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Das Holländerhaus von Ann Patchett - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Das Holländerhaus 


von Ann Patchett


Der erste Satz: Als unser Vater Andrea zum ersten Mal ins Holländerhaus mitbrachte, kam unsere Haushälterin Sandy ins Zimmer meiner Schwester und schickte uns nach unten.

Eine amerikanische Familiengeschichte über den Aufstieg eines kleinen Mannes. Cyril Conroy ist ein einfacher Mann, aber er hat ein Näschen für Immobilien. Er kauft billige Objekte in der Zwangsversteigerung, renoviert die Häuser, legt dabei selbst Hand an, und dann vermietet er die Objekte. Er kauft, verkauft und bringt es zu einem beträchtlichen Vermögen. Stolz erwirbt er 1946 von einer Bank das sogenannte Holländerhaus, benannt nach der holländischen Familie, die diese Prunkvilla außerhalb von Philadelphia erbauen ließ, inklusive allem Inventars. Die Besitzer waren verstorben und pleite gegangen, hatten keine Erben. Die riesigen Porträts der Familie bleiben im Wohnzimmer hängen als Protz, Cyril ist besessen von dem Haus. Die Kinder lieben den großen Pool. Elna hatte Cyril nicht gefragt, ob sie das Haus haben möchte. Und die fühlt sich unwohl in der pompösen Villa mit all dem Zeug, das Fremden gehörte, dem Ballsaal im 2. Stock, der sowieso nie benutzt werden wird. Angestellte um sie herum, Hauspersonal, eine Köchin, Gärtner, Kindermädchen, dass alles ist ihr zu viel. Eines Tages ist Elna verschwunden. Sie ist nach Indien gegangen, erklärt Cyril seinen Kindern Maeve und Danny. Ein paar Jahre später taucht die junge Witwe Andrea Smith auf, die sich auch in das Haus verliebt. Immer häufiger kommt sie zu Besuch, bringt ihre Töchter mit, die jünger als Maeve und Danny sind. Dann wird geheiratet und die Smiths heißen nun Conroy.

Die neue Frau verändert das Familienleben

Mit der Stiefmutter gibt es für die Kinder kein inniges Verhältnis. Als die talentierte Maeve an die Highschool geht, bestimmt Andrea, dass eine ihrer Töchter Maeves Zimmer bekommt und Meave in die kleine Dachkammer ausweichen muss. Als Danny 15 und Maeve, 22 Jahre alt sind, verstirbt der Vater unverhofft. Sie sehen sich als Kinder als die Erben an. Doch Andrea hatte ihren Gatten vorsorglich überredet, sie per Testament als Alleinerbin einzusetzen, er hat ihr alles überschrieben. Kurzer Hand schmeißt sie Danny aus dem Haus. Er zieht in die kleine Einzimmerwohnung seiner Schwester ein. Es gibt allerdings noch einen Ausbildungsfond für Danny und die jüngeren Mädchen. So kommt Danny auf eine teure Privatschule, und er muss per Medizin studieren, bestimmt Meave – das längste, teuerste Studium. Die Geschwister wollen wenigstens den Fond ausreizen – nicht viel für die Mädchen übriglassen. Dagegen kann Andrea nichts tun.

Wir observieren sie ja nicht rund um die Uhr, sondern kommen nur alle paar Monate her. Für eine Viertelstunde», sagte ich. Und auch die Behauptung, dass wir nur alle paar Monate herkamen, war möglicherweise nicht ganz zutreffend. …
‹… ob sie wohl glücklich ist? Ob sie jemanden Neues kennengelernt hat?›
‹Nein, darüber denke ich nie nach.›
‹Sehr alt kann sie noch nicht sein. Vielleicht hat sie jemanden Neuen gefunden.›
‹Sie würde doch nie jemanden ins Haus lassen.

Sie können nicht loslassen

Der Roman ist auf verschiedenen Zeitebenen geschrieben, switcht immer hin und her vom Jetzt bis zurück in die Jugend der Eltern, Danny ist zu beginn Anfang sechzig, längst verheiratet, hat selbst Kinder. Die Familiengeschichte wird aufgerollt. Danny und besonders Meave können nicht loslassen von dem Holländerhaus. Immer wieder sitzen sie im Auto und beobachten das Haus, das nun von den anderen Conroys bewohnt wird, von der Frau, die sich das Erbe erschlichen hat. Danny erzählt uns seine Geschichte.

Aber wir neigen dazu, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu überlagern. Wir betrachten sie durch die Linse unseres heutigen Wissens, sodass wir sie nicht als die Menschen sehen, die wir damals waren, sondern als die Menschen, die wir inzwischen sind, und das bringt eine radikale Veränderung der Vergangenheit mit sich.

Kein herausstechender Roman

Der Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, der dieses Haus mit all seinem Prunk zur Selbstbestätigung benötigt – seine Frau, die mit alledem nichts anfangen kann, was er ihr zu Ehren erworben hat. Die sogar ihre Kinder zurücklässt. Die typischen Themen Schuld, Sühne und Vergebung liegen dieser Geschichte zugrunde. Das Buch ist nicht schlecht. Aber mich hat es nicht wirklich packen können. Die Handlung läuft wie ein gespannter Faden, es gibt keine Kurven, keine Geheimnisse oder Verwicklungen. Bis zum Schluss habe ich auf das Aha gewartet, mittendrin auf den Wendepunkt. Es gibt bei Danny einen kleinen Wendepunkt, der nicht direkt ins Auge sticht. Das Ende passte für mich nicht, wirkte eher drangeklebt. Alles in allem war es mir zu wenig für eine spannende Familiengeschichte, ein Roman, der für mich keinen Sog entwickelte. Die Sprache von Ann Patchett wird gefeiert. Auch hier fragte ich mich warum. Sie schreibt ordentlich, keine Frage, aber sprachlich packen konnte mich das Buch nicht, Bilder im Kopf, Emotionen – keine Spur bei mir. Unterkühlte Sachlichkeit mit einer unaufgeregten Geschichte – hier hatte ich eher mehr erwartet.


Ann Patchett, 1963 in Los Angeles geboren, lebt als Schriftstellerin und Kritikerin in Nashville, Tennessee. Ihr Roman „Bel Canto“, übersetzt in dreißig Sprachen, wurde mit dem PEN/Faulkner Award und dem Orange Prize ausgezeichnet und war auch in Deutschland ein großer Erfolg.


Ann Patchett 
Das Holländerhaus
Originaltitel: The Dutch House
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ulrike Thiesmeyer
Gegenwartsliteratur, Familiengeschichte
Gebundene Ausgabe, 400 Seiten
Berlin Verlag, 2020

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