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Deckname Flamingo von Kate Atkinson - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Deckname Flamingo 

von Kate Atkinson 


Sehen Sie es als Abenteuer', hatte Perry ganz am Anfang gesagt. Und so hatte sie den Spionagedienst auch empfunden. Ein Jux, hatte sie gedacht. Das Russische Teehaus, das Etikettenkleben, die Flucht den Wilden Wein hinunter. Aber es war kein Abenteuer. Jemand war gestorben.

Ein in 1940 bis 1950 in England spielender Spionageroman, Ocean-Cover, Swimmingpoolfeeling – doch das ist es nicht. Die 18-jährige Julia Armstrong wird 1940 als MI5-Mitarbeiterin angeworben, mitten in der Kriegszeiten von London. Sie soll britische Nazi-Sympathisanten ausspionieren. Ein langweiliger Job, stellt sie fest. Und leider liest es sich auch phasenweise so. Nach Kriegsende arbeitet sie für die BBC und wird plötzlich bedroht. Ab hier, ziemlich am Ende, kommt endlich Spannung in den Roman. Ein Gesellschaftsroman, letztendlich interessant zu lesen.

Auch verbrachte sie viele öde Stunden damit, ›Spionagefieber‹-Berichte von Agenten im ganzen Land abzutippen. Sie hatten Leute befragt, die meinten, die Regierung unbedingt wissen lassen zu mèssen, dass sie glaubten gesehen zu haben, wie ein Kontingent der Hitlerjugend mit Fahrrädern über die South Downs gefahren war. Oder dass ihre Nachbarin – eine ›deutsch aussehende Frau‹ – die Windeln auf eine Weise zum Trocknen aufhängte, die auf ein ›Signal‹ schließen ließ.

Gesellschaftsbild der Kriegszeit in England

Die Geschichte ist auf mehreren Zeitebenen angelegt, gibt ein gutes Gesellschaftsbild der Kriegszeit und Nachkriegszeit in England wieder. »Transcription« heißt der Originaltitel - Abschriften, Protokolle, Telefongespräche anhören, Gespräche abhören, protokollieren. Protokolle sind immer wieder eingefügt. Die junge Julia ist verwirrt, der Job, der anfangs so interessant wirkte, ist doch eine ziemlich langweilige Angelegenheit: Mithören, protokollieren, abtippen. Eine subversive Wohnung ist der Treff von Nazisympathisanten, die sich treffen, einem Gestapo-Agenten berichten, Befehle entgegennehmen – so glauben sie zumindest. Der Gesandte ist ein Agent vom MI 5, die Wohnung wird abgehört und nebenan in der Wohnung wird feinsäuberlich alles protokolliert.

Schnell gerät die naive Julia ins operative Feld. Sie erhält eine neue Identität, als Tochter der Upper-Class, muss sich in die Kreise eines Teehauses einschleichen. Sie soll britische Nazi-Sympathisanten ausspionieren. Wer gehört zu welcher Gruppe und wer tut nur so, weil er selbst undercover unterwegs ist? Könnte dieser oder jener ein Doppelagent sein. Wem kann man überhaupt trauen. Auch dieser Job entpuppt sich als recht langweilig. Aufgrund ihrer Informationen müssen Menschen mit dem Leben bezahlen, was sie erst spät begreift.


Du wirst bezahlen für das, was du getan hast. 

Kate Atkinson schreibt personal in Versatzstücken

Der Krieg ist vorbei, Julia hat einen Job als Redakteurin bei der BBC erhalten. Doch ihr altes Leben lässt sie nicht los. Und obendrauf sendet man ihr eine Nachricht, dass sie für das, was sie angerichtet hat, bezahlen wird. Kate Atkinson schreibt personal in Versatzstücken: Erinnerungen, Protokolle und Szenen setzen sich in Puzzlestücken zusammen zum großen Ganzen. Das Ende ist interessant. Feiner britischer Humor unterzieht das Ganze. Zu Anfang meint man, dies sei eine Persiflage auf einen Agentenroman. Doch das täuscht. Man muss aufmerksam lesen, denn sonst verpasst man die Feinheiten. Kate Atkinsons kann gut schreiben, ohne Frage, aber letztendlich habe ich mich durch die Geschichte durchgekämpft. Hier ein Puzzlestück und dort eins – letztendlich kam für mich keine Spannung auf. Kommt, dachte ich, kommt – Geduld. Die letzten 50 Seiten sind spannend. Ja, es passiert eine Menge in diesen Roman, viele Personen tauchen auf. Julia will ein Haus durchsuchen, das Hausmädchen ist ihr behilflich, doch die Hausherrin kommt zurück. Julia kann entkommen, doch ihre Handtasche befindet sich im Wohnzimmer, mitten auf dem Sofa. Kann das Hausmädchen die Tasche verstecken? Die Hausangestellte ist am nächsten Tag ausgetauscht. Was ist mit ihr geschehen? Wo ist die Tasche? – Der Schreibstil ist fast protokollarisch, es gibt wenig Emotion. Gefallen hat mir die Beschreibung des Alltags zu dieser Zeit, karges Leben, Kriegswirren, Aufbau in der Nachkriegszeit,  Patrioten und auch Gruppen, die mit Hitler sympathisieren – die fünfte Kolonne – was heute gern unterschlagen wird. Mit tiefem schwarzem Humor untersetzt die Autorin die Geschichte. Eine Einladung zum Essen, man staunt, es gibt Fleisch, fragt nicht von welchem Tier. Freund oder Feind? Wer hat hier wen getötet und warum? Immer wieder Lügen auf allen Seiten. Am Ende des Buchs erklärt die Autorin, dass alles, was der Leser für historische Tatsachen halten mag, frei erfunden ist. »Vieles ist falsch, mit Absicht«. Wen gab es wirklich? »Jack King«, der Bankangestellte »Eric Roberts«, arbeitete wirklich für den MI 5, wurde in faschistische Kreise infiltriert, sein Führungsoffizier war Victor Rothschild. Und er gab sich als Gestapo-Agent aus und er traf »die fünfte Kolonne« in einer Wohnung, die vom MI 5 arrangiert und abgehört wurde.

Kate Atkinson wurde bereits für ihren ersten Roman »Familienalbum« mit dem renommierten  »Whitbread Book of the Year Award« ausgezeichnet. Mittlerweile ist jedes ihrer Bücher ein internationaler Millionenerfolg. Für »Das vergessene Kind« erhielt sie den »Deutschen Krimi Preis 2012« und für »Die Unvollendete« sowie »Glorreiche Zeiten« den »Costa Novel Award«. Kate Atkinson lebt in Edinburgh und gilt als eine der wichtigsten britischen Autorinnen der Gegenwart.

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