Rezension
von Sabine Ibing
Wie die einarmige Schwester das Haus fegt
von Cherie Jones
Aus diesem Grund ist Martha blind vor Tränen, als sie um sieben Uhr morgens in die falsche Richtung die sanft geschwungene Auffahrt der Baxter’s Plantation hinuntergeht, eine Auffahrt, gesäumt von Palmen, an denen der Legende nach immer noch schwer die Seelen der Sklaven baumeln, die in Zuckerrohrsaft getaucht und hier angebunden wurden, um sie von den Bissen der roten Ameisen quälen zu lassen.
Die Legende von der einarmigen Schwester sollte Lala eigentlich davor warnen, was mit Mädchen geschieht, die ihren Müttern nicht gehorchen. Großmutter Wilma hatte sie ihr erzählt, wie deren Großmutter sie schon erzählte: Geh nicht in die Tunnel! Die Pfarrerstochter hatte die Warnungen ihrer Mutter nicht beachtet, war nachts hinausgeschlichen und verlor in den unterirdischen Tunneln ihren Arm, als sie einem Monster begegnete. Mit nur einem Arm kann man nicht das Haus fegen. So nimmt dich kein Mann zur Frau! Doch für Lala hört nicht auf die Oma, heiratet den falschen Mann und verliert gleich zu Beginn des Kriminalromans auf schreckliche Weise ihr Baby. Dieses tote Baby ist der Dreh- und Angelpunkt.
Die düstere Seite der Sonnenscheininsel
Alle wissen, dass Männer wie Tone zum festen Inventar des Strandes gehören, ein gebilligter Teil des Ökosystems, das dort gedeiht. Aber Tone ist an diesem Morgen kein Gigolo, Tone ist ein besorgter Liebender, und deshalb glaubt er, vielleicht Verdacht zu erregen.
Lalas Mann Adan ist ein charismatischer Typ, der Frauen anzieht, dem Männer gehorchen. Ein kleinkrimineller Bandenboss, der durch Brüche in Villen und kleinen Drogengeschäften sein Einkommen verdient, der aber nach Größerem strebt, dem fetten Drogengeld. In der Nacht, als Baby auf die Welt kommt, löst eine Kette von schrecklichen Ereignissen bei einem Einbruch etwas aus, das das Leben aller Beteiligen verändern wird. Ein Paar wacht auf, ein Handgemenge, ein Schuss löst sich, ein Mann verstirbt. Baxter’s Beach, Barbados, ein Karibikparadies für reiche Touristen. In diesem Noir-Roman wird die düstere Seite der Sonnenscheininsel beschrieben. Glimmer auf der einen Seite und bittere Armut der Einheimischen in Strandhütten und baufälligen Häusern auf der anderen: prekären Familienverhältnisse, toxische Männlichkeit, Drogen, Prostitution, Vergewaltigung und jede Menge Gewalt gegen Frauen.
Toxische Männlichkeit
… das Mal, als er sie, mit Baby immer noch in ihrem Bauch, am Gesicht packte, über die Kante der Betontreppe hielt … damit sie aufplatze wie eine Wassermelone, das Mal, als er ihr ein geschärftes Buschmesser so dicht an die Kehle hielt, dass sich, als er sie endlich losließ, eine dünne Linie mit Blutströpfchen quer über die Luftröhre zog; das Mal, als er sie über die fünfundzwanzig Stufen an den Haaren hinaufzerrte, so dass die Haarbüschel, die ihren Kampf bezeugten, am folgenden Tag die Treppe übersäten.
Oma Wilma konnte Adan nicht ausstehen, hatte Lala gewarnt. Und sie hat ihn doch geheiratet. Der Mann, der ihr befiehlt, was sie zu tun und zu lassen hat, der fremdgeht, der sie aus dem kleinsten Anlass grün und blau schlägt, würgt – selbst wenn er keinen Anlass hat. «Er drückt zu, und ihre Augen werden dunkel, verschleiern wie die Meeresoberfläche an einem regnerischen Tag, ein Meer, unter dessen Oberfläche sie weiter in die Stille sinkt.» Der Mann, der ein Mörder ist und der die Schuld an Babys Tod trägt. Lala will weg von hier! Nur wie soll sie es anstellen, wenn sie kein Geld besitzt – denn ihr Erspartes hat ihr dieser Mann heimlich geklaut. Das Geld, das sie mit dem Flechten von Zöpfen für Touristinnen hinzuverdient. Und da ist Tone, der seinen Unterhalt damit verdient, reichen Damen seine Sexdienste anzubieten. Tone liebt Lala. Doch Tone ist Adan verpflichtet. Von Wilma kann Lala keine Hilfe erwarten, denn die hat sie abgeschrieben, seit Lala bei Adan einzog. Die Polizei sucht nach ihrem Mann wegen Mordes und die Sache mit dem toten Baby, das vorher angeblich entführt wurde, erscheint den Polizisten unglaubwürdig. Die Sache spitzt sich zu. Und vergessen wir nicht die Perspektive der zweiten Mrs. Whalen, Ehefrau des von Adan ermordeten Peter Whalens, die es als hübsche junge Frau zur Gattin eines wohlbetuchten Langzeittouristen gebracht hat. Davon, dass sie ihn als Prostituierte kennenlernte, mag sie nichts mehr hören, denn sie ist nun eine betuchte Britin. Diese Perspektive war mir zu blass, um überhaupt Raum zu erhalten – den sie nämlich nicht ausfüllt, was sie zu einer abgeschnittene Randfigur macht.
Poetisch stimmungsvoll der Zauber der Karibik
Cherie Jones ist Autorin und Anwältin und lebt in Barbados. 1999 gewann sie den Commonwealth Short Story Prize, anschließend studierte sie Kreatives Schreiben in Sheffield Hallam, wo ihr sowohl der Archie Markham Award als auch der A.M. Heath Prize verliehen wurde. »Wie die einarmige Schwester das Haus fegt« ist ihr Romandebüt. «How The One-Armed Sister Sweeps Her House» stand direkt auf der Shortlist des «Woman’s Prize for Fiction» und erhielt den 3. Platz für den Deutschen Krimipreis, Kategorie International.
Wie die einarmige Schwester das Haus fegt
Originaltitel: How The One-Armed Sister Sweeps Her House |
Übersetzt aus dem Englischen von Karen Gerwig
Kriminalliteratur, Noir, Noir-Literatur, Barbados, Karibik, Karibische Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, 328 Seiten
Culturbooks Verlag, 2022
Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
Kommentare
Kommentar veröffentlichen