Georgia bebauen, ein Touristenparadies mit Hafen, Golfplatz, Spielcasino, Hotels, Villen, Apartmenthäusern – ein Luxusreservoir. Lovely Jackson, die letzte Bewohnerin der Insel hingegen behauptet, die Insel gehöre ihr, als letzte Nachfahrin der entflohenen Sklaven, die dort seit Jahrhunderten gelebt haben. Sie will das Naturparadies aufrechterhalten, die Gräber ihrer Vorfahren pflegen. Die Geschichte der Sklaverei, verbunden mit einem Gerichtsurteil im Jetzt. Kann man lesen, aber nicht der beste Grisham. Weiter zur Rezension:    Die Legende von John Grisham

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore