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Das Meer von Mississippi von Beth Ann und Tom Franklin - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Meer von Mississippi 


von Beth Ann und Tom Franklin


Vom Winter 1926 bis Frühjahr 1927 stellten Rekordregenfälle die mangelhaft gesicherten Dämme entlang des Mississippi und seiner Nebenflüsse auf die Probe – und die Dämme versagten.


Ich bin sehr enttäuscht von diesem Roman und würde das Vorwort als das beste Kapitel im Buch bezeichnen. Weder haben mich Story, noch Figuren angesprochen. Das liegt einerseits an der Dramaturgie und andererseits an der Geschichte selbst. Zum Thema: 1927, die große Flut von Mississippi – eine Hochwasserkatastrophe von ungeahntem Ausmaß, bei der ein Deich bei Greenville brach und eine dreißig Meter hohe Flutwelle hernach etwa 70.000 Quadratkilometer des Mississippideltas in Bundesstaaten Arkansas, Illinois, Kentucky, Louisiana, Missouri, Mississippi und Tennessee überflutete, circa eine Million Häuser unter sich begrub. Schwarze mussten zuvor unter vorgehaltenen Waffen Deiche bauen, wurden aus den Fluteh nicht gerettet, verhungerten in den Flüchtlingslagern, da man sich während der Katastrophe nur um Weiße kümmerte (die betroffene Bevölkerung bestand größtenteils aus Afroamerikanern). Der Staat hatte im Vorfeld versagt; ebenso hinterher, weil es für die Opfer keinerlei staatliche Hilfe gab. Das alles hätte man wunderbar in die Geschichte einfließen lassen können. 


Eine Frau rettet den Ehemann

Der Prolog, der keiner ist, beginnt spannend. Dixie Clay Holliver kommt geruhsam zu ihrem Haus zurück, als sie Stimmen vernimmt. Sie kann hören, wie ihr Ehemann Jesse gerade von zwei Typen in die Mangel genommen wird, schleicht leise heran, nimmt ihre Winchester hoch und zielt aus ihrem Versteck. Ihr Mann kann den beiden Staatsbeamten weismachen, dass in den Büschen mehrere seiner Angestellten lauern, nachdem die Scharfschützin Dixie ein paar sehr genaue Treffer auf diverse Gegenstände abgegeben hat. Jesse ist Schwarzbrenner – bzw. Dixie brennt den Whiskey, den er sehr gewinnbringend verkauft. Die Prohibitionsagenten waren ihm auf die Schliche gekommen, suchen nach der Destille. Jesse entwaffnet die Männer und fährt mit ihnen weg. Dixie sagt er, er hätte sie bestochen; alles sei wieder gut. 


Prohibitionsagenten stehen im Regen

Die Prohibitionsagenten Ham Johnson und Ted Ingersoll erhalten den Auftrag, nach Hobnob zu fahren, undercover zu recherchieren. Zwei ihrer Kollegen hatten sich zuletzt von dort gemeldet, seit zwei Wochen fehlt jede Spur von ihnen. Unterwegs kommen sie an einer Farm vorbei, an dem sich ein Unglück ereignet hat: Farmer wurden von Plünderern überfallen, hatten sich gewehrt – die Diebe erschossen, die aber gleichzeitig die Farmer erwischten. Ham und Ted können nichts mehr für den Farmer tun, er liegt im Sterben. Ein Baby bleibt allerdings zurück. Ted, selbst ein Heimkind, nimmt sich vor, ein gutes Zuhause für den Jungen zu finden. In der Stadt bekommt er den Tipp, Dixie Clay Holliver könne interessiert sein, sie habe ein halbes Jahr zuvor ihr Baby verloren. So treffen die beiden Hauptprotagonisten aufeinander. Dixie nimmt glücklich den Jungen auf.


Breit gerollt wie Strudelteig


... und dann hörten sie wieder nur den Regen, dessen Rauschen für sie in den letzten Monaten gleichbedeutend mit Stille geworden war. Dixie Clay dachte darüber nach, dass sie alle den Klang des Nichtregens vergessen hatten oder den Geruch von Nichtgestank.

Langsam kriecht die Handlung unter Schlamm und Regen voran, bis die Protagonisten, die sich sympathisch sind, voneinander erfahren, wer sie wirklich sind. Die Backstory zu den Lebensläufen stehen im Vordergrund. Jede Kleinigkeit wird breit gerollt wie Strudelteig, seitenlang ein knuddeliges glucksendes Baby mit rosigen Bäckchen und Brötchenpo beschrieben, eine Frau, die sich nicht sattsehen kann. Ab der Mitte erst kommt die Geschichte ins Rollen, jedoch zäh und ausgebreitet. Wie es das Buch in die Krimibestenlisten geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Kommt endlich mal eine spannende Situation, so gehen die Autoren nicht die Szene hinein, sondern lösen sie in der wörtlichen Rede auf, indem einer der Beteiligten erzählt, was er erlebte oder noch schlimmer, was er selbst vom Hörensagen erfahren hat – das in der auktorialen Erzählform – ansonsten sind die Autoren sparsam mit Dialogen. Ich habe bis zum langweiligen Ende, denn nicht mal hier gibt es ein spannendes Showdown, keinen Bezug zur Story oder den Protagonisten bekommen. In Weitwinkelperspektive erzählt, distanziert wie ein Polizeibericht. Eine sich anbahnende Liebesgeschichte, kriminelle Machenschaften, Prohibition, Saboteure, die den Damm sprengen wollen, ein Deich, der brechen wird, hilflose Menschen, die alleingelassen werden in der Hoffnung, alles wird schon gutgehen. Man hätte etwas draus machen können, geschichtliche Eckdaten einfließen lassen. Hier versinkt leider dramaturgisch alles im Schlamm. Dauerregen verwässert die Story zu einem Einheitsbrei ohne Höhepunkte und der Spannungsbogen bewegt sich auf der Nulllinie, trotz der ganzen Melodramatik. Fast könnte man die Geschichte auch an die Elbe oder den Nil legen. Mississipifeeling kommt nämlich nicht vor. Die Protagonisten sind flach gezeichnet, schwarz-weiß. Die wunderhübsche Dixie, stark, selbstständig, Scharfschützin, ackert nachts, um ihren Mann den Whisky zu brennen. Ihr Mann, ein intelligenter Schönling, stets fein angezogen, fährt Nobelkarossen, säuft, schlägt seine Frau, kassiert das Geld ein, treibt sich in Puffs herum, ist eine durchtriebene Type. Allerdings als Al-Capone-Verschnitt ist die Figur so gar nicht gelungen – weil er dramaturgisch doch eher wie ein dummer Waschlappen wirkt. Bürgermeister sind bestechlich, die Bundesagenten von Hoover sind allesamt edelmütig und unbestechlich. Das Waisenkind Ted Ingersoll vernachlässigt seinen Job, weil er sich um ein Baby sorgt, verliebt sich und vergisst alle Pflichten. Ein Mann reinen Herzens, der sich aufopfert, Dixie den Blues auf der Mandoline spielt. Mehr Kitsch geht eigentlich gar nicht. Ich mag Genremix sehr gern, aber dieser Roman, den ich seitenweise quergelesen habe, um nicht einzuschlafen, würde ich nicht mal der Pilcherfraktion empfehlen. Ein epischer Stoff, der weder dramaturgisch noch erzählerisch gut umgesetzt wurde, eine schlecht konstruierte Story mit ziemlich vielen Zufällen als Stützpfeilern. Genremix: Liebesgeschichte; Historisches weniger, denn der Ort und die Ereignisse sind fiktiv, nur die Flutkatastrophe im Hintergrund ist wahr, was mir zu wenig ist; Crimeelemente ja, aber für echte Crimefans zu wenig. Von der Anlage literarisch ein Thriller, keine Frage, der Thrill ist ständig unterlegt – was aber nicht gleichbedeutend Spannung bedeutet; zumindest hier nicht.


Beth Ann Fennelly, 1971 in New Jersey geboren, hat drei Gedichtbände und ein Sachbuch veröffentlicht. Sie leitet den Studiengang Kreatives Schreiben an der Universität von Mississippi. Tom Franklin wurde 1963 in Dickinson, Alabama geboren. Für sein literarisches Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2019 mit dem Deutschen Krimipreis. Franklin unterrichtet an der Universität von Mississippi. Beth Ann Fennelly und Tom Franklin sind seit 1998 verheiratet und leben mit den gemeinsamen Kindern in Oxford, Mississippi.



Beth Ann Fennelly und Tom Franklin  
Das Meer von Mississippi
Originaltitel: The Titeld World, 2013
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Eva Bonné
Zeitgenössische Literatur, Hochwasser Mississippi-Delta, amerikanische Literatur
Hardcover, 384 Seiten
Heyne Verlag, 2020



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane


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