Direkt zum Hauptbereich

Das Abrakadabra der Fische von Simon van der Geest - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Abrakadabra der Fische 


von Simon van der Geest


Der Anfang: Wenn man nur schnell genug fährt, fliegt man in der Zeit zurück. Mama rast wie eine Verrückte über die Straße. Bäume und Schilder fliegen wie in einem Nebel vorbei …

Ein erzählerisch starkes Kinderbuch aus den Niederlanden, spannend und humorvoll! Als Vonkie von ihren Eltern auf den Bauernhof ihres Großvaters geschickt wird, ist sie nicht begeistert. Was soll sie zwischen den Poldern am Deich schon erleben? Aber das neugierige Mädchen entlockt dem Großvater alte Familiengeschichten. Mit fünf Brüdern aufzuwachsen, das war nicht leicht. Drei große Brüder, die zusammenhielten, vor denen man sich in acht nehmen musste, in der Mitte die Schlausten, Eisen (der Opa) und Beule, die immer unzertrennlich schienen und stets Streiche im Kopf hatten. Und von diesen Schelmereien erzählt Opa. Doch woran zerbrach diese feste Bande und wo steckt Beule heute. Darüber will Opa nicht reden. Ein Familiengeheimnis, das Vonkie zu lüften gedenkt. In der Nähe vom Hof befindet sich eine verrottete Wassermühle. Dort soll es spuken, behaupten die Leute, erzählen Schauermärchen. Opa sagt, das ist Quatsch, untersagt Vonkie aber, sich auch nur in der Nähe herumzutreiben, da das Gebäude jeden Augenblick zusammenkrachen kann.

Spannend, amüsant, abenteuerlich

Er steckt sein Handy nach dem Schwan aus. Es erklingen ein paar kurze, hohe Schreie …  Der Schwan weicht verblüfft zurück. Stolz schaut Sven sich um und grinst. ‹Habt ihr das gesehen?› Doch da schießt der Schwan schon vorwärts und schnappt ihm das Handy aus der Hand. … Er hat offenbar mit dem Schnabel weitergescrollt, denn jetzt erklingt kein Habichtgeschrei mehr, sondern der Schrei einer Eule. Und dann eine Krähe. Und dann eine heisere Möwe.

Opa nannten sie Eisen, weil er so stur war. Beule, war der Waghalsige, der sich täglich irgendwo eine Schramme holte. Tor, Schraube, jeder Bruder hatte einen Spitznamen. Gleich im Buchdeckel finden wir eine Karte der Örtlichkeiten, die sozusagen auch bereits einige Geschichten anstößt. Polderlandschaften am Deich, durchzogen von Kanälen, Wiesen, Windmühlen, die Wasser von einem Kanal zum anderen schöpfen, um Überflutungen zu vermeiden. Schlittschuhlaufen auf zugefrorenen Poldern, eine Menge an  Vögeln, Wildvogeleiersuche, hartes Landleben – Simon van der Geest holt den Leser in eine wundervolle Natur, berichtet auch von der Vielfalt der Vögel damals, die heute zu schützen sind. Amüsante Geschichten, wie Eisen und Beule den Donnerbalken an den Ackerflächen ansägen, der über einem kleinen Kanal angebracht ist, um den Bruder in den Schiet plumpsen zu lassen. Opa erzählt von einem schrecklichen Angriff eines Schwans auf ihn und der Cousin von Vonkie meint, keine Angst vor Schwänen haben zu müssen. Er hat ja eine App, er besitzt ja eine App, die Vogelgeräusche abspielt: Einfach die Töne eines angreifenden Raubvogels abspielen, dem Schwan entgegenhalten – schon verpieselt er sich. Denkste! Der geht auf Angriff über, schnappt sich das Handy, hackt darauf herum, wobei er dem Ding diverse Vogeltöne entlockt. Spannende Geschichten und Erlebnisse, und auch schaurige – nicht zu vergessen das Geheimnis, das gelüftet werden muss.

Was passiert, wenn Dinge unausgesprochen bleiben? 

Weil sie mich so stur fanden. So stur wie einen krummen Nagel. Versuch doch mal einen krummen Nagel gerade zu schlagen.

Im Hintergrund spielt der Familienstrang um Vonkie. Ihre Eltern haben Stress. Darum ist das Mädchen in den Ferien bei Opa gelandet. Werden sich die Eltern trennen? Was passiert, wenn Dinge unausgesprochen bleiben? Hier geht es um Kommunikation miteinander, um Vergeben und Vergessen, um die Kunst, aufeinander zugehen zu können. Erzählerisch ist das Kinderbuch einfach klasse! Das Feingefühl, das so einfach nebenbei läuft, ohne den Zeigefinger zu erheben, ist gelungen. Kinder erleben das Drama der Eltern, der Familie, müssen mit dem Schweigen leben – Enkel sind dazu verdammt, Risse zu kitten – was ihnen auch meistens gelingt. Spannung und Humor in einem mit einem Kick Grusel – was will man mehr? Die Altersempfehlung ab 10 Jahre ist für mich in Ordnung – aber sicher wird das Buch auch Papa und Mama gefallen, wenn sie gute Kinderbücher mögen.


Simon van der Geest, geboren 1978, ist einer der bedeutendsten niederländischen Nachwuchsautoren. Bei Thienemann ist er mit drei Titeln vertreten, von denen zwei mit dem Goldenen Griffel ausgezeichnet wurden.


