Rezension
von Sabine Ibing
Die Mondblume
von Einar Turkowski
Die schönsten Erklärungen sind nicht selten diejenigen, die das Geheimnis vergrößern.
Eine Insel, ein Steinhaus, ein riesiger Garten: Hier lebt Herr Ribblestone, der mit viel Liebe jede einzelne Pflanze pflegt. Durch verschlungene Pfade geht er gemächlich durch sein Reich, grüßt die Bäume und Büsche, überquert Bäche und Wiesen. Er bekommt nicht viel Besuch, denn den Leuten ist es hier nicht ganz geheuer in der Dunkelheit des Dickichts. Eines Tages entdeckt der Mann an seinem Lieblingsplatz, – der magisch anmutet, sogar das Licht ist hier anders – eine Pflanze keimen. Er kennt sich aus, aber die hier hat er noch nie gesehen.
Jeden Tag pflegt er das Pflänzchen, redet mit ihm, und es wächst zu einer stattlichen Blume heran – nun ja eine Knospe ist zu sehen, doch die mag nicht aufgehen. Herr Ribblestone stellt alles mögliche an, um das Herz der Blume zu gewinnen, damit sie ihre Blütenpracht entfaltet. Aber nichts zu machen. Die Knospe bleibt geschlossen – bis zu jener lauen Vollmondnacht…
Jede Ecke roch anders. Wurde man im oberen Bereich des Gartens von leicht süßlichem Duft empfangen, empfand man in schattigeren Lagen eher eine herbe Frische. Weiter unten jedoch führte jeder Windhauch dazu, dass ein schwerer und recht würziger Geruch in die Landschaft getragen wurde. Dies lag wahrscheinlich an dem Harz, das da und dort aus den trockenen Rinden der dunklen Bäume am Bach quoll.
Ein in schwarz-weiß gehaltenes Märchenbuch mit vielen Illustrationen. Es sind sehr feine Bleistiftzeichnungen, die mit ein wenig Tusche das Tiefenschwarz hervorholen, differenzierte, feine Zeichnungen. Und die haben es in sich! Ganz ab von Detailtiefe sind sie fantastisch-surrealistisch und gleichzeitig bodenständig. Auf den ersten Blick ein Haus, ein Garten. Wer aber genau hinschaut, entdeckt Magisches, oder wer weiterblättert, der findet einen Himmel voller Fische. Die kann man wirklich nicht mehr übersehen. Doch bereits vorher begegnen wir in Flora und Fauna recht interessanten Geschöpfen. Herr Ribblestone zeigt uns auf einer Tafel, was im Garten wächst: Das Urnenkraut, dessen Blüten eben Urnen sind. Oder die Tischrauke, die Salz- und Pfefferstreuer als Blüten hat. Wir finden Schmetterlinge, die so groß sind wie Herr Ribblestone, und er zeigt uns die Tiere, die im Garten wohnen, z.B. den Guckmichnichtan, das Luftpferdchen, den Kugelsummer und den, dessen Namen nicht ausgesprochen werden darf.
Kommen wir zur literarischen Form des Märchens. Die Sprache ist bildhaft, reicht ins Nature Writing, mit genau der richtigen Portion für Kinder. Es beginnt geruhsam, Einar Turkowski führt den Leser durch das Gartenreich und steigert die Geschichte durch Neugier: Was mag das für eine Blume sein? Was fällt Herrn Ribblestone noch alles ein, um die Blüte zu locken? Eine literarische Sprache – die Kinder müssen eintauchen in diese Welt, in diese Sprache, hineinwachsen in die Literatur. Und das ist gelungen. Ein anspruchsvolles Buch in Text und Grafik! Der Gerstenberg Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 5 Jahren. Das ist auf Grund der Komplexität von Bild und Sprache angemessen; Grundschulalter, so meine Einschätzung. Auf jeden Fall ist es ein besonderes Buch!
Einar Turkowski, geb. 1972, studierte in Hamburg Illustration bei Rüdiger Stoye. Seine Arbeiten sind national und international vielfach ausgezeichnet worden, etwa mit dem Grand Prix der 21. Biennale der Illustrationen Bratislava oder dem Troisdorfer Bilderbuchpreis. Der Autor, Illustrator und Dozent lebt in Schleswig-Holstein.
Die Mondblume
Kinderbuch, Märchen
Hardcover, 32 Seiten, 20,5 cm x 26,5 cm, durchgehend illustriert
Gerstenberg Verlag
Altersempfehlung: ab 5 Jahren
Kinder- und Jugendliteratur
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