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Bus nach Bingöl von Richard Schuberth - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Bus nach Bingöl 


von Richard Schuberth


Ein Busunternehmen neben dem anderen war hier aufgefädelt. Die Bäuche der Busse wurden fortwährend geleert und gefüllt. Koffer, riesige Ballen und ganze Hausgerätschaften schob man in die Laderäume. ... Noch gar nicht alte Frauen mit geschwollenen Füßen schleppten sich am Stock zu den Eingängen und wurden von ihren Kindern am Gesäß in den Bus geschoben.


Nach Jahrzehnten des Exils in Wien kehrt der Politologe und Sozialarbeiter Ahmet Arslan in sein Heimatdorf in die kurdische Provinz Dersim in Ostanatolien zurück, um noch ein Mal seine Mutter zu sehen. Er nimmt  am Flughafen Sabiha Gökçen den Bus, um sich aus dem Fenster seine Heimat anzusehen. Wir lernen einige der Mitreisenden kennen – die meisten sind abgeschlossene Geschichten in der Geschichte. Es kommt sogar die verstorbene Frau im Sarg zu Wort, die im Kofferraum mitreist. In der zweiten Hälfte ist Ahmet in seinem Dorf angekommen, trifft eine Menge Leute – man redet über Politik, über das alte Kurdistan, über das neue, über die Armenier, streitet sich. Es gibt innere Monologe, Rückblicke zum Frühling 2008, als sich das AKP-System noch den Anstrich von Demokratie und postkemalistischem Aufbruch gab. Verklärte Erinnerung auf beiden Seiten.


Zu viel Sachkunde in einem Roman

Seien sie nicht so hart gegen all die Menschen, die ungebildeten Frauen, die ihr Kopftuch tragen. Das sind keine Islamistinnen. Das Problem: Sie sind leicht manipulierbar. Ich bin ein Bauernsohn. Ich weiß, wie dumm Bauern sein können.


Der Anfang von diesem Roman hat mir gut gefallen, ich habe mich königlich amüsiert – das Ganze hat Slapstickszenen. Aber leider kann der Autor den Humor nicht halten. Es ist herrlich, wie eine Upper-Class-Istanbulerin, die ihren Flug verpasste, versucht, einen Doppelsitz zu bekommen, darum kämpft, dass der Sarg bloß nicht mit ihrem Koffer in Berührung kommt, die sich lautstark über das Kopftuchgeschwader beschwert. Eine junge Frau im Bus kommt von einer Abtreibung zurück und wird von einer älteren Dame stark unter Druck gesetzt, die ihr sofort auf den Kopf zusagt, woher sie kommt. Es gibt lauter kleine Teilgeschichten, mit denen Ahmed nichts zu tun hat – Busgeschichten. Hier fehlte mir der Zusammenhang – es ist schlicht eine Aneinanderreihung von türkischen Gesellschaftsproblemen. Obwohl – einige der Gestalten tauchen am Ende nochmal auf. Mir fällt es schwer, den Inhalt der Geschichte wiederzugeben – denn genau das ist für mich das Problem. Ein Roman sollte eine Geschichte sein, eine Erzählung. Ich bin wirklich sehr politikinteressiert, auch die Kurden interessieren mich, doch wenn ich ein Sachbuch lesen will, lese ich ein Sachbuch – das möchte ich nicht als Roman untergeschoben haben. Ahmet philosophiert, redet mit vielen Menschen. Der kurdische Konflikt, die Armenierfrage, die Stämme, die Veränderungen, alte Regierungen und neue – wobei auch verschiedene Denkweisen zu Wort kommen und auch die Verklärung von Tatsachen, wenn die Zeit vergeht, bzw. die Sichtweise aus einem anderen Teil der Welt. Richard Schuberth agiert natürlich auch viel mit dem Zeigefinger, was nicht ausbleibt, wenn ich politische Sichtweisen in solchem Maß in einen Roman verfrachte. An vielen Stellen habe ich quergelesen, weil mir die «Geschichte» zu langweilig wurde – ich hatte einen Roman zur Entspannung erwartet. Am Ende wird die Sache wider Erwarten dann doch noch mal spannend. Insgesamt fehlen mir der schöne Erzählfluss und der Humor vom Anfang, hier ist einfach zu viel Sachkunde eingeflochten.


Richard Schuberth, geb. 1968 in Ybbs a. d. Donau, Autor von Romanen, Essays, Dramen, Aphorismen, Gedichten, Satiren, Polemiken, wissenschaftlichen Texten und einem Musiklexikon, Ex-DJ, Cartoonist, Regisseur und mitunter „Komponist“ seiner Songmelodien. 


Richard Schuberth 
Bus nach Bingöl
Roman, zeitgenössische Literatur, österreichische Literatur
Gebunden, 280 Seiten
Drava Verlag, 2020



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

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