Simon van der Geest 
Das Abrakadabra der Fische
Originaltitel: Spijkerzwijgen
Übersetzt aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
mit Vignetten von Almud Kunert
Kinderbuch, Familiengeschichte
320 Seiten, Gebunden
Altersempfehlung: ab 10 Jahren





Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! 
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension -MENSCH!: Eine Zeitreise durch unsere Evolution von Susan Schädlich, Michael Stang und Bea Davies

  Die Entstehungsgeschichte der Menschheit als spannende Comic-Sachgeschichte präsentiert – lehrreich und humorvoll verpackt! Woher kommen wir? Wer waren unsere Vorfahren? Und ab wann lernten sie, mit Werkzeugen umzugehen? Diese Graphic Novel nimmt uns mit auf eine Zeitreise durch die Evolution der Menschen, indem wir ihnen sozusagen hautnah begegnen. Wissenschaft meets Comic, Historische Fiction – Sachkinderbuch ab 10 Jahren, über die Evolution der Menschen – klasse gemacht! Empfehlung auch als Unterrichtsmaterial! Weiter zur Rezension:    MENSCH!: Eine Zeitreise durch unsere Evolution von Susan Schädlich, Michael Stang und Bea Davies

Rezension - Spanischer Totentanz von Catalina Ferrera

Der erste Barcelona-Krimi, »Spanische Delikatessen«, von Calina Ferrera hatte mir als Hörbuch gefallen: leichte Story mit Lokalkolorit, feiner Humor, spannende Geschichte. Leider konnte mich der zweite Band nicht überzeugen. Weder Spannung noch ein Gefühl für die Stadt kam auf. Touristische Beschreibungen und Restaurantbesuche lähmen eine durchschaubare Kriminalgeschichte, die die Mossos d’Esquadra auf den Cementiri de Montjuïc und die Zona Alta führt. Weiter zur Rezension:    Spanischer Totentanz von Calina Ferrera

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

  Ein herrlich spaßiger, spannender Kinderkrimi! Mit Papa und seiner neuen Flamme in die Berge zum Wandern oder zu Oma Lore. Keine Frage! Bei der fetzigen Lore ist es immer lustig. Jetzt sitzt Pia aber seit über einer Stunde auf dem Bahnhof, ohne dass Oma sie abgeholt hat. Sehr seltsam. Omas Haus ist nicht weit entfernt; und so macht sich Pia mit ihrem Rollkoffer auf den Weg. Niemand öffnet die Tür! Durch ein offenes Fenster gelangt sie hinein. Doch Oma bleibt verschwunden. Die Detektivarbeit beginnt … Ein Pageturner, ein Kinderroman, eine waschechte Heldenreise, ein rasanter Abenteuerroman und nervenkitzelnder Kinderkrimi ab 8-10 Jahren. Unbedingt lesen!  Weiter zur Rezension:   Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Young Agents: Operation «Boss» von Andreas Schlüter

Offiziell gibt es sie gar nicht. Jeder Insider würde ihre Existenz leugnen. Und doch leben sie unter uns: Die Young Agents, europäische, jugendliche Geheimagenten, ausgebildet an einer EU-Agentenschule, fast unsichtbar, denn wer achtet schon auf Kinder? Sie sind im Alter zwischen 11 und 14 Jahren, leben bei ihren Familien und gehen ganz normal zur Schule. Der zwölfjährige Billy, ein Agent aus Deutschland, ist der Icherzähler dieser Geschichte. Gleich am Anfang erklärt er, man soll sich das nicht so vorstellen wie bei 007, James Bond, denn wir befinden uns ja in der Realität. Aber genau das ist es letztendlich! Ein Plotaufbau nach James Bond, eine Heldenreise in drei Akten, beginnend mit einem nervenzerreißenden Intro, in dem der Agent hoher Gefahr ausgesetzt wird – sehr spannend geschrieben  – und mit Action pur geht es weiter, Seite für Seite. Ein Pagemaker zum Entspannen für Jugendliche ab 11 Jahren. Mir fehlte ein wenig Ruhe und Atmosphäre. Wer auf American-Hero-Storys steht, fü

Rezension - Unser Deutschlandmärchen von Dincer Gücyeter

  Eine türkische Familiengeschichte, die mit der Urgroßmutter und der Großmutter einleitend beginnt. Die nächste Generation wandert nach Deutschland aus – das gelobte Land, wo Milch und Honig fließt. Der Traum, den viele «Gastarbeiter» träumten: Arbeiten, viel Geld verdienen, nach Hause zurückkehren und ein Haus bauen. Und dann wurden aus den Gästen Einwohner. In Deutschland die Türken – in der Türkei die Deutschen – entwurzelt, nirgendwo wirklich zu Hause. Eine Familie, die sich bemüht hat, sich zu integrieren. Ein Zwiegespräch zwischen Sohn und Mutter – zwei völlig verschiedene Generationen, aber auch eine Abrechnung mit der deutschen Gesellschaft und eine mit dem Heimatland und dem Machismo, mit der Erniedrigung der Frauen. Ein hervorragender Gesellschaftsroman, ein Bildungsroman über Migration, Rassismus und Misogynie – meine Empfehlung! Weiter zur Rezension:     Unser Deutschlandmärchen von Dincer Gücyeter

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz