Rezension
von Sabine Ibing
Die Königin und der Kalligraph
von Moussa Abadi
Moussa Abadi wurde im jüdischen Viertel von Damaskus geboren und wuchs in Frieden und Freiheit auf. In seinem berührenden Erzählband beschreibt er in typisch arabischer Erzählweise vom vergangenen Damaskus in der kurzen Phase vom Ende des Osmanischen Reichs 1918 bis zur französischen Besatzung am Beginn der 1920er-Jahre. Wir erfahren vom Leben der jüdischen Gemeinde und von deren friedlicher, ja brüderlicher Koexistenz mit Angehörigen anderer Religionen.
Atmosphärische Kurzgeschichten
Wir hören von der Königin, die ihr Königreich in der Wüste verloren hatte, die unendlichen Reichtum besitzt – so glaubt man ihr, weil sie alle reich beschenkt. Die Flunkerei verzeiht man ihr, denn sie hat ja niemanden betrogen; oder? Meine Lieblingsgeschichte ist die von dem, der nach Südamerika auswanderte, um reich zu werden durch fleißige Arbeit. Hin und wieder schickt er Geld, von dem die faulen Verwandten leben. Eines Tages kehrt er als reicher Mann zurück, die Eltern erhalten ein größeres Haus, er sucht sich eine Braut, und eine bombastische Hochzeit wird geplant. Da kommt die Nachricht, sein Compagnon hätte ihn betrogen, sei mit dem gesamten Vermögen durchgebrannt. Der Mann ist pleite. Die Hochzeit wird bescheiden gefeiert, es gibt keine Geschenke mehr für die Verwandten, der Mann reist ab, will sein Glück noch einmal versuchen. Nie wieder hat man von ihm gehört. Doch der Erzähler weiß mehr zu berichten …
Moussa Abadi - ein Held
Atmosphärische Geschichten voller Menschlichkeit, mit arabischem Schalk im Nacken – Menschen verschiedener Religionen, die in Frieden sich gegenseitig respektieren. Das Leben in der jüdischen Gemeinde in Damaskus, Nachbarn mit anderen Religionen, Christen, Juden und Muslimen, reiche Leute, arme Leute, Geburt und Tod, ein Kreislauf. Eine Welt, die heute undenkbar ist – und die Hoffnung, dass es eines Tages wieder sein könnte. Wundervolle Kurzgeschichten, die ich gern empfehle. Rafik Schami gibt dem Buch ein langes Nachwort, erläutert, wer Moussa Abadi war, wie er und seine Gefährtin Odette Rosenstock in Nazi-Deutschland mit dem jüdischen Widerstand ein Netzwerk gegründet hatten, Juden aus Deutschland herausschleusten und 527 jüdische Kinder retteten.
Moussa Abadi ist Abkömmling syrischer Juden und wurde 1910 in Damaskus geboren. Er besuchte die Jewish Alliance School, wo er ein Stipendium für ein Studium in Frankreich erhielt und an die Sorbonne ging. 1942 floh Moussa Abadi mit seiner Gefährtin Odette Rosenstock vor den Nazis nach Nizza. Die beiden schlossen sich der Widerstandsbewegung an. Mit Unterstützung des Bischofs von Nizza gelang es ihnen, 527 jüdische Kinder zu verstecken und sie so vor dem Zugriff durch SS und Gestapo zu bewahren. Moussa Abadi starb 1997. Zum ehrenden Andenken an ihn und Odette Rosenstock wurden in Paris und Nizza Plätze nach ihnen benannt.
Die Königin und der Kalligraph
Kurzgeschichten, Damaskus, religiöse Vielfalt, Französische Literatur
Aus dem Französischen von Gerhard Meier
Manesse Verlag, 2024
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Roman
Kommentare
Kommentar veröffentlichen