Rezension
von Sabine Ibing
Blumenspiel
von Hajo Steinert
Der erste Satz: Noch vor Sonnenaufgang wanderte er los, über Feldwege, an blühenden Wiesen, Weiden und Waldrändern vorbei, über die Landstraße, fast nur bergab.
Heinrich, ein junger Kunstschmied hat seinen Beruf zugewiesen bekommen: Familientradition, später den Handwerksbetrieb übernehmen. Er würde lieber zeichnen und malen, das ganze Gehämmer ist viel zu laut für seine feinen Ohren. Seine Mutter versteht ihn, unterstützt ihn, doch eines Tages begeht sie Selbstmord, der Vater wird damit nicht fertig, folgt ihr bald darauf. Heinrich ist nun frei, verkauft Haus und Betrieb im bergischen Engelskirchen und zieht 1908 mit einem Batzen Geld in der Tasche ins nahegelegene Cöln. Bei einer weitläufigen Bekannten, Else Römer, die ein Auge auf ihn geworfen hat, kann er zur Untermiete wohnen. Die Stadt kommt dem Landei Heinrich zunächst unheimlich vor, rücksichtslos – lautes Straßengewimmel, Menschen, die ihn anrempeln, Straßenbahnen, Autos, Gehupe und Gebimmel. Überall muss man aufpassen. Doch schnell gewöhnt er sich ein, übt erst einmal Müßiggang, zeichnet. Die Schneiderin Hedwig, die für das Opernhaus arbeitet, fällt ihm auf und er sucht ihre Nähe. Die beiden verlieben sich, treffen sich heimlich. Denn da ist ja noch Else Römer und der Verlobte von Hedwig und ihr Vater. Hedwig träumt vom freien Leben in einem Ort am Lago Maggiore, der Kolonie auf dem Monte Veritá.
Ihm war, als bohrten sich seine beiden Spitzen in die Wolken hinein.
Ein Zweispänner rasselte an ihm vorbei, ein Automobil röhrte über das Pflaster, ein Kutscher ließ seine Peitsche knallen, eine Straßenbahn quietschte um die Kurve, kam direkt auf ihn zu, an der Oberleitung sprühten die Funken. Er duckte sich, hielt sich die Ohren zu und lief weg.
Der Roman liest sich gut an, facettenreich beschreibt Hajo Steinert die Eindrücke von Heinrich, der das umtriebige Cöln betritt: der Dom, die Oper, Prachtboulevards, Luxushotels und eine gemütliche Kneipenszene, eine Stadt im Umbruch in die Moderne. Und schon bildet sich auch Widerstand gegen das Getöse: Der »Deutsche Lärmschutzverband« und die Zeitschrift »Antirüpel« (es gab beide wirklich), die ein Recht auf Stille fordern, sich gegen laute Grammophonmusik, quietschende Straßenbahnen und gegen Industrielärm auflehnen. Heinrich braucht eine Weile, um sich an das Stadtleben zu gewöhnen, beobachtet zunächst das Treiben der Stadt aus dem Fenster und erkundet dann Stück für Stück die Straßen, wie eine Katze ihr neues Zuhause. Aber irgendwann wurde mir die Geschichte zu langweilig, sie zieht sich wie Kaugummi, das Werben um Hedwig. Endlich verlassen Hedwig und Heinrich die Stadt, doch bis hierhin ergeht sich der Roman in Klischees.
Ich dachte, nun wird es wieder interessant, angekommen auf dem Monte Veritá. Das Pärchen trifft auf diverse Künstler wie Franziska Gräfin Reventlow, Hermann Hesse, und Käthe Kruse. Doch nun hagelt es noch mehr Klischees, als der Autor das ausschweifende Leben in der Künstlerkolonie beschreibt. Heinrich und Hedwig nehmen das Leben hier auf verschiedene Weise auf, Heinrich als grotesk und Hedwig als künstlerisch bereichernd. Ich dachte, im letzten Drittel noch einen Auftrieb des Romans zu bekommen, doch leider gleitet er noch weiter ab. Der Roman ist einerseits recht gut geschrieben, doch er war mir letztendlich zu schablonenhaft und in der Mitte fehlte mir die Spannung.
Hajo Steinert, geboren 1952, arbeitete von 1986 bis 2016 in der Literatur-Redaktion des Deutschlandfunks. Buchveröffentlichungen und Herausgaben erstrecken sich über die Themengebiete Deutsche Literatur, Lyrik, Fotografie und Kulturgeschichte des Fußballs.
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